Nach dem Rückzug von Jürgen Rüttgers (CDU) von der politischen Bühne wird es Zeit für eine historische Einordnung. Viel wollte der Arbeiterführer im Land zwischen Rhein und Ruhr erreichen und verändern. Auch der Chemiestandort NRW fand sein Augenmerk. Doch auch dieses Projekt seiner Industriepolitik ist nun gescheitert.
Jürgen Rüttgers (CDU) hat es geschafft. Er geht in die Geschichtsbücher ein. Wie so oft in der Politik erhalten die Spitzenakteure ihren Platz in der Geschichte, die einen mehr, die anderen weniger. Und manchmal sind es nur kleine Zufälle, die darüber entscheiden, ob einem früheren Staatsmann nur 2 Zeilen oder direkt mehrere Seiten in einem Historien-Wälzer reserviert werden. Helmut Kohl und Norbert Blüm sind so zwei Beispiele. Bis auf den Satz „Die Renten sind sicher“, ist nicht viel von dem früheren Fließband-Arbeiter und Littfaß-Säulen-Anstreicher der Christdemokraten übrig geblieben – und das, obwohl Blüm fast genauso lange in der Regierung saß wie Kohl. Ergo: Eigentlich die gleichen Leistungen, Entscheidungen und Machtkämpfe ausgefochten hatte. Nur mit einem Unterschied:
Blüm war nur Minister, Kohl Kanzler. Vermutlich wäre aber auch der Oggersheimer Ehrenbürger nur aus reiner quantitativer Betrachtung in die Geschichtsbücher eingegangen – hätte es da nicht so etwas wie eine Wiedervereinigung (oder sollte ich besser sagen: Widervereinigung?!) stattgefunden, die den qualitativ betrachteten Kanzler zum Einheitskanzler machte, obwohl inhaltlich wenig aus der Ära Kohl übrig geblieben ist. Selbst den Euro, den er gerne für sich reklamiert, war nicht seine Errungenschaften, sondern das Diktat Frankreichs für die Zustimmung zu Wiedervereinigung. Ohne die Deutsche Einheit wäre Kohl lediglich als der Kanzler in Erinnerung, der am längsten an der Macht war. Dass dies nicht unbedingt eine qualitative Bewertung sein muss, zeigt das Beispiel Angela Merkel.
Mir fallen keine fünf großen Reform-Vorhaben ein, die mit ihrem Namen verbunden sind?
Jürgen Rüttgers verhält es sich ähnlich. Wenn wir einmal Rückschau halten, dann können wir eines feststellen: Rüttgers ist einer der wenigen Ministerpräsidenten, die nur eine einzige Amtsperiode innehatten. Somit reiht er sich in die Liste von Fritz Steinhoff und Peer Steinbrück. Nur mit einem Unterschied: Steinbrück machte nach seiner Zeit als Ministerpräsident in NRW im Bundeskabinett noch als Super-Minister Karriere. Rüttgers ist den anderen Weg gegangen. Dass seine Regierungszeit abgelaufen ist, dass hat nicht nur die SPD und die FDP festgestellt. Es mehren sich auch die Stimmen in der CDU, die von einem Comeback von Rüttgers wenig begeistert sind. Kein Wunder. Denn die Zeit unter Rüttgers hat weder eine geistig moralische Wende in NRW erreicht, es ist auch kein einziges nennenswertes Vorhaben in Erinnerung, dass mit Rüttgers in Verbindung gebracht wird. Vielmehr hat er die CDU verändert, die unter Linssen und Worms zu einem schlafenden und zahmen Riesen geworden wurde. An Schlagkraft und an Personal ist die NRW-CDU so stark wie selten zuvor – auch wenn das Gros der klugen Köpfe inzwischen in Berlin ist und zur Truppe von Merkel zählt. Die Bundeskanzlerin hat geschickt durch ihre Personalpolitik NRW erobert – und Rüttgers musste zusehen, wie sein Einfluss auf Bundesebene immer geringer wurde.
