Am 16. September stellt die Initiative Recht auf Stadt Ruhr im Nordpol in Dortmund mit einer Mischung aus Diskussion und Party ihr Manifest „Von Detroit lernen“ auf einet Mischung aus Diskussionsveranstaltung und Release-Party vor. Mit dem freundlichen Einverständnis von Recht auf Stadt Ruhr stellen wir den Ruhrbarone-Lesern den Text vor.
Detroit gilt als der Inbegriff der postindustriellen Stadt. Der Rückzug der großen Industrien hat diese Stadt massiv verändert. Auch im Ruhrgebiet begann der Strukturwandel in den 60er Jahren. Doch der Prozess der Deindustrialisierung hat hier sein Ende noch nicht erreicht. Die sozialen Tragödien und der Verfall des Ruhrgebiets werden hinter dem Wortgeklingel „Metropole Ruhr“ oder „Region im Wandel“ versteckt. Wir möchten ihnen hingegen tatsächlich ins Auge sehen: der Armut, der sozialen Segregation, der Abwanderung, dem Leerstand und der Langeweile. Wir wollen dem Vergleich des Ruhrgebiets mit Detroit weder zustimmen noch widersprechen, sondern vielmehr die Frage stellen: Was kann das Ruhrgebiet von Detroit lernen?
Wir denken, der erste Schritt zu einer Veränderung ist der, sich endlich einzugestehen, dass dieses Ruhrgebiet der „Malocher“ entgültig der Vergangenheit angehört. Wir trauern dem Verschwinden der für das Ruhrgebiet typischen Industriearbeit nicht nach. Wir wollen die Bilder von den heldenhaft verklärten Arbeitsmännern nicht mehr sehen. Wir stellen diese Identität stiftende Ruhrgebietsfolklore in Frage. Nicht zuletzt, weil beim Erinnern an Kohle und Stahl der Schmerz und der Dreck immer vergessen werden.
Wir stellen fest, dass die politische Klasse des Ruhrgebiets mit ihrem Glauben an die Rückkehr von Industriebetrieben der Suche nach einer anderen Zukunft des Ruhrgebiets im Weg steht. „Vollbeschäftigung“ wird es hier nie wieder geben. Und die Arbeit, die übrig bleibt, wird prekär, so wie das Leben selbst. Besonders für diejenigen, die aus der Wertschöpfung der Wissensgesellschaft ausgeschlossen bleiben. Die alte Tonnenideologie, dieser Fetisch Bigness, der sich Veränderung nur als von einer großen Maschine angetrieben vorstellen kann, von mächtigen Kraftwerken, Shopping Malls, Fußballstadien und Massen-Events, ist unfähig, die Bedürfnisse und Potenziale in den Ritzen des Ruhrgebiets zu erkennen.
Wir sind der Meinung, dass es das Ruhrgebiet nicht gibt. Duisburg, Oberhausen, Essen, Gelsenkirchen, Bochum, Dortmund und all die anderen Städte betreiben eine kannibalistische Kirchturmpolitik gegeneinander. Sie streiten um Fördermittel und darum, wo der nächste Leuchtturm aufgestellt werden soll. Ihre Unterwerfung unter die Standortlogik wird uns als alternativloser Sachzwang präsentiert. Solange zwischen Duisburg und Dortmund jede Stadt für sich selbst einen Notausgang sucht, wird das Ruhrgebiet als gemeinsam handelnder Stadtraum nicht zusammenfinden.
Wir widersprechen der Selbstinszenierung der Kommunen als „unternehmerische Stadt“, die sich gezwungen sieht, sich am Markt zu behaupten. Städte sind keine Unternehmen, sondern Gemeinwesen mit öffentlichen Haushalt. Es sind politische Entscheidungen, welche Ressourcen wofür eingesetzt werden. Wir fragen uns, warum die überschuldeten Gemeinden im Ruhrgebiet nicht gemeinsam die Tilgungen ihrer Kredite verweigern? Das ganze Geld werden sie ohnehin niemals zurückzahlen können.
Wir fordern, dass der Armutsgürtel, der sich nördlich der A40 von Duisburg nach Dortmund quer durchs Ruhrgebiet zieht, in den Focus stadtpolitischer Entscheidungen gestellt wird. Die Gleichgültigkeit, mit der die Mehrheitsgesellschaft dieser sozialen Zerstörung zuschaut, empört uns. Wer neben die Armutsquartiere Leuchttürme baut, auf dass ihr Licht früher oder später auch die Armen erreicht, ist nicht nur ignorant, sondern zynisch. Wenn öffentliche Gelder ins Ruhrgebiet fließen, sollten sie in erster Linie für den Ausbau der soziale Infrastruktur und für Gemeinwesenarbeit verwendet werden. Niemand soll im Schatten der Leuchttürme die Mülltonnen nach Brauchbarem durchsuchen müssen.
