Vom Recht auf Ruhe und saubere Gärten

Stadtdirektor Jörg Stüdemann erklärt den Abstand zwischen Röntgencontainer und Wohnhäusern.

“Da sind mindestens 50 Meter zwischen dem Container und Ihrer Bebauung.” versuchen Stadtdirektor Jörg Stüdemann und andere Mitarbeiter der Verwaltung den sichtlich gereizten Anwohnern zu erklären. Der Container, um den es geht, ist der neue Röntgencontainer, der auf dem Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge im Dortmunder Stadtteil Hacheney aufgestellt werden soll. Zu dieser und vielen anderen Fragen hatte der zuständige Hörder Bezirksbürgermeister Sascha Hillgeris zum Runden Tisch geladen.

So richtig glauben mögen die anwesenden Mitglieder der Bürgerinitiative Hacheney das nicht. Man habe auch keine Angst vor den Röntgenstrahlen, stellt eine Anwohnerin klar, “es geht um die Belästigung durch die Menschen, die dann noch näher an unserer Bebauung sind.” Eine Anwohnerin bringt empört ein: “Wir haben unsere Terrasse dort!”, eine andere stellt klar: “Irgendwo muss ’ne Grenze sein, wir haben auch ein Recht auf Ruhe!”

Nach Jörg Stüdemanns einleitender Beantwortung eingereichter Anwohnerfragen wird die Diskussion im Bürgersaal der Hörder Bezirksverwaltungsstelle eröffnet. Die Stimmung unter den Anwohnern ist aufgeheizt. Neben Stüdemann und Mitgliedern der Bürgerinitiative sitzen Delegierte von Verwaltung, Ordnungsamt, Ausländerbehörde, Polizei, Feuerwehr und einige mehr am Tisch. Auch mit dabei: CDU-Landtagsabgeordnete Claudia Middendorf. Sozialminister Guntram Schneider war zwar eingeladen, ließ sich aber entschuldigen.

Eigentlich hat Stüdemann auch Positives mitzuteilen. Die dramatische Überbelegung der Erstaufnahmeeinrichtung in Hacheney aus den vergangenen Monaten sei vorbei. Entstanden sei sie unter anderem, weil in anderen NRW-Unterkünften Kinderkrankheiten wie Masern oder Mumps ausgebrochen waren. Mittlerweile habe das Land mehrere neue Einrichtungen geschaffen, viele von ihnen haben jetzt Kranken- und Quarantänestationen.
Es werde auch an der Schaffung noch neuer Einrichtungen gearbeitet: 2015 sollen zum Beispiel 800 weitere Plätze in Essen zur Verfügung stehen.
Es würden, so Stüdemann mit Blick auf die Lage vor allem in Syrien, aber auch nicht weniger Flüchtlinge werden. Dortmund und NRW würden mehr Menschen aufnehmen müssen als bislang – viel, aber kein Vergleich zu anderen Ländern wie zum Beispiel der Türkei. Dort leben momentan mehrere Hunderttausend syrische Flüchtlinge.

Auch um besser mit den Flüchtlingszahlen umgehen zu können und den Menschen würdige Umstände zu bieten, wird in der Erstaufnahmeeinrichtung momentan gebaut. Eine neue Küche entsteht, “die einer Schulkantine in nichts nachsteht” und die Situation der Aufenthaltsräume und sanitären Anlagen wird verbessert. Auch der neue Rötngencontainer für Gesundheitsuntersuchungen gehört dazu.
Den Anwohnern ist das auch aufgefallen. “Da fahren die LKW alle hier bei uns durchs Dorf!”.
Die lauten Baustellenfahrzeuge sind jedoch nicht das einzige, was in der beschaulichen Hacheneyer Nachbarschaft stört. Die Flüchtlinge würden auf Bänken rumsitzen, ganz nah am eigenen Grundstück. “Ganz schlimm!”, man könne den eigenen Garten schon nicht mehr benutzen. “Die sitzen da, tun so schön harmlos, und hinterher liegen da die Flaschen” pflichtet eine Anwohnerin bei. Berichtet wird vor allem sehr empört von einer zerbrochenen Vodkaflasche in der eigenen Hecke. Was man denn dagegen machen könne, dass “die” auch noch Alkohol trinken, wird gefragt. Stüdemann entgegnet, die Flüchtlinge könnten sich nunmal im Stadtgebiet frei bewegen: “Würden Sie in ein anderes Land flüchten, wollen Sie ja auch nicht eingesperrt werden.”

