„Feminism is not supposed to be fun.“ Es gibt eine Kritik am Feminismus, die von ganz weit feministisch und links kommt und die sich unverhohlen gegen Frauen, gegen Vergnügen, gegen das Leben richtet. Mit dabei: Das Frauenmagazin Refinery29, eines der erfolgreichsten Medien-Startups dieser Tage, auf dessen Startseite sich aktuell Ratschläge zur Ernährung vom Nachwuchs und zum Umgang mit Cellulite finden. In der Kategorie Unterhaltung wurde gestern ein Text hochgeladen, der mit dem Titel „Warum sich der Feminismus dem kapitalistischen System ergeben hat“ neugierig macht.
Beraterin, Designerin, Autorin Stephanie Johne hat von dem Feminismus, wie er sich ihr in dieser durchkapitalisierten Welt zumeist darbietet, genug. In zwölf Absätzen und einer Mischung aus Buchbesprechung (Andi Zeisler) und eigener Streitschrift rechnet sie mit der Moderne ab. Sie vermisst revolutionäre Energie: „Was aber ist aus unserer echten Stimme geworden? Was aus handfesten Aktionen?“ Sie fürchtet, dass der Netzfeminismus, prominente Feministinnen, wie Emma Watson und Miley Cyrus – dieser ganze Mainstream – vom Wesentlichen ablenken würden: „Eine massentaugliche Laune kapitalistischer Konsumkultur, die sich weniger mit den eigentlichen Problemen, als vielmehr seinem unter Umständen nur kurzlebigem Ruhm befasst.“ Und sie vertritt, dass dies alles keinen Spaß machen sollte.
Feminismus privatisieren gegen die Ausbeutung der Idee
Was sich jeder Aktivist, wofür er auch steht, wünscht, sofern er nicht klinisch dissoziativ ist, nämlich gehört zu werden, haben Feministinnen längst erreicht. Seit gut 100 Jahren ist dieser Diskurs ein Öffentlicher; Errungenschaften der Moderne, wie nämlich neuartige Kommunikationsmöglichkeiten, konnten ihn nicht ersticken. Wofür es keine französische Revolution brauchte, was nicht erst Le Bon wusste und was auch Beobachter des arabischen Frühlings – also, alle, die in den vergangenen sechs Jahren nicht geschlafen haben – mittlerweile verstehen, ist die Einsicht, dass eine Bewegung, die viele erreichen soll, auch Menschen erreicht, die der Sache eher schaden. Darum ist es lohnend, überstürzten Aktivismus zu kritisieren. Stephanie Johne jedoch richtet sich mittelbar gegen den Diskurs:
„Doch der selbsternannte Postfeminismus, der vor allem auf Social Media Kanälen wie Instagram und Facebook ein gespenstisches, digitales Dasein fristet, hat einen Haken: Er entzieht sich selbst den Boden der Ernsthaftigkeit. Nicht nur, weil er unaufhörlich lauter, sondern dabei immer oberflächlicher wird.“
Stephanie Johne erklärt in ihrem Text nicht „warum sich der Feminismus dem kapitalistischen System ergeben hat“. Sie erklärt auch nicht, was er stattdessen hätte tun sollen. Sie versucht zu erklären, wie und wo er das getan hat und durch ihre oberflächliche Kritik an der „Oberflächlichkeit“ impliziert sie doch nichts anderes, als dass der Bildungspöbel sich aus ihrer höchst eigenen Revolution doch bitte heraus halten soll. Zitat: „Längst wird der Begriff so inflationär verwendet, dass viele nicht einmal mehr wissen, wofür er eigentlich steht.“
Sie nennt diesen Online-Trend „Marktplatzfeminismus“ und findet ihn unter anderem deswegen falsch, „weil sie [die Debatten] dann im Alltag oft schmerzlich vermisst“.
Bitte nicht lächeln!
Während andere Feministinnen, wie bento-Kolumnistin Livia Augustin, noch immer damit beschäftigt sind, ihre sexuelle Lustbarkeit zu erklären und zu verteidigen, weil dieses Thema de facto noch nicht abgeschlossen ist, ist Johne bereits an dem Punkt, den „Unterhaltungs-Feminismus“ zu verteufeln und sich „Ernsthaftigkeit“ zurück zu wünschen.