Wir erwarten, dass im Ruhrgebiet endlich begonnen wird, offensiv mit der Schrumpfung und Abwanderung umzugehen und dass stadtplanerische Alternativen entwickelt werden, die sich dem Problem wirklich stellen. Ein offensiver Umgang mit der Schrumpfung bedeutet, den Mut zu besitzen, Stadträume des Verfalls zu freien Nutzung zu öffnen und auf diese Weise sozial „in Wert zu setzen“. Wenn die Leerstände sozial und kulturell genutzt werden, kann Schrumpfung auch eine Chance sein.
Wir sind wütend über die provinzielle Borniertheit der politischen Klasse im Ruhrgebiet, die sozialen, kulturellen oder künstlerischen Eigeninitiativen die Türen verschließt; die solche Projekte nicht als Bereicherung wahrnimmt, sondern als Störung, der ordnungspolitisch entgegengetreten werden muss. Wir fordern die Anerkennung einer Produktion von urbanem Leben, das sich nicht dem Zwang der kommerziellen Verwertbarkeit unterwerfen muss, und das Freiräume benötigt, um sich entfalten zu können. Wir unterstützen jede Initiative, die sich die Räume dafür einfach aneignet.
Wir wissen, dass die sozialen Zerstörungen in Detroit, die Drogenökonomie und die Gewalt eine andere Dimension haben als im Ruhrgebiet; dass die Menschen dort mit einer sehr viel existentielleren Lebenswirklichkeit konfrontiert sind. Was also kann das Ruhrgebiet von Detroit lernen? Wer in den Trümmern sucht, findet dort zahlreiche Zonen unkommerzieller Urbanisierung: kulturelle oder künstlerische Initiativen, die sich in den Leerständen ausbreiten, und Urban Agriculture Projekte, die sich mit Gemeinwesenarbeit vermischen; eine soziale Selbstorganisierung, die ihr Recht auf Stadt im Sperrmüll von Detroit ganz praktisch in die Hand nimmt. Diese Ansätze des „Detroit Summer“ kann das Ruhrgebiet aufgreifen. Sie werden jedoch ohne eine grundsätzliche Änderung, auch auf der politischen Ebene, nicht ausreichen, der Entwicklung des Ruhrgebiets eine andere Richtung zu geben.
Wir sind uns im Klaren darüber, dass ein Recht auf Stadt im Ruhrgebiet anders ausbuchstabiert werden muß als in wachsenden Metropolen wie Hamburg oder Berlin. In unserem Text »Realize Ruhrgebiet« stellen wir unsere Ideen dazu vor. Wir werden die Diskussion über die Zukunft des Ruhrgebiets nicht der politischen Klasse überlassen. Wir mischen uns ein. Jetzt!
Könnte man vielleicht erfahren, was eine „unkommerzielle Urbanisierung“ sein soll? Es klingt so, als wollten die Betreffenden zwar selbständige Unternehmer („Freiberufler“) sein, aber zugleich auch Staatsknete abgreifen.
Schöner Essay, dem ich in vielen Teilen zustimmen kann.
Auch ich habe die „This is not Detroit“ Aktion der UKR nicht wirklich verstanden, denn was aktuell in Detroit passiert, und was Detroit kulturell in der Vergangenheit war, ist nicht alles nur negativ.
Der Unterschied ist: Detroit liegt in den USA, das Ruhrgebiet in Deutschland, wo halt die Politik dafür sorgen möchte, dass jegliche Unternehmung nicht einfach irgendwem überlassen wird.
Das Ruhrgebiet bzw. die Menschen (Bürger wie Politiker) hier von ihrer Traditionsmentalität wegzubekommen, so dass sie nicht mehr in den Maßstäben „Vollbeschäftigung, Big Business und Malocher“ denken ist die nächste Problematik. Auch das liegt nämlich im Unwort „Wandel“: Soziologischer Wandel, der in erster Linie durch Bildung und nochmals Bildung erreicht werden kann. Und erst, wenn die letzte Generation gegangen ist, die ihren Kindern und Enkeln nicht mehr von der goldenen alten Zeit erzählen kann, werden diese anfangen umzudenken.
Was für ein verlogener Appell.
Erstens stellt sich ja schon die Frage, ob hier wirklich jemand „die Mülltonnen nach Brauchbarem durchsuchen muss“ oder nicht vielmehr das Ruhrgebiet gerade umgekehrt eine Region ist, wo man im republikweiten Vergleich noch verhältnismäßig gut mit kleinstem Einkommen bzw. Transferleistungen über die Runden kommen kann, weil nämlich das allgemeine Preisniveau niedriger als beispielsweise in Düsseldorf oder Münster ist.