Auch industriepolitisch bleibt von Rüttgers nichts übrig. Den Ausstieg aus dem Bergbau – eine Plan aus den Händen von Hubertus Schmoldt von der IGBCE, Werner Müller und einer Investmentbank. Die Rettung der WestLB – gescheitert, weil Rüttgers einem schnellen Verkauf, wie von Finanzminister Linssen und der FDP gefordert, blockierte – er weilte statt dessen für mehrere Wochen in Südfrankreich in seinem Ferienhaus, um Handwerker-Arbeiten abzuleisten. Der Verkauf von Benq – Rüttgers bejubelte zunächst Siemens für den Verkauf, doch als die neuen Eigentümer sich als Trickser entpuppten, versprach der Ministerpräsident den hilflosen Mitarbeiter zwar Beistand und Aktionismus. Geholfen hat es wenig:
Benq wurde abgewickelt. Nokia – Noch immer ist unklar, warum der Handy-Konzern das Weite suchte, statt gehalten zu werden – zumal das Land auch noch Steuergelder als Forschungssubventionen bereitstellte. Und dann natürlich Opel: Hier spielte sich Rüttgers als Retter der Arbeiter auf, ließ die Medien wissen, dass er nun GM drohe, wenn diese Opel und das Bochumer Werk in die Pleite gehen ließen – und suchte dann auch noch bei Investoren aus der Golfregion nach Rettern in der Not. Die fragten sich zwar, was dieser Ministerpräsident eigentlich wolle. Doch Geld für einen ausgesaugten Autohersteller zu geben, dass schaffte dann Rüttgers auch nicht. Am Schluss wurde es Still um Rüttgers und Opel. Kein Wunder. Denn die Symbol-Politik des Christdemokraten hatte schon längst ihr Soll erfüllt – nämlich Aktionismus zeigen und Wohlfühl-Faktoren ausbreiten. Dass dahinter nichts war außer heißer Luft, dass kam erst kurz vor der Landtagswahl raus, als die CDU inhaltlich die Hosen runter lassen musste und bis auf blankes Fleisch nichts zu sehen war, für das es sich lohnte, zu streiten. Die Wähler straften Rüttgers ab. Er wird als einer der erfolglosesten Ministerpräsidenten in die Geschichtsbücher eingehen.
Da passt es auch wunderbar, dass ein weiteres industriepolitisches Projekt just zu dem Zeitpunkt implodierte, als Rüttgers seinen Rückzug verkündete: die große Rettung des Chemiestandortes NRW. Traditionell gesehen ist die viertgrößte Branche der deutschen Wirtschaft an Rhein und Ruhr fest verankert. Neben Bayer, Degussa, Altana, Lanxess, Henkel und Cognis gibt es Hunderte von kleinen und mittelständischen Firmen, die mit chemischen Produkten ihr Geld und dass der Mitarbeiter verdienen. Rüttgers hatte auch hier Großes vor: „Ich will, dass der Chemiestandort in NRW erhalten bleibt. Es darf keine De-Industrialisierung geben“, sagte der Regierungschef 2007 in einem Zeitungsinterview und wandte sich daher auch gegen eine Zerschlagung der früheren Ruhrkohle und einen Verkauf der Chemietochter Degussa an den Leverkusener Konkurrenten Lanxess. Der hatte rund zehn Milliarden Euro geboten – doch Rüttgers, der IGBCE und RAG-Chef Werner Müller hatten daran kein Interesse. Rüttgers hatte sein Ziel, Werner Müller auf dem Chefposten der RAG-Stiftung zu verhindern, erreicht. Die Gewerkschaft und Müller selbst wollten lieber eigenständig bleiben – und das rächt sich nun.
Die Finanzkrise hat gezeigt, dass der Verkauf der Degussa an Lanxess der richtige Schritt gewesen wäre. Denn es ist inzwischen mehr als fraglich, ob die Zinsen die geplante Lücke zwischen Vermögen aus dem Verkauf von Evonik-Anteilen und den Folgekosten des Bergbaus schließen lassen. Wer nur ein wenig Ahnung von der Vermögensverwaltung hat, weiß, dass die notwendigen Prozent-Zahlen nicht mehr erreicht werden können. Es droht ein Milliarden-Loch, das letztlich eine Gruppe zahlen muss – der Steuerzahler.
Das ist nicht das einzige Problem: Auch der Chemiestandort selbst, hat am Mittwoch einen herben Rückschlag hinnehmen müssen. Für 3,1 Milliarden Euro übernimmt der weltgrößte Chemiekonzern BASF aus Ludwigshafen den Monheimer Konkurrenten Cognis. Bis November soll der Deal unter Dach und Fach sein.
Was dann mit der früheren Henkel-Tochter passiert, ist mehr als fraglich. Fest steht aber, dass der Retorten-Standort Monheim wohl aufgelöst wird. BASF wird Cognis schlucken. Damit wird der Standort Ludwigshafen gestärkt. NRW hingegen als der Chemiestandort weiter geschwächt, auch, weil es bei Bayer schon länger Überlegungen gibt, sich von der Kunststoff-Sparte zu trennen. Nach der Abspaltung von Lanxess wäre es die zweite große Trennung von einem Geschäftsbereich– und Käufer standen auch schon bereit: arabische Investoren. Die hatten prall gefüllte Geldbeutel schon dabei. Rüttgers hingegen hat man während dieser Gespräche nicht wahrgenommen. Dass es letztlich nicht zum Verkauf in den Nahen Osten kam, hatte weniger mit Rüttgers zu tun, als mit Indiskretionen der Araber.
Bayer brach die Verhandlungen ab.
