„Vor seinen Kindern nicht über eigene Kriegsängste sprechen“

Siedlung Borodianka (Oblast Kiew, Ukraine) nach russischem Beschuss. Foto: Staatlicher Notdienst der Ukraine Lizenz: CC-BY 4.0

Kinder auf der Flucht mit ihren Müttern, Bilder mit zerstörten Häusern, Panzern und sogar Leichen. Der Krieg in der Ukraine geht uns allen, aber besonders den Kindern nah. Wie können Eltern ihr Kinder schützen? Wie sollen sie mit dem Leid in den Medien umgehen? Im Interview mit Ruhrbarone.de erklärt Diplom-Psychologe Dr. Arnd Stein den richtigen Umgang.

Ruhrbarone: Dr. Stein, seit über sechs Wochen herrscht Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Wie gehen Mädchen und Jungen mit dem Krieg um?

Arnd Stein: Egal, ob Mädchen oder Junge – die schrecklichen Ereignisse des Krieges betreffen alle Kinder gleichermaßen. Nur: Wie stark sie dadurch belastet werden, hängt von ihrem Alter ab, von ihrer Persönlichkeit und familiären Situation.

Im Kita-Alter können Kinder die Zusammenhänge kaum begreifen und emotional nachempfinden. Doch ab Schuleintritt werden Sie zwangsläufig  mit Infos und Kommentaren vonseiten der Mitschüler:innen konfrontiert.

Haben sie ein robustes Naturell, können sie durchaus ihren Standpunkt ohne innere Beteiligung zum Besten geben. Sind sie hingegen sensibel, kann ihr soziales Umfeld Unruhe oder sogar Ängste auslösen.

Ruhrbarone: Sollten Eltern versuchen, die Kriegsbilder in den Nachrichten von Kindern fernzuhalten?

Arnd Stein: Faustregel: So gut wie möglich, vor allem die grausamen Bilder getöteter Menschen. Nur: TV, Tageszeitung, Internet sind zu Hause allgegenwärtig, ebenso Handys im Freundeskreis. Umso wichtiger ist es für Eltern, das Kind zu beobachten: Was verfolgt es im TV, Internet, Handy? Wie reagiert es beim Thema „Ukraine-Krieg“? Aber: Abwarten, bis das Kind Bemerkungen macht, Fragen stellt. Macht es einen besorgten Eindruck, das Kind beruhigen und möglichst neutral darüber reden. Also nicht: „Bald haben wir hier auch einen (Atom-)Krieg.“ Sondern: „Wir sind hier völlig sicher!“ So fühlt es sich in der Familie geborgen. Das beugt Alpträumen vor.

Ruhrbarone: Also zusammen „Tagesschau“ gucken?

Arnd Stein: Kinder sind keine typischen „Tagesschau“-Konsumenten und um 20 Uhr sitzen meist die Eltern vor dem Fernseher. Und: Die verstörenden Bilder sind hier nicht so brutal wie zum Beispiel auf bestimmten Internet- oder Handy-Portalen. Zudem können Eltern sofort beruhigend auf das Kind einwirken, wenn ein Bild oder eine Nachricht Angst machen könnte.

Ruhrbarone: Wie können Eltern auf die Ängste der Kinder reagieren?

Arnd Stein: Die Gefühle des Kindes ernst nehmen, Verständnis ausdrücken. Nicht: „Stell dich nicht so an!“, sondern: „Dass dir so etwas Angst macht, kann ich gut verstehen. Aber: „Wir sind hier wirklich sicher. Es kann uns nichts passieren!“

Ruhrbarone: Eltern haben auch eigene Ängste. Sollten sie diese Sorgen mit den Kindern teilen?

Arnd Stein: Nein. Kinder sind nicht die Therapeuten Ihrer Eltern. Genau umgekehrt: Eltern sind für Kinder sozusagen Fels in der Brandung. Bröckelt in den Augen der Kinder dieser Rückhalt, werden Ängste erzeugt oder bereits vorhandene verstärkt. Wichtig: In Gegenwart des Kindes sollten Eltern nicht über eigene Kriegsängste sprechen. Auch nicht über Sorgen wie zum Beispiel steigende Preise oder eventuell drohende Arbeitslosigkeit. Denn solche Befürchtungen können die Kinderseele enorm belasten.

Ruhrbarone: Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Gabriele Schulz

Arnd Stein Foto: Privat

Zur Person: Dr. Arnd Stein, Psychotherapeut und Autor erfolgreicher Sachbücher und Entspannungs-CDs (www.vtm-stein.de). Seine Erfahrungen mit mehreren Hundert Kindern und Eltern bildeten die Basis für erfolgreiche Sachbücher, die im Kösel-Verlag erschienen sind und z. T. in verschiedene Sprachen übersetzt wurden – u. a. das Standardwerk „Das neue Rechtschreibspiel” https://www.penguinrandomhouse.de/Paperback/Das-neue-Rechtschreibspiel/Arnd-Stein/Koesel/e265180.rhd?gadsnetwork=g&gclid=Cj0KCQjwgMqSBhDCARIsAIIVN1VMskcm4Z16dZhF42h3W7L4jS7X_h5IxSaIWHvjAN6m966DSCf3ghAaAkGfEALw_wcB, „Mein Kind hat Angst”, „Wenn Kinder aggressiv sind”, „Worte, die wirken”.

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