Das Virtuelle wird zunehmend zum Normalen. Was das bedeutet und welche Folgen es hat, untersuchen über 50 Forscher im neuen Verbund.
Virtualität als eine treibende Kraft für gesellschaftliche und kulturelle Transformationsprozesse mit einer Fülle von lebensweltlichen Bezügen steht im Zentrum des neuen Sonderforschungsbereichs „Virtuelle Lebenswelten“, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft ab 1. Juli 2022 an der Ruhr-Universität Bochum (RUB) für zunächst vier Jahre fördert. Forscher aus Erziehungswissenschaft, Geschichtswissenschaft, Kunstgeschichte, Linguistik, Literaturwissenschaft, Medienwissenschaft und Sozialwissenschaft arbeiten darin zusammen. Sprecher ist Prof. Dr. Stefan Rieger, Inhaber der Professur für Mediengeschichte und Kommunikationstheorie am Institut für Medienwissenschaft der RUB. „Ich beglückwünsche die Kolleginnen und Kollegen herzlich zu diesem großen Erfolg“, so RUB-Rektor Prof. Dr. Martin Paul. „Der neue SFB ist ein eindrucksvoller Beleg der wissenschaftlichen Exzellenz unserer geisteswissenschaftlichen Disziplinen und zeigt unsere herausragende Forschungsstärke als Volluniversität.“
„Virtualität stellt heute eine treibende Kraft für gesellschaftliche und kulturelle Transformationsprozesse dar“, so Stefan Rieger. „Sie hat sich in ihren Erscheinungsformen derart ausdifferenziert, dass man sie vom Nimbus des Besonderen lösen und in der Fülle lebensweltlicher Bezüge ihre Normalisierung beobachten kann.“ Hier setzt der SFB an, indem er Wissensinhalte, Praktiken, Aushandlungsformen und Vernetzungsdynamiken in den Blick nimmt.
Die 13 Teilprojekte fragen, welche gesellschaftlichen Teilsysteme auf welche Weise Virtualität umsetzen und welche Folgen das für einzelne Subjekte und deren Konstitution, für lebensweltliche und ästhetische Praxen sowie für soziale Organisationen und Operationen hat. Insbesondere die Veränderung dessen, was Wissenschaft ausmacht und was ihr alltägliches Tun nicht nur in Forschung und Lehre, sondern auch in Verwaltung und im Wissensmanagement, in Öffentlichkeitsarbeit und Forschungsdatenmanagement über den akademischen Bereich hinaus bestimmt, dient dabei als verbindende Perspektive.
Der SFB wird in enger Rückkopplung mit den vielfach gegenwartsbezogenen Teilprojekten die Virtuelle Universität entwickeln. Sie soll einen gemeinsamen Rahmen aufspannen, der Momente der Selbstreflexion mit Strategien einer Wissenschaftskommunikation an die Öffentlichkeit verbindet und eine räumliche und technische Infrastruktur bereitstellt, um den Besonderheiten des Gegenstandsbereichs Virtuelle Lebenswelten gerecht zu werden. „Die Virtuelle Universität erhebt den Anspruch, über den akademischen Bereich hinauszugehen, in die Region auszustrahlen und eine Kultur der Teilhabe zu fordern“, unterstreicht Stefan Rieger.
Mit dem Anspruch der über das normale Maß hinausgehenden reflektierten Gestaltung der eigenen Forschung verändert der geplante SFB damit selbst ein für die Wissensgesellschaft der Zukunft maßgebliches Stück Lebenswelt. Ziel ist es, diese Normalisierung nicht nur als gelungenen Prozess in den Blick zu nehmen, sondern die damit einhergehenden Aspekte des Brüchigen, des Chaotischen und des Übergriffigen mitzuführen und somit ein Moment der Kritik zu erschließen, das vor dem Hintergrund der durch die Pandemie erzwungenen Virtualisierungsschübe als Korrektiv dient.