Vom Tisch ist der Verkauf also immer noch nicht. Dass es einmal dazu kommen wird, dass Bayer die Kunststoff Sparte verkauft, gilt als sicher. Spätestens mit dem neuen Konzernchef zieht auch eine ganz neue Kultur bei Bayer ein. Zudem ist auch nicht sicher, was mit der Evonik passiert. Bisher kommt der Konzern, der aus der früheren Ruhrkohle AG hervorgegangen ist, weder operativ auf einen grünen Zweig, noch beim Thema Börsengang. Da der Stiftung aber immer weniger Zeit bleibt, um die notwendigen Zinsen für die Folgekosten zusammen zu kriegen, wird irgendwann der Zeitpunkt kommen, an dem die Stiftung lieber den Spatz in der Hand hält als die Taube auf dem Dach. Genug Investoren für den Konzern aus Essen wird es geben – nur die sitzen definitiv nicht in NRW, sondern außerhalb der Grenzen Europas.
Rüttgers Projekt, den Chemiestandort zu stärken, ist also auch gescheitert. War halt nur ein Versuch, könnte man meinen. Aber eigentlich waren die Jahre unter Rüttgers, so muss das Fazit ausfallen, verschwendete Jahre – und das nicht nur für den Chemiestandort, sondern für die gesamte Wirtschaft in NRW und damit für ganz Deutschland.
War halt nur so ein Versuch….
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Also ich bin ja selten mit Ihnen einer Meinung, aber was die grossen Industriethemen angeht ist Ihre Analyse sicher richtig. Dabei handelt es sich aber an vielen Stellen um reine Symbolpolitik, wo ein MP es zwar irgendwie in die Medien schafft, aber mit der eigentlichen Entscheidung wenig bis nix zu tun hat.
Rüttger hat besonders auch den Bereichen versagt, die er orginär gestalten konnte. Der Verkauf der LEG Wohnungen zum Ramschpreis an Scheinfirmen in denen Kleinkinder Geschäftsführer sind, ist eine soziale Katastrophe. In diesen Siedlungen die nun komplett verkommen, wählt niemand mehr CDU.
Das Festhalten an einer sehr schwachen Kultusministerin, die jede Schulreform verhindert hat und das Versprechen nach mehr Lehrerstellen nicht eingehalten hat. Auch so ein Fall. Aber das fällt leider durch Ihr Raster.
Obwohl ich ihn nicht gewählt habe, hatte Herr Rüttgers zwei Dinge für mich getan:
Durch die Aufhebung der Schulbezirke konnte ich meinen Sohn in einer Grundschule mit Ganztagsbetreuung anmelden. In meinen Schulbezirk gibt es nämlich keine die das tut. Damit kann ich wieder einer Vollzeitstelle nachgehen.
Das will rot-grün wieder abschaffen. Für viele Alleinerziehende eine Katastrophe.
Das Projekt Jeki ermöglicht meinem Kind eine musikalische Ausbildung innerhalb der Schule. Zu sehr fairen Kosten und ohne das einer Taxi spielen muss.
Aber das ist wahrscheinlich alles zu kleines Karo.
„…Vielmehr hat er die CDU verändert, die unter Linssen und Worms er zu einem schlafenden und zahmen Riesen geworden wurde…“
Bei dem Satz müsste noch etwas gefeilt werden.
// Ist passiert. Danke für den Hinweis, die Red.
Also das einzige was in meiner Erinnerung (Jahrgang 1963) und meinem persönlichen Geschichtsbuch von Kohl geblieben ist, ist das welkende Versprechen „blühender Landschaften im Osten“. Ja, dort wo im Osten früher Industrie, arbeitende und produktive Familien, Schulen und begierig lernende Kinder waren, sind jetzt blühende Landschaften. Nur dass Kohl das angeblich nicht so gemeint haben will. Ach ja und dann bleibt da noch Kohls Ehrenwort. Ein Ehrenwort wie es wohl jenen CDUler eines Tages mal einholt, den einen in der Badewanne, den zweiten (Pinocchio Koch) in Liechtenstein und den dritten (Kohl) halt bei 300.000 Bestechungsgeld.
Rüttgers hingegen wird mir in meiner Erinnerung und meinem persönlichen Geschichtsbuch ewig ein mahnendes Beispiel sein, wie ein Mann über seine eigenen dreisten Lügen stolpert und dabei schnell ganz, ganz tief fällt. Ich denke, mit offensiver und entwaffnender Ehrlichkeit wäre ihm „miet mich“ und alles danach nicht zum Verhängnis geworden. Aber all diese Lügen und Halbwahrheiten bis hin zu „ich darf lt. Gesetz gar nicht zurücktreten“, haben Rütte zu Recht den Kopf gekostet. Das ist was von Rüttgers bleibt und hoffentlich eines Tages eine Sixt-Anzeige „einen Ministerpräsidenten können wir Ihnen leider nicht vermieten, aber unser neue 5er läuft länger, säuft nicht so viel und kostet weniger“.