Am 10. Mai 1933 lodern überall im Land die literarischen Scheiterhaufen. Auch auf dem Berliner Opernplatz werden unter Schmährufen, den sogenannten Feuersprüchen, die Werke von indizierten Autoren wie Bertolt Brecht, Sigmund Freud, Karl Marx oder auch Erich Kästner in die Flammen geworfen. Dann plötzlich ein Ruf aus der Menge: „Da steht ja der Kästner!“ Von unserer Gastautorin Verena Geiger.
Auf dem Opernplatz werden die Werke von insgesamt 94 Autoren zusammengetragen, um sie den Flammen zu überlassen. Dort findet sich auch Erich Kästner persönlich ein, eingekeilt in der Masse zwischen Studenten in SA-Uniformen, deren Verhalten in groteskem Widerspruch zu dem steht, was sich ein Student normalerweise auf die Fahne schreiben sollte: Mut zu freiem Denken und kritischer Meinungsäußerung, Würdigung von Worten und Ideen. Denn es war die Deutsche Studentenschaft, die zum Verbrennen zehntausender Bücher aufrief, zu dieser pompös inszenierten „Aktion wider den undeutschen Geist“, unterstützt von Professoren und diversen NS-Verbänden.
Dichter Regen macht dem braunen Traum von lodernden Bücherflammen jedoch vorerst einen Strich durch die Rechnung. Abhilfe kann die Feuerwehr schaffen, die dieser Tage in eine völlig pervertierte Rolle schlüpft: Mit Benzin unterstützt sie die Flammen, sich durch Einbände und Papier, Geist und Seele zu fressen.
Nun also sieht Kästner zu, wie seine Schriften, seine Lyrik vor den Augen zehntausender Schaulustiger und Eiferer ins Feuer geworfen werden. Er hört mit an, wie Joseph Goebbels feierlich den 2. Feuerspruch ausruft: „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.“ Auch der „Fabian“, diese Geschichte eines Moralisten, der an der Doppelbödigkeit der Gesellschaft zugrunde geht, zerfällt zu Asche.
Und dann der laute Ruf einer jungen Kabarettistin, die Kästner in der Menge entdeckt. Körperlich unbeschadet und unbehelligt kann er zwar kurz darauf den Opernplatz verlassen, wird in Zukunft seine eigenen Bücher jedoch nicht mehr in deutschen Buchhandlungen finden. Das gegen ihn bestehende Publikationsverbot umgeht er auf Umwegen, indem er humoristische Romane wie „Drei Männer im Schnee“ 1934 im Schweizer Atrium Verlag veröffentlicht. In eben jenem Verlag, der 21 Jahre später den dystopischen Roman „Fahrenheit 451“ des aufstrebenden US-amerikanischen Schriftstellers Ray Bradbury erstmalig in deutscher Sprache herausgeben wird.
Trotz des Berufsverbotes war der Obrigkeit Kästners Talent bewusst und wichtig: Goebbels persönlich gibt Kästner 1942 den Auftrag, das Drehbuch für den Ufa-Jubiläumsfilm „Münchhausen“ zu schreiben. Dies geschieht unter dem Pseudonym „Berthold Bürger“, findet jedoch weder im Vorspann des Films noch in den Berichten der Presse Erwähnung.
Warum aber traf der Bann der Nazis auch Kästner, den bei seinen Lesern so beliebten Vater von Emil, Pünktchen und Anton? Erich Kästner war mehr als nur der harmlose Märchenonkel für die Kinder dieser Welt. Seine oftmals verächtlich als “Gebrauchslyrik“ bezeichnete Dichtung hat ihn unbeliebt gemacht bei den Herrschenden. Mit spitzer Feder und einer scharfen Beobachtungsgabe wies er bereits gegen Ende der Weimarer Republik auf die Missstände der Gesellschaft hin, auf die Ausbeutung des Kleinen Mannes und der Kleinen Frau, die Schrecken des Krieges, die Verbrechen an der Menschlichkeit.
Und dennoch bleibt er in Deutschland, verlässt nur für wenige kurze Reisen das Land. Kästner selbst erklärte dies später mit seinem Anspruch, Berichterstatter der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung sein zu wollen: „Ein Schriftsteller will und muß erleben, wie das Volk, zu dem er gehört, in schlimmen Zeiten sein Schicksal erträgt. Gerade dann ins Ausland zu gehen, rechtfertigt sich nur durch akute Lebensgefahr.“ ( In: Der tägliche Kram). In dieser Lebensgefahr sah er sich anscheinend nicht, auch wenn er mehrfach Befragungen durch die Gestapo über sich ergehen lassen musste.
Ein anderer, wichtiger Grund seine Heimat nicht zu verlassen, wird sein „liebes, gutes Muttchen“ gewesen sein. Sie ist die engste Vertraute Kästners, Ratgeberin in Lebensfragen, eingeweiht selbst in Kästners Liebesdinge. Es muss für ihn undenkbar gewesen sein, diese Frau zurückzulassen, die so verbissen für seine persönliche Entwicklung gekämpft hat, die versuchte, ihm alle Türen zu öffnen, und ihn dadurch auch in die Dankbarkeitsfalle laufen ließ.
Noch viele weitere Monate lang brennen 1933 die Scheiterhaufen in Deutschland. Und viel später, 1965, wiederholt sich das Autodafé der Werke Kästners in Düsseldorf: Eine Gruppe Jugendlicher, die sich als „Entschiedene Christen“ bezeichnen, werfen Bücher ins Feuer, denen sie eine negative Wirkung auf die moralischen Grundsätze unterstellen. So trifft es neben Groschenromanen, Sex-Magazinen und Jugendzeitschriften auch Grass, Nabokov und wiederum Kästner.
Und Kästner selbst nach 1945? Die große Chronik der Kriegsjahre hat er nicht geschrieben. Im Vorwort zu seinen Tagebuchaufzeichnungen „Notabene 45“ heißt es: „An meinem Unvermögen, den Roman der Jahre 1933 bis 1945 zu schreiben, zweifelte ich sehr viel früher als an der Möglichkeit, dass er überhaupt zu schreiben sei. Doch auch diesen grundsätzlichen Zweifel hege ich nicht erst seit gestern. (…) Man kann eine zwölf Jahre lang anschwellende Millionenliste von Opfern und Henkern architektonisch nicht gliedern. Man kann Statistik nicht komponieren.“
Warum er dennoch geblieben ist? Auch das kann Kästner am Besten selbst beantworten: „Ich bin ein Deutscher aus Dresden in Sachsen./ Mich läßt die Heimat nicht fort./ Ich bin wie ein Baum, der – in Deutschland gewachsen – / wenn´s sein muß, in Deutschland verdorrt.“ („Notwendige Antwort auf überflüssige Fragen“)
Mehr Informationen unter:
http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Kästner
http://de.wikipedia.org/wiki/Bücherverbrennung_1933_in_Deutschland
Weiterführende Literatur:
Görtz, Franz Josef/ Sarkowicz, Hans: Erich Kästner. München/ Zürich 2003.
Hanuschek, Sven: Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners. München 1999.
Sehr schön, danke!!
An 93 Orten in Deutschland gab es Bücherverbrennungen, hörte ich gestern von Dr. Jan-Pieter Barbian (Stadtbibliothek Duisburg und ausgewiesener Kenner der NS-Literaturpolitik).Und wer wissen will, wie das auch im Ruhrgebiet aussah, kann nachgoogeln und nachschlagen unter/in: Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933. Herausgeber:Julius H. Schoeps und Werner Treß.