Wahrheit und Pflicht: Romy Schmidts letzte Spielzeit am Prinzregenttheater ist ein Muss!

Mai 2017: Die Prinzregenttheater-Produktion „Die Schöne und das Biest“ hat den 1. Platz beim „nachtkritik“-Theatertreffen gewonnen – von links nach rechts: Schauspielerin Corinna Pohlmann, Schauspielerin Yvonne Forster, Theaterkritiker Stefan Keim, Theaterleiterin Romy Schmidt, Prinzregenttheater-Dramaturg Frank Weiß und Schauspieler Linus Ebner (Foto: Dirk Krogull)

Wahrheit ist: Seitdem Romy Schmidt vor zwei Jahren die Theaterleitung des Bochumer Prinzregenttheaters aus den Händen von Sibylle Broll-Pape übernommen hat, geht es hier künstlerisch aufwärts. Das kleine Theater auf dem Zechengelände in Bochum-Weitmar drohte ein wenig in Muff und Mief, Staub und Stickigkeit und somit in der überregionalen Bedeutungslosigkeit zu versinken, bis Romy Schmidt frischen Wind in das altehrwürdige Gemäuer brachte. Niemand bezweifelt den künstlerischen Anspruch ihres Teams, niemand stellt den Willen und den Mut zu Öffnung und Erneuerung in Frage. Schmidts vorzeitige Entlassung ist unverständlich. Pflicht ist: Wer sich solidarisch mit Romy Schmidt zeigen möchte, deren Vertrag vom tragenden Theaterverein nicht verlängert wurde, sollte sich unbedingt die Produktionen ihrer letzten Spielzeit, die unter dem Motto „Wahrheit und Pflicht“ steht, ansehen. Hingehen hilft! Und Theater wirkt! Das pralle Programm verspricht, die stürmischste und spannendste Saison von Romy Schmidt überhaupt zu werden.

Es wird ein Fest. Das zweite „Prinzbar Open Air“ rund um die runderneuerte Prinzbar eröffnet die finale Spielzeit sozusagen als Vorpremiere und Vorspiel am 16. September – mit dabei: die in Bochum weltberühmte Band No Country For Old Men.

Die erste richtige Premiere und somit offizielle Saison-Eröffnung erfolgt dann am 30. September. Frank Weiß stellt als vierte Regiearbeit am Prinzregenttheater (nach „Bilder deiner großen Liebe“, „Michael Kohlhaas“ und „Tender Napalm“) seine Adaption von Jean Genets „Die Zofen“ vor – mit dabei: Nermina Kukic, am Prinzregenttheater aktuell auch in Romy Schmidts Inszenierung von Frank Goosens „Sommerfest“ zu bewundern, Johanna Wieking, beim Prinzregenttheater-Publikum überaus beliebt dank ihrer  beiden Wolfgang-Herrndorf-Hits „Tschick“ und „Bilder deiner großen Liebe“, sowie Philine Bührer, die vor drei Jahren, damals noch unter der Leitung von Sibylle Broll-Pape, auch schon am Prinzregenttheater zu sehen war: in „Atmen“, seinerzeit inszeniert von Michael Lippold. Im Anschluss an die Premiere gibt es übrigens auch wieder ein Konzert: Es spielt die in Bochum ebenfalls weltberühmte Band … Und mir der Mond!

Die zweite Premiere der kommenden Spielzeit gehört dann sofort dem mitreißenden Prinzregenttheater-Jugendclub Junge Prinz*essinnen 15+!  Seit der Zeit von Romy Schmidt kümmert sich das Prinzregenttheater nämlich auch um den Nachwuchs: Zwei Jugendclubs, einmal für Unter-, einmal für Über-15-Jährige fördern und fordern den Nachwuchs und die jugendliche Theaterbegeisterung. Wer die packenden Produktionen „Farm der Tiere“ und „Spieltrieb“ gesehen hat, konnte mit offenen Augen und Ohren erleben, was diese Jungen Prinz*essinen zu leisten imstande sind und welch famosen Stücke sie hier in jugendlichem Enthusiasmus auf die Bühne stemmen. Mit den „Größeren“ der beiden Truppen hat Theaterpädagogin Clara Nielebock nun also gebührend Großes vor: Am 3. November feiert mit Albert Camus‘ „Caligula“ ein durchaus schwerer Stoff Premiere im Prinzregenttheater, ein anspruchsvolles Stück, das man auf den ersten Blick nicht mit dem verbindet, was man gemeinhin unter „Jugendttheater“ versteht.

Von Albert Camus ist es nicht weit zur Figur des Sisyphos. „Stückentwicklung“ nennt sich das, was Romy Schmidt hier betreibt, sich sozusagen als wahren Berg an Arbeit und Sisyphos-Aufgabe vorgenommen hat – und unter dem ironischen Titel „Sisyphos – Der Berg ruft“ am Ende auf die Bretter hieven will. Premiere des ambitionierten Unterfangens ist am 8. Dezember, und wie sehr sich Romy Schmidt an diesem schweren Brocken abarbeiten wird, ist ebenso spannend wie die freudige Erwartung der Zuschauer, welches krasse Bühnenbild Sandra Schuck sich wohl für das fröhliche Felsenrollen einfallen lassen wird. „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen“, sagte einst Albert Camus. Wahrheit und Pflicht: Wir müssen uns „Sisyphos – Der Berg ruft“ auf jeden Fall ankucken!

