Morden, Meucheln und Massaker haben ihre Spuren hinterlassen. Wie ein ungeliebtes Knasttattoo hängt die Nibelungenvergangheit nach. Im letzten Teil des Nibelungenzyklus am Bochumer Rottstr5-Theater macht Regisseur Hans Dreher den Scherz, zu dem die Protagonisten im Text von Werner Streletz nicht mehr fähig sind. Mit amüsanten und klugen Inszenierungsideen und erstklassiger Besetzung formt Dreher ein sehenswertes Stück, das von der Bitternis des Nibelungenschicksals zu erzählen weiß, aber auch über seine Verwicklungen und Verschrobenheiten zu lachen versteht. Drehers Inszenierung bricht die Ernsthaftigkeit und Ohnmacht auf, die den Figuren in Streletz Textfassung zugeschrieben sind und zeigt, wie viel Komik in der Katastrophe schlummert. Die Premiere erntete nicht nur spontanen Zwischen- sondern auch lang anhaltenden Schlussapplaus.
Brunhild, Volker und Hagen fällt es schwer, sich nach ihrer gewaltgeschwängerten Geschichte emotional zu sanieren. Das Nibelungen-Einmaleins haben sie satt. Aus der Walküre ist ein Wrack geworden, das sich Nacht für Nacht die Unterarme blutig kratzt. Hagen ist stets ein bisschen durch den Wind, mit sich und dem Schmerz seiner Frau überfordert. Der Spielmann Volker weiß jedoch auch nichts Besseres als sich und seine Freunde mit Dur und Moll zu trösten. Statt mit Schwert und Schilden haben sich die Nibelungen diesmal mit Masken, Plastikbechern und Partyhüten bewaffnet. Sie haben sich in Schale geschmissen und feiern ihren Todestag. Die Helden von damals sind dabei jedoch mehr als betrübt.
Volkers Lidl
Volker (Andreas Bittl) versucht noch immer, das Geschehene zu verstehen, die Ereignisse zu erklären und dabei nicht selbst im schmerzhaftem Jetzt unterzugehen. Denn er leidet unter den Flashbacks, mit denen sich seine Mitstreiter Brunhild und Hagen herumschlagen müssen. Siegfried ist tot, aber Hagen ist sich sicher, dass er wieder zurückkehrt, um sich an seinen Kumpanen zu rächen. Er glaubt, er habe ihn gesehen, mehrmals sogar. Mit Aktenkoffer bei der Sparkasse, als Nazi-Verschnitt auf einer Parkbank. Paranoid linst er durch die Jalousien. Er fühlt sich von Siegfried verfolgt und Volker reicht es. Er schnappt sich Hagen, setzt ihn außer Gefecht und eine Einkaufstüte auf den Kopf. Kurz gesagt: Aus „Volkers Lied“ wird „Volkers Lidl“.
Under construction
Hagen (Martin Bretschneider) saugt an der Zelluphanfolie, mit der Hans Dreher die Bühne verkleidet hat. Rückblickend ziehen Hagen, Volker und Brunhild Resümee: „Wir haben das manchmal so exzessiv betrieben, dass wir später gar nicht wussten, woher wir unseren Rausch bekommen sollten, äh, hatten.“ Soll heißen: Die zwei Chaoten und die Verlorene wollen ihre inneren Beschädigungen zwar renovieren, wissen aber nicht wie. Unfähig und fassungslos stehen sie vor ihrem Schmerz wie vor einem geplatzten Sofakissen. Das Abflussrohr ihrer Vergangenheit ist geborsten und schon waten sie knietief in der Pampe, während der Pegel stetig steigt. Alles, was kurzzeitig heimelig schien, droht nun im Abwasser und vermoderndem Gefühl unterzugehen. Dem kann nicht einmal Brunhild (Dagny Dewath) entkommen, indem sie im schwarzen Catsuit dem Verhängnis ihres Lebens mithilfe eines Seils zu entsteigen versucht.
Männerrunde mit Schurkenhumor
Die mühseligen Renovierungsarbeiten unterbrechen die drei nur für resümierende Band-Performances, die Bittl, Dewath und Bretschneider bravourös meistern. Mithilfe der Dire Straits wünschen sie sich im Rückblick „Money for nothing“ und „chicks for free“. So rocken sie sich die Melancholie vom Hals. Hagen und Volker treffen sich zur Männerrunde mit Schurkenhumor. Bretschneider und Bittl spielen dabei Dart mit unsichtbaren Pfeilen, Kickern ins Imaginäre und pendeln zwischen Ernst und Absurdität. Sie sind sarkastisch, ironisch und manchmal ein bisschen bescheuert. Eine Szene mit treibendem Tempo und passgenauen Einsätzen. Bittel und Bretschneider erarbeiten bei diesem Doppel eine schauspielerische Dynamik erster Klasse. Mitreißend, mehrdeutig und furchtbar witzig.
Veteranen mit Verve
Dank Dagny Dewath wird die einstige Walküre zu einem menschlichen Jojo, das sich vom Leben schwindelig spielen lässt. Irgendwo zwischen Geworfensein und Ausbrechenwollen. Mit bandagierten Armen ergibt sich Brunhild der allgemeinen Dramatik, während Volker noch immer nach den Ursachen für all das sucht und von den Misshandlungen durch seinen Vater erzählt. Der Lebensabend scheint aussichtlos. Es ist der Alptraum auf repeat. Aber genau hier setzt Dreher an, baut Witze ein und lässt seine müde gewordenen Krieger dem drohenden Schicksal mit Galgenhumor ein Schnippchen schlagen. So stellt er „Paint it black“ von den Rolling Stones nichts Geringeres als die deutschsprachige Version von Karel Gott zur Seite. Das hat viel Verve und noch mehr Humor. Es verschafft den Kriegsveteranen zwar keine Erlösung, aber ein bisschen Erleichterung. Und dem Publikum beschert der Ansatz eine ganze Reihe schöner Bilder und ein bisschen Luft, um angesichts der emotionalen Verfahrenheit der Nibelungenpensionäre einmal durchzuatmen.
Eine zweite Vorstellung findet am 2. Dezember um 19.30 Uhr im Rottstr5-Theater statt.