Weg von Samples, Elektrobeats und bombastischer Komplexität scheint das Gebot der Stunde für den Norwegischen Trompter Nils Petter Molvaer und sein neues Trio zu sein, zu dem der Gitarrist Stian Westerhuis und der Schlagzeuger Erland Dahlen gehören. Auf der Bühne des Dortmunder Jazzclubs Domicil agierten Handwerker, die professionell ihre Arbeit machen. Und damit mal eben einen expressiven Orkan entfesselten. Hin zu maximaler Konzentration von grellen, lodernden Klangmassen!
Molvaer, Westerhus und Dahlen haben in ihrer neuen Konstellation auf einen psychedelischen „Wall of Sound“ abgesehen. Böse und abgrundtief steuert Westerhus ganz andere Richtungen an als sein Gitarren-Vorgänger in Molvaers Band Eivind Aarset, der eher den Landschaftsmaler repräsentierte. Westerhus fühlt sich viel mehr in brachialen, extrem direkten Noise-Gefilden zuhause. Liefert pumpende Klangmassen als granitenen Boden für alles, was sonst noch passiert! Schlagzeuger Erland Dahlen trommelt eine überkochende Rhythmik, türmt Impulse und Crescendi auf. Dass man Dahlens Kunst auf dem Drumset schon mit den Leistungen des frühen (!!!) Phil Collins verglichen hat, will was heißen. Experimenteller Noise-Progrock?
Was sind schon Schubladen, wo alles, wie hier im Domicil, so unmittelbar, direkt und gewaltig narkotisiert. Molvaers Himmelstürme auf der Trompete wirken durch sowas ganz neu beflügelt. Gelassen-konzentriert wie eh und je spielt er in sein Instrument hinein, schraubt phasenweise an Reglern und Laptop, und bläst auch mal am „verkehrten“ Ende in sein Instrument herein, was spannend klingt. Aber er erfindet seine eigene Musik nicht wirklich neu – und braucht dies auch nicht. Denn alles in seinem Spiel ruht seit den Anfangstagen so sehr in sich, dass gar nichts anderes als eine Erfüllung des Bestehenden denkbar wäre. Wie einem ewigen Auftrag folgend, schöpft er aus seinem betont reduzierten Vorrat aus Melodien und Läufen intensivste Gefühlszustände. Die leuchten umso mehr, weil er die Klangfarben so zu variieren und zu kontrastieren weiß.
Das neue Album „Baboon Moon“, dient beim Dortmunder Konzert eher als Rohmaterial für ein relativ freies, bis zum finalen Applaus ohne Pause durchgehendes Set. Das potenziert die Sogwirkung des intensiven Zusammenspiels der drei Norweger. Die türmen eine überbordende Dynamik auf, um dann etwas langatmig in einem ruhig-meditativen Mittelteil zu verweilen, bevor die geballte Urkraft von schneidenden Aufschreien der Trompete, abgründigen Gitarren-Soundscapes und überkochender Rhythmik noch einmal zum finalen Showdown losbricht. Die optische Aufbereitung tut ihr Übriges: Die drei Musiker sind Gestalten im Halbdunkeln, mal nur als Schattenriss erkennbar, oder in psychedelisches Licht getaucht, wie es in den 60er Jahren von Ölscheibenprojektoren erzeugt wurde. Auch so manche Sternschnuppe blitzt auf über dem gleißenden Spiel mit den Klangfarben, welch dieses neue Trio so überzeugend beherrscht.
Die Dortmunder Jazztage finden dieses Jahr zum 18. Mal statt – die aktuelle Ausgabe macht einmal mehr klar, dass dieses Festival in seiner Grundstruktur eines der beweglichsten ist. Wurde in den letzten Jahren sämtliche Konzerte noch in ein Wochenende gepackt, so haben die Veranstalter jetzt wieder sämtliche Auftritte über einen ganzen Monat gestreut und damit ein Konzept aus den Anfangsjahren wieder eingeführt.
Nächste Termine:
Do 20.10.
Vijay Iyer Trio
Fr 28.10.
Theo Bleckmann: Hello Earth! The Music of Kate Bush
Sa 29.10.
Angelika Niescier New York Trio
Do 03.11.
Caecile Norby Quartet feat. Lars Danielsson
So 06.11. Sparkasse Dortmund präsentiert:
Victor Bailey Group feat. Poogie Bell
Fr 11.11.
Grzegorz Karnas „Vocal Cello Band“ / The Impossible Gentlemen feat. Gwilym Simcock
Sa 12.11.
Omar Sosa „Afri-Lectric Quintet“ feat. Joo Kraus
So 13.11.
Lily Dahab
+ SPECIAL: 3.12. Jazz Preis Ruhr
Ein super Konzert! Sehr schöne Fotos, Herr Pieper!