Vom Beobachten, Mitmachen und einem System des Helfens – #trainofhopedo

Blick von einer Bahnsteigtreppe. Am Fuß der Treppe stehen Menschen, über der Treppenbrüstung hängt ein Transparent mit der Aufschrift Welcome to Germany".Es gibt Tage, da verlässt man die eigene Rolle. Dabei ist die journalistische eigentlich ziemlich komfortabel: Wir schauen zu, berichten, ordnen ein, bewerten. Wir bleiben aber immer irgendwie „draußen“. Und manchmal fällt das alles in sich zusammen und wir sind „drin.“ Seit in Dortmund alle paar Tage Hunderte geflüchteter Menschen ankommen, um im Kulturzentrum Dietrich-Keuning-Haus erstversorgt und dann in NRW verteilt zu werden, ist das mehr als einmal passiert. Und als es vor einigen Tagen hieß, die Anlaufstelle brauche jede helfende Hand für die folgende Nacht, hörten wir auf zu beobachten und halfen eine Nacht mit. In den letzten zwölf Tagen haben wir viel gelernt über Hilfe und Solidarität, „Gute“ und „Schlechte“ und über ein System des bürgerschaftlichen Engagements, das staatliche Aufgaben ersetzt. Von Alexandra Gehrhardt und Sebastian Weiermann

Irgendwie „drin“ waren wir eigentlich schon seit dem 5. September, als sich die Ereignisse, die seitdem in Sozialen Netzwerken unter dem Schlagwort „#trainofhope“ geschildert werden, ankündigten. Wir waren am Abend und in der Nacht am Hauptbahnhof, als dutzende Helfende eine beeindruckende Hilfsaktion auf die Beine stellten, und wir hatten Klöße im Hals, als am Sonntag und in den Tagen darauf die Züge einrollten, mehrere tausend Menschen, die über die halbe Welt unterwegs waren und auf ihrer Flucht Strapazen überstanden haben, die sich die meisten von uns nicht vorstellen können, Dortmund erreichten und mit Gesängen und Applaus begrüßt wurden. Wut und Freude mischten sich bei uns immer wieder miteinander. Freude über die Hilfsbereitschaft vieler Menschen. Wut über die Inszenierung von Politikern wie Innenminister Ralf Jäger, OB Ullrich Sierau oder Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.

Am vergangenen Dienstag die Meldung bei Twitter: Es komme ein Zug mit vielen Kranken. Das Keuning-Haus stelle sich auf den 24-Stunden-Betrieb ein. Und: Es werden Freiwillige gebraucht, dringend. So kamen wir wieder ins Dietrich-Keuning-Haus, diesmal nicht als Schreibende, sondern, um zu helfen, wo Hilfe gebraucht wurde. Wir packten Beutel mit Deo, Duschgel und Zahnbürsten. Wir schickten Menschen, die Kleidung suchten, zu Menschen, die ihnen Kleidung brachten, wir blickten immer wieder zur Krankenstation, die am Dienstag, wie Helfende schilderten, voller war als in den Nächten zuvor, und um fünf Uhr morgens fanden wir uns mitten in einer Stofftierschlacht zwischen angekommenen Kindern und Freiwilligen wieder.

In Dortmund angekommene Geflüchtete warten mit Gepäck in einem Park

Die Geschehnisse um die Züge mit Geflüchteten lassen uns an vielen Stellen mit offenen Fragen zurück. Warum hielt Dortmunds Rechtsdezernentin Diane Jägers ehrenamtliche Hilfe und Spenden nicht nur für unnötig, sondern wies Angebote von Anfang an mit Verweis auf die Hilfsorganisationen explizit zurück? Warum gibt es von Freiwilligen in der Anlaufstelle immer wieder Hilferufe nach Dingen, die gebraucht werden, wenn die Stadt doch an alles gedacht hat? Und nicht zuletzt: Was machen die Helfenden im Keuning-Haus eigentlich wirklich? Ist es zivilgesellschaftliches Engagement, weil die Hilfe für Flüchtlinge eine Aufgabe ist, die die Gesellschaft als Ganzes etwas angeht? Oder füllen die freiwilligen Helfer eine Lücke, die von der Bundesrepublik seit der Asylrechtsverschärfung 1993 bewusst vergrößert wurde?

Allgemein ist es Zeit sich einmal differenziert mit den Helfenden zu befassen. Vom ersten Tag an wurde eine Trennlinie gezogen zwischen „guten“ Freiwilligen und „bösen“, „Linksextremen“. Den medienwirksamen Fototermin von Oberbürgermeister Ullrich Sierau und NRW-Innenminister Ralf Jäger bei der Ankunft des ersten regulären Zuges in Dortmund hatten Aktivisten spontan genutzt, um – berechtigte – Kritik an der Abschiebepolitik und dem Umgang des Landes NRW mit geflüchteten Menschen zu üben. Später bezeichnete Sierau diese Menschen als „Störer“ und unterstellte ihnen Untätigkeit, wenn es darum gehe, mal selbst mit anzupacken. Aber macht diese politische Kritik sie unfähig für Hilfe? Wir haben das Gegenteil beobachtet. Dutzende Menschen, die gerade ihre gesamte Freizeit im Keuning-Haus verbringen, haben wir schon oft bei Antifa-Aktionen gesehen. Diese Menschen packen mit an und arbeiten Hand in Hand mit Bundeswehr und Ordnungsamt. Sie haben den Ernst der Lage begriffen.