Weiter geht’s im nächsten Jahr nicht nur mit der bewährten Zusammenarbeit mit der Folkwang-Universität der Künste, bei der diesmal der frischgebackene Hochschul-Absolvent Jakob Arnold ein Stück seiner Wahl inszenieren wird – sowie mit mit einer deutschen Erstaufführung: „Extremophil“ sind eben nicht nur Tiere, die extrem hart im Nehmen sind und unter extremer Kälte und Hitze, ohne Wasser und Nahrung überleben können, Organismen, die selbst Strahlung und Säure überstehen, „Extremophil“ von Alexandra Badea ist auch die fünfte Premiere dieser Spielzeit – und die nächste Regiearbeit von Frank Weiß.

„Stückentwicklung“ ist dann erneut auch das überschrieben, was Frank Weiß dann kurz darauf unter dem Arbeitstitel „Beruf: Eulenspiegel“ produziert: Schauspieler Linus Ebner hat sich dafür in in der Stadt Mölln ernsthaft (beziehungsweise halb-ernsthaft) auf eine reale Stellenausschreibung als hauptberuflicher und stadteigener „Till Eulenspiegel“ beworben – und was bei seiner tollkühnen Till-Bewerbung tatsächlich herausgekommen ist, ist sicherlich ein absurdes Experiment und für die ein oder andere satirische Überraschung und irre Irritation gut.

Natürlich ist es auch wieder geplant, die interkulturelle und transnationale Arbeit fortzusetzen, die Theaterleiterin Romy Schmidt in ihrer Zeit am Prinzregenttheater mit dem Grubengold-Projekt und -Ensemble angestoßen und ins Leben gerufen hat: Die dritte Grubengold-Produktion von und mit Geflüchteten soll nächstes Jahr die siebte Premiere der Saison werden.

Ein sehr ambitioniertes und multimediales Projekt stellt schließlich auch „Vom Verschwinden“ dar: Es geht um das Verschwinden der letzen Zechen im Ruhrgebiet und das Ende des industriellen Kohleabbaus im Revier. 2018 schließt nämlich mit Prosper-Haniel in Bottrop die allerletzte Zeche im Ruhrgebiet, und nach vielen berührenden und aufschlussreichen Gesprächen mit jeder Menge Kumpels zum Thema Kohle und Bergbau werden am Ende der umfangreichen Recherchen eben nicht nur ein Stück, sondern auch ein Film und eine Fotoausstellung entstehen. Schauspieler und Regisseur Alexander Ritter (bekannt als Titelheld in „Tschick“)  hat mit Lisa Bühl, Sandra Schuck und Frank Weiß ein engagiertes Dream-Team um sich geschart, jede Menge interessante und interessierte Menschen mit ins Boot geholt bzw. mit in die Grube und hinab in den Schacht genommen – und zum Ende der Kohleäre im Ruhrpott jede Menge vor.

Last but not least werden natürlich auch die „Kleinen“, also die Jungen Prinz*essinen 10+ (deren „Momo“-Adaption zuletzt für stürmische Begeisterung gesorgt hat), natürlich unter der Leitung von Clara Nielebock, als neunte und letzte Premiere der letzten Spielzeit noch ein Stück zum Thema „Wahrheit und Pflicht“ auf die Bühne bringen.

Gastspiele wird es freilich auch noch geben – von Julian Gerhard (mit „Die Vergessenen“ und Live-Musik von Gisbert zu Knyphausen) und von den „Spielkindern“ Jennifer Wert, Victoria Wiese und Till Beckmann: „Titanic – Wenn schon untergehen, dann mit Stil!“

Weiter im Repertoire sind natürlich auch Erfolgstücke wie Romy Schmidts preisgekrönte „Die Schöne und das Biest“-Inszenierung, Romy Schmidts Inszenierung von Frank Goosens „Sommerfest“, Romy Schmidts Fassbinder-Adaption „Angst essen Seele auf“ – und natürlich wird auch Schauspieler, Showmaster und Tausendsassa Helge Salnikau wieder im Prinzregenttheater und an anderen Orten in der Stadt illustre Gäste in seine immer wieder bestaunenswerte „Heute Nacht mit Helge“-Talkshow einladen.

Wenn schon untergehen, dann mit Stil.

Lassen wir zum Schluss also noch einmal Frank Weiß zu Wort kommen: „Das Theater ist der Wahrheit verpflichtet. Wir als Theatermacher*innen haben nicht die Möglichkeit, zwischen Wahrheit oder Pflicht zu wählen. Wir müssen und wollen uns in unserer Arbeit der Pflicht stellen, nach der Wahrheit in unseren Stücken und unserem Handeln zu suchen. Es ist und bleibt unsere Aufgabe, gegebenen Wahrheiten immer wieder zu misstrauen, sie zu hinterfragen und wie Sisyphos jeden Tag aufs Neue den Stein den Berg hinauf zu rollen.“

„Wahrheit oder Pflicht ist ein Kinderspiel. Das Leben ist kein Kinderspiel.
Trotzdem werden wir den riesigen Stein immer wieder den Berg hinauf rollen.
Versprochen!“

Wahrheit und Pflicht. Wir werden es uns ansehen. Versprochen!

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