Gedanken zum Queerfeminismus von unserer Gastautorin Rosa Müller.
Zurückblickend kommt mir in Erinnerung, wie meine Freundinnen, Genossinnen und ich uns über emanzipatorische (Teil-) Erfolge freuten. Dafür stritten, kämpften, uns ärgerten – aber auch freuten. Die Fragen immer weiter zu denken, was ist und wie weiter zur befreiten Gesellschaft? Stundenlange Diskussionen im Stande der Unfreiheit auf der Suche nach den Forderungen, die aufgehen. Selbst wenn es mal hitzig wurde, letztendlich empfand ich jedes Gegenargument, jede Kritik als Zugewinn in dem Sinne, dass ich dadurch die Möglichkeit hatte, meine eigenen Positionen zu überdenken, zu überprüfen und ggf. zu ändern. Diese Streits, ergänzt um kritische Lektüre, sind es letztendlich, die eine stete Fortentwicklung hin zum Besseren überhaupt erst ermöglichten. Dann wurde Queerfeminismus en vogue.
Die Kritik an den Verfehlungen der Theorien von Butler und Co. ist alt, umfangreich dokumentiert und abrufbar. Anfang der 2010er Jahre flammte die Diskussion noch mal laut auf und ich dachte, damit hat sich das Thema nun endgültig. Die Offensichtlichkeit der Verfehlungen waren meiner Einschätzung nach zu eindeutig. Eine Fehleinschätzung.
Was ich heute in meinem Mikrokosmos meiner Freundinnen, Genossinnen und Netz-Bekannten erlebe, ist das exakte Gegenteil von einer offenen Diskussion um die Frage „Was ist ist Feminismus heute und sollte es zukünftig sein?“. Streits, teils auch heftige, gab es schon immer darum. Was neu ist, ist das Verstummen eben dieser kritischen Stimmen, die nicht „prominent“ im Getümmel unterwegs sind. Kritik am sog. ‚Selbstbestimmungsgesetz‘ wird nur im privaten Raum geäussert, nachdem Frau abgecheckt hat, ob sie sich nicht komplett in die Nesseln setzt. Ein Austausch findet auch nur da oder in Direktnachrichten oder per Messenger statt. Mit zwei Ausnahmen erzählt mir mein gesamtes politisches Umfeld davon, dass sie sich nicht mehr öffentlich oder in den sozialen Netzwerken zu ihren Bedenken zu äussern trauen. Sie fürchten den Ausschluss aus politischen Räumen, den „Terf“-Vorwurf und Denunziationen. Sie wollen nicht in die rechte Ecke geschoben werden oder gar im real life ihre Karrieren etc. gefährden. Es herrscht ein Klima der Angst.
Wir sprechen dabei von Frauen, auch trans btw., die allesamt links der Linkspartei zu verorten sind. Frauen, die sich intensiv mit Gesellschaftskritik befasst haben, auch theoretisch. Frauen, die sich in Antifa-Gruppen organisiert hatten. Frauen, die teils seit Jahrzehnten feministische Kämpfe ausfochten. Stumm. Unsichtbar gemacht.
Heutzutage ist es nahezu unmöglich, feministische Kämpfe auszutragen, wenn sie nicht der Prüfung nach dem Reinheitsgebot des queerfeministischen Aktivisti-Mobs unterzogen wurden. Vulva-Abbildungen auf dem ehemaligen, kommunistischen Frauen-Kampftag? Nope, „triggert“ trans, non binary etc.. Gesellschaftliche non talking points wie Menstruation? Nope, derselbe Grund. Das Wort „Frau“ benutzen? Nope, Begründung wie zuvor. Allein das Äussern von gut begründeten Bedenken hinsichtlich des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes? Bloss nicht, das handelt dir direkt den „Terf“-Vorwurf und Block-Empfehlungen ein. Bestenfalls. Nachfragen im Netz, welche Bedeutung einer der zig neuen Pronomen hat? „Es ist nicht meine Aufgabe, dein Wissen zu erweitern. Google gefälligst.“ kommt zur Antwort. Dabei gäbe es so viele verque(e)re Widersprüche zu klären.