Bei anderen Ehrenamtlichen mussten wir aber auch Niederschmetterndes beobachten. 1 Uhr morgens, als alle auf den ankommenden Zug warteten, aß einer der Helfer am Hinterausgang der Aufnahmestelle eine Suppe. Als ein offensichtlich obdachloser Mann vorbeikam und um eine Suppe bat, erhielt er die Antwort: „Die ist nur für Flüchtlinge.“ Erst auf Drängen anderer bekam der Mann etwas zu essen. Ein kleiner Zettel, auf dem „Helfer“ steht, lässt manche Menschen zu machthungigen Vollidioten mutieren, die diese Macht sofort ausspielen. Sie haben den Ernst der Lage noch nicht begriffen.

Ehrenamt erfüllt staatliche Aufgaben

Mehrere hundert Menschen sitzen und stehen in der Halle der AnlaufstelleDenn es geht nicht nur darum, den Menschen, die gerade in vollen Zügen aus Ungarn oder Österreich kommen, unmittelbar, mit Decken, Essen und Kleidugng zu helfen. Sondern darum, die jetzigen Ereignisse hier einzusortieren in politische Entscheidungen und gesellschaftlich. Dieser Blick auf das „große Ganze“ wird schnell verstellt, wenn man zu sehr „drin“ ist: auf die Kritik am Umgang mit geflüchteten Menschen, auf rechtlicher Ebene wie in unser aller Alltag, trotz aller Willkommenskultur und Streichelei. Auf die Hierarchisierung zwischen gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen. Oder auf die „Systemrelevanz“ von Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement.

Sehr viele Menschen machen im Keuning-Haus gerade grandiose Arbeit. Ohne sie wäre die schnelle und so freundliche Begrüßung und zumindest eine erste behelfsmäßige Versorgung der Geflüchteten nicht möglich. Sie tragen das System. Und das wissen die Verantwortlichen auf staatlicher Seite, und sie setzen genau darauf. Das lässt sie noch einen Schritt weiter gehen: Seit Mittwoch ist das Keuning-Haus nicht mehr nur Anlaufstelle für die Geflüchteten, die über Süddeutschland kommen, sondern auch Notaufnahmestelle für den Fall, dass es in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Dortmund-Hacheney wieder zu einem Aufnahmestopp kommt. Damit sind die Freiwilligen am Dietrich-Keuning-Haus keine ehrenamtlichen HelferInnen mehr, sondern werden als kostenlose Arbeitskräfte für eine reguläre Aufgabe des Landes NRW eingespannt. Der Staat verhindert hier sein hausgemachtes und einkalkuliertes Totalversagen auf dem Rücken von Freiwilligen.

Die letzten Tage und Nächte rund um den Dortmunder Hauptbahnhof waren beeindruckend, viele Bilder, schöne wie traurige, werden uns lange in Erinnerung bleiben. Und bald durch neue ergänzt werden. Denn „#trainofhope“ wird keine Ausnahmesituation bleiben, es werden weitere Menschen kommen, Dortmund wird Drehscheibe bleiben. Wie lange die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung bestehen bleiben wird, wissen wir nicht. Wir wissen aber, sie kann nicht für sich allein stehen, sondern hängt unmittelbar zusammen mit den politischen Entscheidungen, die im Land, im Bund und auf europäischer Ebene getroffen werden. Asyl ist, zumindest auf dem Papier, noch immer ein Grundrecht, dessen Wahrung der Staat sicherstellen muss.

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[…] Vom Beobachten, Mitmachen und einem System des Helfens – #trainofhopedo (Ruhrbarone) […]

freigeist
freigeist
9 Jahre zuvor

Ein sehr guter und differenzierter Beitrag. In der Tat wurden die nicht an Organisationen gebundenen Helferinnen ab einem gewissen Punkt ausgebeutet. Die alt bekannten Hilfsorganisationen wie DRK.THW. etc. standen meist nur herum. An nichts haben sie gedacht.Die Dolmetscher kamen von selbst und organisierten sich selbst,Kleider wurden gespendet und die Verteilung von den nicht organisierten Helferinnen organisiert,warmes Essen für die Flüchtlinge kochten die freiwilligen Helfer ebenfalls selbst. Die ach so tollen Hilfsorganisationen waren schlecht organisiert und standen vornehmlich herum wenn nicht im Wege-Ausnahme:die freiwillige Feuerwehr.
Ohne die nichtorganisierten Freiwilligen wäre die Drehscheibe Dortmund zum Fiasko.zur Blamage geraten.

Der Großteil der sich selbst bewrihräuchernden Zivilgesellschaft betrachtete das Geschehen aus der Ferne.verfolgte es in den Medien und geriet sich voller Stolz-worauf? Dass ca. 250 konstant arbeitenden Freiwillige. davon 70 % Muslime.der Rest Studentinnen. junge Erwerbsloen und Schulerinnen.einige Antifaschisten Tag und Nacht schufteten. rannten,übersetzten. trösteten,kochten.Babies wickelten.lachten und weinten und den Flüchtlingen eines jeden Zuges tief in der Nacht aufmunternden Applaus spendeten.
Dortmund hat die Flüchtlinge willkommen geheißen-wohlwissend, dass diese Flüchtlinge nach spätestens zwei Stunden im Dietrich-Keuning-Haus Dortmund wieder verlassen wurden.
In nahezu allen Berichten und Kommentaren wurde die tolle Hilfsbereitschaft selbst beerihräuchernd von Politik und lokalen Medien beklatscht. Diejenigen. um die es ging,würden meistens -nicht immer-nur als statistische Größe erwähnt-die Flüchtlinge

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