Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus: Piraten in Sicht

Übermorgen findet in Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus statt. Es dürfte spannend werden; schwer zu sagen, ob wir nach der 18-Uhr-Prognose aus der Wahltagsbefragung schon wesentlich schlauer sein werden. Wegen der ganz erheblichen Schwankungen in den letzten Wochen und Monaten rate ich auch dazu, die vorliegenden Umfrageergebnisse mit der gebotenen Vorsicht zu genießen. Nichtsdestotrotz lohnt sich ein Blick auf den aktuellen Wasserstand. Es liegen Resultate von vier Instituten vor; ich habe – wie gewohnt – das arithmetische Mittel aus den vier Ergebnissen gebildet. Über die methodische Zulässigkeit dieses Verfahrens ist alles gesagt – hier.

Demzufolge wäre am Sonntag mit diesem Ergebnis zu rechnen:

SPD

31 %

(- 2)

CDU

22 %

(- 1)

Grüne

19 %

(- 3)

Linke

11 %

(+ 1)

Piraten

  7 %

(+ 3)

FDP

  3 %

(+/-0)

Sonstige

  7 %

Die Vergleichszahlen in Klammen beziehen sich auf den 20. August.

Das Beste zuerst: trotz der 7 % für die sonstigen Parteien steht nicht zu befürchten, dass Rechtsextremisten oder Rechtspopulisten in das Abgeordnetenhaus einziehen könnten. Dafür verteilen sich die 7 % auf zu viele Listen. Der neonazistischen NPD, die kürzlich den Wiedereinzug in den Schweriner Landtag geschafft hatte und nun auch in Berlin so richtig Gas geben wollte, werden maximal 3 % zugetraut. Ohne Chance sind auch René Stadtkewitz´ „Freiheit“ und die Schläger von „Pro Deutschland“. Auch die homophobe Hetze der von türkischstämmigen Migranten gegründeten BIG-Partei scheint in der Wählerschaft nicht auf erwähnenswerten Widerhall gestoßen zu sein.

Die Sensation ist freilich, dass die – schon häufig totgesagte – Piratenpartei den Einzug in das Abgeordnetenhaus zu schaffen scheint. Heute fand die Umfrage der „Info GmbH“, die die Piraten bei 9 % sehen, große Aufmerksamkeit in den Medien. Selbst wenn es nicht neun, sondern – wie hier im Durchschnitt der Institute dargestellt – „nur“ sieben Prozent werden sollten, hätte die Vertretung in einem Landtag freilich größte Signalwirkung für die politischen Freibeuter. In der Tat: auch ein Grund, in NRW zu feiern. Ende August war dieser Trend bereits in Ansätzen absehbar. „Hinter den prognostizierten neun Prozent für die `Sonstigen´ steckt zum größten Teil die Piratenpartei, vielleicht sogar bis zur Hälfte“, schrieb ich und sah Sitze in der ein oder anderen Bezirksvertretung. Den Einzug ins Abgeordnetenhaus hielt ich für sehr unwahrscheinlich. Offenbar ein Irrtum.

In der nächsten Woche wird viel über den absehbaren Erfolg der Piraten gesprochen und geschrieben werden, und wir werden der „Wählerwanderung“ entnehmen, woher die Stimmen für die Piraten gekommen sind. Vermutlich wird sich dies schön gleichmäßig auf die Lager der Linken, der Rechten und der Nichtwähler verteilen. Doch es gehört nicht allzu viel Phantasie zu der Annahme, dass der Zuwachs für die Piraten in besonderem Maße zu Lasten der Grünen gehen wird. Gewiss, der dramatische Abstieg der Grünen, die vor einem halben Jahr noch rund zehn Prozentpunkte höher gehandelt wurden, geht nicht allein auf das Konto der Piraten. Das Ende des „Fukushima-Hypes“ gehört ebenso zur Erklärung wie das taktisch nachvollziehbare, von den potenziellen Wählern jedoch missbilligte Taktieren Künasts in der Koalitionsfrage.

Und doch: sollte der Berliner Wahlerfolg der Auftakt sein für die Etablierung einer neuen – besonders jüngere Wählergruppen ansprechende – Partei, hätte dies naheliegenderweise deutliche Auswirkungen auf die gesamte deutsche Parteienlandschaft. Die Grünen, bislang bei jüngeren Wählern überproportional stark, würden ihr jetziges Standing um die 20 % gewiss nicht halten können, für die FDP bedeutete eine solche Entwicklung definitiv das Ende, doch auch für die beiden noch Volksparteien genannten Formationen könnten die Auswirkungen – abhängig von der inhaltlichen Ausrichtung der Piraten – beträchtlich sein. Noch ist es aber nicht so weit. Ein Wahlerfolg in Berlin macht noch keine neue feste Größe im bundesdeutschen Parteienspektrum.

Also zurück nach Berlin, ach ja: Wowereit wird gewinnen und eine rot-grüne Koalition bilden. Das ist Alles. Hätte man vor einem halben Jahr auch nicht gedacht. Inzwischen wird gar diskutiert, dass es selbst dafür rechnerisch nicht reichen könnte. Das glaube ich aber schon. Allerdings: was Berlin betrifft, habe ich mich schon einmal geirrt.

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teekay
teekay
13 Jahre zuvor

Wer, zum Kuckuck, ist denn die ‚Info GmbH‘? Macht Martin Sonneborn jetzt auch gleich Umfragen 😉 ?!

teekay
teekay
13 Jahre zuvor

Danke, Werner Jurga fuer die Aufklaerung. Mein Interesse an der Info GmbH war durchaus ernst gemeint.

Richard
Richard
13 Jahre zuvor

Wieso behaupten eigentlich immer alle, dass es jetzt zu Rot-Grün kommen werde? Wozu die Linken rauskegeln, wenn man mit den Piraten doch einen handlichen, unerfahrenen zweiten Koalitionspartner hätte, dem man, außer bei der Netzpolitik, nicht mal Zugeständnisse machen müsste?

trackback

[…] geworden. Schon um 18 Uhr war es klar, wie es gelaufen ist, nämlich im Grunde so, wie es die Institute prognostiziert haben. Rot und Grün haben gewonnen, auch wenn zur Stunde noch nicht hundertprozentig sicher ist, […]

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