Es ist ihr zuwider, dass einige Frauen sich lediglich „bequem im Schutze der digitalen Anonymität“ positionieren und sie verdächtigt andere, sich „bequem hinter dem allgemeinläufigen Feminismus-Überdruss“ zu „verstecken“. Außerdem bezeichnet sie das Buch von Ziegler als „Pflichtlektüre“. Sie zitiert daraus: „Feminism is not supposed to be fun. It’s complex and hard and it pisses people off.“
Wenn Frauen keinen Spaß und es nicht bequem haben sollen bei ihrer Emanzipation – laut der optimistischen Stokowski werden die Errungenschaften dessen in ungefähr fünf Generationen spürbar sein – wo bleibt da der Anreiz? Selbst wenn man sie womöglich ablehnt, lässt sich die Kapitalismus-Realität, in der ein solcher entscheidend ist, schließlich nicht einfach hintergehen. Und wenn man grundsätzlich dazu neigt, Frauen mit ihrem „Unterhaltungsfeminismus“ eine Form der Unterhaltung zu missgönnen, warum will man sie dann überhaupt befreien?
Freiheit ist universell
Des weiteren verkürzt ist die Kritik auf Refinery29 dadurch, dass alles zwanghaft in einen größeren Zusammenhang gesetzt wird. Wer nämlich einerseits Ernsthaftigkeit predigt und andererseits Donald Trump als feministisches Problem relativiert ( „für eine Frau an der Spitze der Weltpolitik scheint Amerika dann offenbar doch noch nicht bereit“), kann gar kein anderes Ziel verfolgen, als den Feminismus wieder unbeliebter zu machen. Oder doch?
Einen guten Einwand bringt Johne letztlich mit ihrer Feststellung, dass es in hiesigen Debatten zu prioritär um „heterosexuelle Lebenskonzepte der weißen Mittelschicht“ geht. Ausgerechnet jedoch Emma Watson und weitere Prominente, sowie ranghohe Politiker, die laut Johne unter anderem dafür verantwortlich sind, dass die Bewegung in Bedeutungslosigkeit versinkt, waren hierfür im Dezember zum wiederholten Male Gegenbeispiel. In ihrem offenen Brief, den The Independent veröffentlicht, erinnern sie die britische Regierung in scharfen Worten an die Istanbul-Konvention und vergessen dabei weder Kinderehen und FGM, noch zu erwähnen, dass auch Männer und queere Personen Betroffene sein können.
Warum sich der Feminismus dem kapitalistischen System ergeben hat
Eine geschlechterabhängige Arbeitsteilung gab es bereits bei den Jägern und Sammlern. Nicht im „Urkommunismus“ und nicht im Frühkapitalismus konnte das Patriarchat überwunden werden. Noch heute gibt es Probleme in diesem Bereich und Kapitalismuskritiker sagen, dass der Kapitalismus Einfluss auf ganz einfach alles nimmt, eine ganz übergeordnete Rolle in einem jeden Leben spielt – ob der Mensch es möchte oder auch nicht.
Schon allein deswegen, weil also Sexismus heute höchstwahrscheinlich kapitalistisch gefärbt ist, wäre jeder Versuch eines nicht-kapitalistischen Feminismus verschwendete Liebesmüh. Es lässt sich kaum auf die kapitalistischen Errungenschaften der rascheren Kommunikationswege verzichten, nur um exklusiv und primitiv zu bleiben. Der anti-kapitalistische Feminismus hingegen hat das Problem, dass er dem Engagement einer Watson in den Rücken fällt. Wer lieber auf eine Vergesellschaftung der Produktionsmittel warten möchte, als ihren Brief zu unterschreiben, beweist nur noch einmal, dass mit Linken eine linke Politik zu gestalten nicht mehr möglich ist.
Wenn Stephanie Johne aber Recht hat und viele gar nicht mehr wissen, was dieses „Feminismus“ bedeutet, so hat sie ihre Aufgabe gefunden. Es bedarf nämlich auch fehlgeleiteter Feministinnen, solange „ein Hashtag noch kein Mädchen aus der Sklaverei befreit [hat]“. Und wenn es denn sein muss, darf sie dabei auch ernst sein. Es bedarf andererseits ebenfalls feministischer H&M-T-Shirts, damit von Sklaverei verschonte Mädchen ihre Väter fragen können: „Feminismus, was ist das überhaupt?“ und sie dann später mal die neuen Alices Schwarzers, Stephanie Johnes oder Schlimmeres werden können. Je mehr Menschen, wenn zunächst auch nur „oberflächlich“, überhaupt ein Problembewusstsein entwickeln, desto mehr vernünftige Stimmen wird es auf lange Sicht geben. Warum sich „der Feminismus“ also dem kapitalistischen System „ergeben hat“? Weil er nicht doof ist.
