Völkermord in der Ukraine: „Niemand kann sagen, wir hätten es nicht gewusst“

Zehn in Butscha exhumierte Leichen aus Massengrab Foto: National Police of Ukraine Lizenz: CC-BY 4.0


Auf Initiative des Zentrums Libe­rale Moderne haben mehrer Autoren, darunter, Marie­luise Beck, Ralf Fücks, Tanja Penter, Jan Claas Behrends und Timothy Snyder, einen Offenen Brief an den Bundestag und die Bundesregierung verfasst. Sie appellieren in dem Schreiben alles zu tun, um die Selbst­ver­tei­di­gung der Ukraine zu stärken.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Abgeordnete,

als Antwort auf die Ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus einigte sich die Staa­ten­ge­mein­schaft 1948 auf eine Kon­ven­tion zur „Pre­ven­tion and Punish­ment of Genocide“.

Wer in Deutsch­land ein poli­ti­sches Mandat innehat, hat zugleich eine beson­dere Ver­pflich­tung, diesen Kern des huma­ni­tä­ren Völ­ker­rechts zu schüt­zen. Welchen Sinn sollte das deut­sche „Nie wieder“ sonst haben? Die Ver­nich­tung der euro­päi­schen Juden und die unfass­ba­ren Ver­bre­chen gegen die sla­wi­sche Bevöl­ke­rung in Ost­eu­ropa während des Zweiten Welt­kriegs begrün­den eine beson­dere deut­sche Ver­ant­wor­tung. Nicht umsonst haben sich zu Beginn des rus­si­schen Angriffs­kriegs ukrai­nisch-jüdi­sche Ver­bände mit der Bitte um Schutz an Deutsch­land gewandt.

Heute sind wir mit einem Ver­nich­tungs­krieg mitten in Europa kon­fron­tiert, der alle Merk­male eines Völ­ker­mords aufweist.

Artikel II der Völ­ker­mord-Kon­ven­tion der Ver­ein­ten Natio­nen defi­niert Völ­ker­mord als Hand­lun­gen, die in der Absicht began­gen werden, eine natio­nale, eth­ni­sche, ras­si­sche oder reli­giöse Gruppe als solche ganz oder teil­weise zu zer­stö­ren. Die Kon­ven­tion ver­pflich­tet die Staa­ten­ge­mein­schaft zum prä­ven­ti­ven Handeln, um die Gefahr eines Völ­ker­mords abzu­wen­den und die bedrohte Zivil­be­völ­ke­rung zu schützen.

Inzwi­schen liegt eine rechts­wis­sen­schaft­li­che Studie des renom­mier­ten Wal­len­berg Centre for Human Rights und des New Lines Insti­tute for Stra­tegy & Policy vor, die akri­bisch auf­zeigt, dass die rus­si­sche Krieg­füh­rung die zen­tra­len Merk­male eines inten­dier­ten Völ­ker­mords trägt:

  • Ver­nich­tungs­dro­hun­gen und sys­te­ma­ti­sche Auf­het­zung zu Gewalt­ak­ten gegen die ukrai­ni­sche Zivil­be­völ­ke­rung durch rus­si­sche Amts­trä­ger und Staatsmedien
  • Negie­rung einer eigen­stän­di­gen natio­na­len Iden­ti­tät der Ukraine
  • Dehu­ma­ni­sie­rung und Dämo­ni­sie­rung der ukrai­ni­schen Nation („Faschis­ten“, „Abschaum“, „Bestien“ etc)
  • Mas­sen­tö­tung (Exe­ku­tion) von Zivilisten
  • Gezielte Angriffe gegen Schutz­räume (etwa im Theater von Mariu­pol) und Flucht­rou­ten der Zivilbevölkerung
  • Bom­bar­die­rung reiner Wohn­quar­tiere mit schwe­rer Artil­le­rie, Raketen und Luftangriffen
  • Gezielte Zer­stö­rung lebens­er­hal­ten­der ziviler Infra­struk­tu­ren (Kran­ken­häu­ser, Energie- und Wasserversorgung
  • Abschnei­den huma­ni­tä­rer Kor­ri­dore bela­ger­ter Städte
  • Angriffe auf die Lebens­mit­tel­ver­sor­gung der Bevölkerung
  • Viel­fa­che straf­lose Ver­ge­wal­ti­gun­gen und andere Formen sexu­el­ler Gewalt
  • Depor­ta­tion von mehr als einer Million Ukrainer/​innen aus den besetz­ten Gebie­ten nach Russ­land, dar­un­ter ca. 200.000 Kinder (manche Angaben liegen noch weit höher)
  • Sys­te­ma­ti­sche Ver­ban­nung der ukrai­ni­schen Kultur und Sprache in den von Russ­land besetz­ten Gebie­ten („Deu­krai­ni­sie­rung“).

Wir fordern den Deut­schen Bun­des­tag und die Bun­des­re­gie­rung auf, ihrer „Respon­si­bi­lity to Protect“ gerecht zu werden. Das heißt, alles in unseren Mög­lich­kei­ten Ste­hende zu tun, um die Selbst­ver­tei­di­gung der Ukraine zu stärken, ein­schließ­lich der kon­ti­nu­ier­li­chen Lie­fe­rung schwe­rer Waffen, und den rus­si­schen Ver­nich­tungs­krieg zu stoppen.

Ange­sichts der ent­hemm­ten Gewalt der rus­si­schen Besat­zungs­macht ver­bie­tet sich jede Spe­ku­la­tion auf einen „ter­ri­to­ria­len Kom­pro­miss“, der Russ­land die Herr­schaft über die erober­ten Gebiete über­lässt. Es wäre ein Sarg­na­gel für das Völ­ker­recht und die euro­päi­sche Sicher­heits­ord­nung, wenn eine gewalt­same Grenz­ver­schie­bung als Folge eines Aggres­si­ons­kriegs und massive Kriegs­ver­bre­chen de facto hin­ge­nom­men würden.

Wir fordern Bun­des­re­gie­rung und Bun­des­tag darüber hinaus auf, die Beweis­si­che­rung und Ahndung der von Russ­land began­ge­nen Gewalt­ta­ten per­so­nell und finan­zi­ell zu unterstützen.

Die Ver­ant­wort­li­chen für Angriffs­krieg und Völ­ker­mord, Kriegs­ver­bre­chen und Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit müssen zur Rechen­schaft gezogen werden.

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Dr.Dagmar Schatz
2 Jahre zuvor

Russland denkt da längst größer. Heute die Ukraine, morgen die ganze Welt: https://t1p.de/05tl7 . Margarita Simonyan setzt ihre „Hoffnung“ auf die Hungerwaffe…

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