Vizepräsident des Zentralrats der Juden kritisiert Vorgehen der israelischen Regierung – Abraham Lehrer prangert Antisemitismus in progressiven, linken und queeren Milieus an.
Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, der Kölner Abraham Lehrer, hat scharfe Kritik an der israelischen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu geübt. „Die Äußerungen eines Ministers Itamar Ben-Gvir über das Aushungern des Gaza-Streifens, die Vorhaben der amtierenden Regierung zum Umbau und Entmachtung der Judikative oder das Verhalten des Ministerpräsidenten Netanjahu sind klar abzulehnen und zu kritisieren“, schreibt Lehrer im „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Montag-Ausgabe). Das sei „aber absolut kein Grund, dem Staat Israel sein Existenzrecht abzuerkennen“, fügte der Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde Köln hinzu. Einen Vorfall auf einer queeren Solidaritätsparty Anfang Juli in Berlin, bei der jüdische Teilnehmende wegen des Mitführens einer Pride-Flagge mit dem Davidstern von anderen Anwesenden attackiert worden waren, nahm Lehrer zum Anlass für die Feststellung, dass der Antisemitismus „leider keinen Halt vor progressiven, linken und queeren Räumen“ mache. Ein Milieu könne emanzipatorisch für den eigenen Befreiungskampf sein, ohne konsequent gegen jede Form der Unterdrückung vorzugehen, monierte Lehrer. „Was den Angriff auf die Gruppe jüdischer queerer Personen zu motivieren schien, ist ein altes antisemitisches Stereotyp: Juden könnten aufgrund ihrer Beziehung zu Israel keine loyalen Bürger ihrer Heimatländer sein. In diesem Fall passender: Juden könnten aufgrund ihrer realen oder zugeschriebenen Beziehung zu Israel keine loyalen Mitstreiter einer Solidaritätsbewegung sein. Es ist zum Verzweifeln!“
An die Mehrheitsgesellschaft gerichtet, bezeichnete Lehrer deren fehlende Solidarität mit Jüdinnen und Juden insbesondere seit dem terroristischen Überfall der Hamas vom 7. Oktober als „dicken Mangel“. Das Maß an Zivilcourage sehe er als „einen Gradmesser für den Zustand unserer Demokratie. Je stärker eine Minderheit ausgegrenzt oder diskriminiert wird, und je stärker die Mehrheit dies mitträgt oder schweigend wegschaut, desto schlechter ist es um die Demokratie bestellt.“ Laut gegen Antisemitismus zu sein, könne schlimmstenfalls bedeuten, unter Polizeischutz leben zu müssen. „Ohne Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft überlegt man zweimal, ob man so ein Leben möchte. Viele im Bildungssektor sind momentan an ihren Grenzen. Die Bundesmittel dürfen hierfür nicht verhandelbar sein. Denn fast noch schlimmer als die Angst vor Angriffen, ist das Gefühl, dass da niemand wäre, der einschreiten und sich schützend vor dich stellen würde.“
Vor den bevorstehenden Landtagswahlen gab Lehrer seiner Hoffnung Ausdruck, dass „möglichst viele Wähler in Brandenburg, Thüringen und Sachsen keine rechtsextremistische oder populistische Partei wählen. Unsere Demokratie ist zu wertvoll, um sie den Populisten zu überlassen.“
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