Warum soll es feindlich gegenüber Menschen sein, wenn darüber diskutiert wird, dass die im Selbstbestimmungsgesetz geplanten Änderungen auch Schutzräume berühren und dafür Lösungen gefunden werden müssen? Was ist schädlich daran, die Hälfte der Bevölkerung nicht unter „Flinta“ zu subsumieren, sondern auch (!) weiterhin „Frau“ zu schreiben? Warum kann nicht diskutiert werden, welche Folgen ein weitestgehend an der breiten Öffentlichkeit vorbei gepeitschtes Gesetz haben wird? (Im Übrigen werden die Reaktionen vor allem Betroffene trans* und Queers zu tragen haben, was so gar nicht bedacht zu werden scheint.) Warum ist es „transfeindlich“, wenn zu Bedenken gestellt wird, dass eine de facto Aufhebung der biologischen Geschlechter einen Rattenschwanz haben wird, die in den Entwürfen bisher nicht ausreichend bedacht wurden? Warum darf nicht darüber aufgeklärt werden, welche Folgen die frühe Abgabe von Hormonblockern bei Jugendlichen haben? Warum kann nicht ganzheitlich (!) aufgeklärt werden, damit nicht fälschlicherweise Geschlechtsdysphorie angenommen wird? Warum wird in queerfeministischen Kreisen nicht darüber nachgedacht, dass das Argument der Verstärkung von Geschlechterrollen in ihren Reihen schlichtweg eben eines ist? Warum werden trans* und detrans* mit Shitstorms und Ausschluss konfrontiert, wenn sie von ihren Erfahrungen berichten, die nicht den Vorstellungen der queerfeministischen Aktivisti entsprechen? Warum wird mit Doppelstandards hinsichtlich der Betroffenenperspektive operiert, wenn Lesben sagen, ein männliches Geschlechtsteil ist für sie nicht tragbar? Wieso darf nicht thematisiert werden, welche schädlichen Entwicklungen im Ausland bereits gegeben sind, aus deren Erfahrungen wir lernen und es besser machen sollten? Warum darf Missbrauch der Möglichkeiten, die mit dem Selbstbestimmungsgesetz einhergehend sind, nicht diskutiert werden?
Alle vorgenannten Fragen werden von queerfeministischen Aktivisti und ihren „Allies“ in bürgerlichen Parteien pauschal als „transfeindlich“ markiert. DIESE Aktivisti und ihre Allies beanspruchen für sich die Sichtbarmachung der Betroffenen-Perspektive, fast die Hälfte der Bevölkerung inklusive Andersdenkender de-/ trans* und Queers steht dieses aber nicht zu.
Der Punkt ist, dass sich eine Gemengelage in der politischen (Nicht-) Diskussion entwickelt hat, in der alles dem Duktus der queerfeministischen Ideologie unterworfen ist. Wer die Positionen nicht unhinterfragt übernimmt oder gar Kritik äussert, ist raus, geächtet, gehört gesilenced. Bestenfalls. Schlimmstenfalls wirst du gleich mit der Frauenfeindin Beatrix von Storch gleichgesetzt und/ oder verlierst deinen Job. Gratismutig ist, sich eine Queer-Fahne in die Bio zu knallen, die Sprachvorgaben der Aktivisti zu reproduzieren und als Teil des Rackets denkbefreit Jagd auf andere zu machen. Andersdenkende, Kritiker*innen, haben die Fresse zu halten. Es wird dabei sogar negiert, dass du ggf. sogar für zB. Transrechte einstehst, aber eben Konfliktpunkte siehst, die im Interesse aller ausgeräumt werden sollten. Und dies bevor Frauen Gefahr laufen, aufgrund eines Gesetzes verklagt und/oder um ihre Lebensgrundlage gebracht zu werden (wie bereits im Ausland mit SelfID-Gesetzgebungen geschehen) und bevor Betroffene (trans* und Queers) Gefahr laufen, die Folgen der nicht zu Ende gedachten Gesetzgebung zu spüren zu bekommen.
Versteht meine Gedanken bitte als Appell für die bewährte Praxis in linken Zusammenhängen, sich zu streiten! Es ist die Kritik, die Verbesserungen ermöglicht – nicht der Kadavergehorsam. Ich würde mir wünschen, dass wir durch Diskussionen die bestehenden Widersprüche und Problematiken überwinden. Gemeinsam. Es kann und darf nicht akzeptiert werden sowie Praxis bleiben, Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Und erst recht darf es sich nicht dahingehend weiterentwickeln, was sich gerade abzeichnet: physische Angriffe auf Andersdenkende, wohlbemerkt Linke, werden gerechtfertigt und diese mit Nazis gleichgesetzt.
Für mich persönlich, meine Weggefährtinnen und Weggefährten hoffe ich, unser Unbehagen in der bestehenden Gemengelage löst sich auf. Dass wir wieder Teil von Diskussionen werden können, ohne den Tatsachen widersprechend stigmatisiert zu werden.
PS: Ich habe die Ruhrbarone um Veröffentlichung unter Pseudonym gebeten, da ich mir bei ihnen der Wahrung meiner Anonymität gewiss sein kann. Das Risiko im real life psychischen, physischen oder beruflichen Schaden zu nehmen, ist mir ansonsten zu hoch. Ich bitte, dies zu verstehen. Danke!