Um diese Flüchtlinge scheint es den Anwohnern allerdings nicht zu gehen. Sie hätten jahrelang auf die eigene Bude gespart und wollten jetzt nicht zur Nordstadt werden. Sie wollen nicht den Lärm der Baufahrzeuge und Anlieferer. Und erst recht nicht den Lärm der Flüchtlinge. Nicht den derjenigen, die auf der Bank neben der eigenen Terrasse sitzen, und auch nicht den der 48 Menschen, die da am Donnerstag rein und raus gegangen sind, als eine Anwohnerin mal selber mitgezählt hat.
Eine Unterstützerin finden sie dabei in der Landtagsabgeordneten Claudia Middendorf (CDU). “Die Anwohner fühlen sich zurecht vernatzt” sagt sie, und sie seien “psychisch und gesundheitlich belastet”. Die Stadt reagiere seit Jahren nicht auf Beschwerden Für ihre scharfen Attacken erntet sie lauten Applaus der Bürgerinitiative. Obwohl die nächste Landtagswahl noch so lange entfernt ist – es fühlt sich ein wenig an wie Wahlkampf.

Große Sorgen machen sich zumindest einzelne auch um die Kriminalität in der Nachbarschaft.Aus dem Publikum fragt einer, ob denn mit der ansteigenden Kriminalität um die Erstaufnahmeeinrichtung nun auch mehr Stellen bei der Polizei geschaffen würden. Da muss Jörg Stüdemann bei der Polizei nachhaken: Gibt es überhaupt einen Anstieg der Kriminalität? Bestreift würde das Gebiet natürlich, erklärt der Polizeivertreter, einen Anstieg der Kriminalität könne man aber nicht feststellen.
Den Fragesteller treiben aber noch andere Sorgen um. Wie Stadt und Polizei verhindern wollen, dass die “kommunistische Antifa” hier nun auch wie in Duisburg-Neumühl Angst verbreitet und Anwohner bedroht, will er wissen. Man mache sich da keine Sorgen und habe die Situation im Blick, ist die Antwort. Auch gebe es in Dortmund glücklicherweise keine so angespannte Lage in Politik und Bürgerschaft. Unsägliche Diskurse über “Romahäuser und Zeltdörfer” würden so hier nicht geführt.

Sichtlich zufrieden, keine zufriedenstellende Antwort bekommen zu haben, lehnt sich der Fragesteller zurück. Nach dem Ende der Veranstaltung gesellt er sich zu Mitgliedern der Bürgerinitiative. “Ja, ja, wenn man die falschen Fragen stellt…” – “Fragen werden hier ja eh oft nicht beantwortet!”

Jörg Stüdemann verspricht den Anwohnern ihre Forderungen umzusetzen, ihr schwieriges Leben in der Nachbarschaft zu den Flüchtlingen zu verbessern. Iris Brüggemann von der örtlichen Bürgerinitiative scheint sich bereits auf ein wirklich schönes Leben ohne Flüchtlinge vorm Gartenzaun zu freuen. Die Erstaufnahmeeinrichtung sei für zehn Jahre eingerichtet, “ist die dann auch weg?” Stüdemann bejaht, die Stadt habe kein Interesse, die Verträge über das Jahr 2021 hinaus laufen zu lassen.

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