Zweitens: Ja, es gibt Menschen, die buchstäblich vom Müll leben müssen. Aber nicht in Deutschland. Man sollte das Sammeln von Pfandflaschen oder die Entnahme von abgelaufenem Joghurt aus dem Supermarkt-Container nicht – beispielsweise – mit dem Leben in der de jure abgeschafften, de facto immer noch existenten indischen Kastengesellschaft verwechseln. Das Argument ist total verlogen.
Und daraus muss man drittens herleiten, dass sich die Appellierenden ziemlich unverfroren auf die Situation von Armen beziehen, um daraus in erster Linie ein Recht auf etwas abzuleiten, was eben diesen Armen überhaupt nicht hilft, nämlich die Besetzung fremden Eigentums, um für sich selbst (einer mit jenen Armen wohl kaum identischen Gruppe) die Möglichkeit zu geben, ein „urbanes Leben“ zu führen, dass „sich nicht dem Zwang der kommerziellen Verwertbarkeit unterwerfen muss und Freiräume benötigt, um sich entfalten zu können“.
Was aber wäre konstruktiv? Konstruktiv wäre es, darauf zu drängen, dass die Städte mehr Möglichkeiten bekommen (und vor allem wahrnehmen), mit Phänomenen wie dem Leerstand oder der Verwahrlosung von Wohnblocks etc. umzugehen: Eigentum verpflichtet – wer sein Eigentum sozialschädlich verwendet, der soll es nach einer bestimmten Frist gerne im Extremfall auch verlieren. Aber nicht an Hausbesetzer, mit dem Traum von einem Leben ohne Zwang, sondern an die Allgemeinheit – also die Kommune. Die kann solche Räume dann gerne unter demokratischer Kontrolle ihrerseits kreativen oder sozialen Initiativen kostenlos verfügbar machen. Aber auf rechtsstaatlicher Basis und demokratisch kontrolliert. Sich selbst zu bedienen, sich Räume eigenmächtig anzueignen, sich über für alle anderen geltenden Regeln hinweg setzen zu wollen, ist eines ganz bestimmt nicht: sozial und im Interesse der unteren 20% unserer Einkommens- und Eigentumspyramide.
verlogen ist nicht das manifest sondern sie hg, die sie in zweifel zieht, dass hier menschen in mülltonen wühlen und uns in der hoffnung versetzen wollen, wir müssen nur mal den politiker/innen gut zureden, damit diese lösungen schafften. die probleme bestehen seit jahren / jahrzehnten, ohne dass die politik entsprechend gehandelt hätte. ich will ja nicht in billige politikerschelte verfallen, aber klar ist doch, wenn da nicht mal jemand lauter wird, passiert gar nix. in diesem sinne haben hausbesetzungen eine wichtige funktion.
Die Problembeschreibung ist sehr vage; klar ist hingegen der Lösungsvorschlag: „Wir sind wütend über die provinzielle Borniertheit der politischen Klasse im Ruhrgebiet, die sozialen, kulturellen oder künstlerischen Eigeninitiativen die Türen verschließt“ Da gibt es offenbar ein Netzwerk von Grüppchen, die die soziale Krise der anderen als eine Chance sehen, um für sich was abzugreifen.
Manchmal wird auch bei den Debatten auf den Ruhrbaronen das Niveau unterirdisch. Da scheinen Leute viel Zeit mit der Frage nach Recht auf Stadt Ruhr verbracht zu haben, wofür sie keinen Cent bekommen und Herr Möller konstruiert sich eine Verschwörungstheorie, da wollten Menschen Geld abzocken. Mit solchen Gedankengängen kann mensch gleich jede Diskussion über jedes Thema sein lassen.
Worum es eigentlich geht, ist die jahrzehntelange Erfahrung, dass das Ruhrgebiet immer ärmer wird und die Lösungen immer wieder heisst „Wachstum Wachstum Wachstum“ mit dem hoffungslosen Geifern nach neuen gut bezahlten Jobs. Diese aber kommen nicht, weder in der industriellen Produktion noch in der Kreativwirtschaft. In dieser Situation ist es erstmal wichtig zu schauen, wie hängen wir hier Menschen mit wenig Geld nicht völlig ab, sondern ermöglichen ihnen wenigstens ein würdevolles Leben und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Dafür lohnt es sich zu schauen, welche Chancen bietet das Ruhrgebiet. Auf diese Frage lässt sich leicht antworten, Leerstände und ungenutzte Flächen. Dafür gibt es z.B. Ideen aus Detroit wie diese nutzbar sind und Ideen, wie preiswerter Wohnraum erhalten werden kann, ohne dass dieser unter Instandhaltungsstau leidet. Darüber intensiv nachzudenken scheint mir der Sinn des Manifests. Und das finde ich spannend.
[…] Ich finde es gut, dass es dieses Manifest gibt und möchte mich auch von Seiten der Ruhrbarone bei denen bedanken die sich die Mühe gemacht […]