Ich habe den Text aufmerksam gelesen, aber ehrlich gesagt bin ich nicht zuständig und auch nicht interessiert, irgendeiner Variante dessen, was sich heutzutage Feminismus nennt, Hilfestellung zu leisten, selbst wenn ich es könnte. Das war früher anders. Die Anführerinnen der feministischen Bewegung haben es versäumt, sich um diejenigen Frauen zu kümmern, deren Los sie unentwegt zitieren. Sie haben diese Frauen zitiert, weil das für sie selbst, die garnicht dieses Los mittragen müssen, karrierebegünstigend war und immer noch ist.
Und ohne die Mithilfe der Männer läuft in dieser Gesellschaft nichts, schon garnicht beim Feminisnus.
Da können die Feministinnen Theorien entwickeln, soviel sie wollen.
????
Welche Probleme gibt es? Wie sollen sie gelöst werden? Einfach mal konkret!
Der Kapitalismus ist doch die beste Voraussetzung für Feminismus. Nutzen gewinnt.
Wenn Frauen bspw. so wenig verdienen würden, bei gleicher Leistung, würden nur Frauen eingestellt.
Ich bin im mittleren Alter, ein Mann und verstehe den aktuellen Feminismus nicht. Für mich beschäftigt er sich in D im Wesentlichen mit Gedöns mit Fokus auf der leistungsunabhängigen Sicherung der Versorgung mit Spitzenjobs durch Quoten.
Die Probleme von Frauen in der Welt interessieren die Feministen in D in meiner Wahrnehmung nicht. Ähnliches gilt für die Änderungen im Kleidungsstil von Frauen mit einem Familienhintergrund aus der Türkei in D. Das Tragen von dunklen Mänteln inkl. Kopftuch im Hochsommer wird eher noch als persönliche Freiheit betrachtet. Als Mann ist das für mich nicht nachvollziehbar. Ich mag die Sonne und den Wind auf der Haut.
Um was geht es konkret im Feminismus? Welche Probleme will er lösen?
Wir haben eine Gesellschaftsordnung. Das ist fix oder eine andere Diskussion. Welche Aufgaben/Probleme sind anzusprechen/zu lösen?
Aktuell kommuniziert der Feminismus in D hauptsächlich Luxusprobleme (siehe Quote in Aufsichtsräten), die sehr stark auf Elfenbeinturm-Denken hinweisen und deshalb für große Teile der Bevölkerung nicht nachvollziehbar sind.
#2: Ein paar Probleme, die mehr oder weniger "feministisch" gelöst werden müssten, thematisiere ich zum Beispiel hier: https://www.ruhrbarone.de/frauen-als-opfer-der-fluechtlingskrise/
In obigem Text geht es ganz bewusst nicht darum, welche Probleme es gibt. Sondern darum, dass Stephanie Johne eines ist.
"Wenn Frauen bspw. so wenig verdienen würden, bei gleicher Leistung, würden nur Frauen eingestellt."
Das Problem ist, dass Frauen falsch eingeschätzt werden (und sich selbst und gegenseitig oft falsch einschätzen). Darum werden sie nicht nur schlechter bezahlt, sondern eben auch seltener eingestellt oder in die Positionen versetzt, für die sie de facto qualifiziert wären. Und das ist nicht nur ein Problem für die Frauen, sondern ebenso für die Unternehmen – für den Kapitalismus selbst, in letzter Konsequenz, wenn man so will.
http://www.genderkompetenz.info/genderkompetenz-2003-2010/handlungsfelder/personalentwicklung/personalauswahl/index.html/
"Die Probleme von Frauen in der Welt interessieren die Feministen in D in meiner Wahrnehmung nicht." Wie ich oben schreibe, sehe ich das auch. Die Zeitschrift Emma, die m.E. sehr massive andere Schwachstellen hat, stellte hier immer eine Ausnahme da. Und wenn man etwas aus dem Mainstream heraus will, ebenso natürlich die Jungle World – die sogar noch einen Schritt weiter geht und erkennt, dass auch Männer in anderen Teil dieser Welt stark unter den Geschlechterrollen leiden können.
Ich selbst unterstelle vielen anderen Feministinnen hier, ihr persönliches Versagen nur mit dem Patriarchat rechtfertigen zu wollen; es mit der Sache ansich gar nicht ernst zu meinen. Der Reflex aber, wegen der ungleich besseren Situation von in Deutschland aufgewachsenen Menschen mit deutschem Hintergrund, zu glauben, dass hier ALLE Probleme bereits gelöst wären, ist nicht förderlich. Die Diskussionen müssen weitergehen.