Egal ob Covid, Klima, Gender oder Migration. Die Themen um den polarisierten wuterfüllten Kulturkampf sind austauschbar. Zwei Lager, man ist entweder dafür oder dagegen. Gut oder Böse. Die Grautöne gehen im lauten Geschrei unter, werden wenig gehört.
Der Kampf tobt in erster Linie in sozialen Medien, wo die Distanz und Anonymität erst umgebremst offene Aggressionsergüsse durch die Senkung einer Hemmschwelle begünstigen. Twitter ist kein exaktes Spiegelbild des realen Zwischenmenschlichen, aber gleichzeitig schon ein gewisses Abbild. Denn es sind Menschen, die auf Twitter agieren. Wenn auch vor allem gerade diejenigen, die politisch interessiert und motiviert sind. In diesem Sinne keine Repräsentation von allen.
Hält man sich eine Zeit lang auf der Plattform auf und verfolgt die erbitterten Kulturkämpfe, kann man aus einer Perspektive mit Abstand leicht erkennen, dass dem feindseligen Kampf zwischen zwei Lagern eine gewisse lustvolle Komponente innewohnt.
Spätestens mit der Übernahme von Twitter durch Elon Musk ließ sich eindrücklich beobachten, wie die Einen in einem Mix aus Wut, Angst und Sarkasmus ihren Abgang von der Plattform ankündigten und manchmal auch umsetzten und die anderen nicht minder energisch wie trotzig mit scharfer Beobachtung des gegnerischen Verhaltens reagierten. Beinahe ängstlich, dass der Feind verschwinden könnte.
Die einen, die Korrekten, die Woken brauchen die anderen, die Liberalen und Konservativen wie die Luft zum Atmen. Und umgekehrt. Die Nahrung für die Empörung liefern sie sich tagtäglich gegenseitig.
Hass ist ein intensives Gefühl, die Steigerung von Ärger und Wut. Und ein solch intensives Gefühl ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit.
Wenn sich zwei Menschen aus einer Paarbeziehung trennen, kommt es nur selten zu intensiver Wut, also zu Hass, wenn man sich über Jahre hinweg voneinander entfernt hat, sich beinahe gleichgültig geworden ist. Es kommt zu Feindseligkeiten, wenn das Begehren füreinander noch hohe Wellen schlägt, wenn enorme Anziehung da ist, die aus welchen Gründen auch immer nicht einseitig in Harmonie gelebt werden kann. Dann kommt es zur Hass-Liebe.
Hass setzt gefühlte Bedeutsamkeit des Gehassten erst voraus. Und durch Hass entsteht wiederum ein starkes Band, eine Bindung, die noch stärker sein kann, als die der Liebe.
Und so bringen starke Emotionen vor allem eine Charakteristik mit sich: Sie wirken belebend, antreibend, motivierend. Sogar sinnstiftend. Sie sind das Gegenteil von depressiver Leere und Schwere. Auch dem Hass wohnt eine ungeheure Kraft inne.
Doch die menschliche Psyche strebt auch immer nach Ausgleich von Einseitigkeit. Nach so vielen Jahren der Empörung, der Wut und auch des Hasses: Warum immer noch oder vielleicht sogar noch mehr als zuvor?
Wann drängt das Bedürfnis nach Verzeihen, nach dem beglückenden Gefühl gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung (auch für die uns „Fremden“, für ehemalige „Feinde“) an?
Wann kommt die Liebe zurück?
Nicht die (politisch) korrekte Liebe, sondern die von innen heraus. Diejenige, die nach einem Streit in dem Bedürfnis nach Versöhnung mündet.
Die Antwort ist einfach: Erst dann, wenn wir den Hass wieder richtig satt haben.
Offenkundig ist es noch nicht so weit und es braucht noch mehr Destruktion. Die Empörung ist immer noch lustvoll für uns. Und noch können wir sie uns leisten.
Kaputt machen, wieder aufbauen. Eine menschliche Psychodynamik. Sich aneinander zu reiben, ist nichts Schlechtes. Konflikt ist entwicklungsfördernd. Wut ist ein notwendiges Gefühl. Eine Harmonie in stereotypem Takt kann kein Mensch auf Dauer ertragen.
Gut wäre, wenn die Abreaktion eines gesunden Maßes an Wut rechtzeitiger befriedigt wäre. Dazu müsste dann nicht alles in Scherben liegen.
Bis dahin kann die Fantasie über die Schönheit der Versöhnung und vielleicht auch das Wissen trösten: Wie jede Liebe ein kleines Stückchen Hass enthält, so steckt in jedem Hass auch ein Funken Liebe.
So richtig.