Warum Schiedsrichter knapp werden

Schiedsrichter Felix Brych Foto: Эдгар Брещанов Lizenz: CC BY-SA 3.0


Die Zahl der Schiedsrichter nimmt ab. Immer öfter werden vor allem in den unteren Ligen Spiele von Menschen ohne Schiedsrichterausbildung gepfiffen. Ein Grund für den Schiri-Mangel: Der rüde Umgang mit den Männern und Frauen in schwarz.

Man kann es als ein Dokument sprachlicher Vielfalt und menschlicher Kreativität lesen oder ganz einfach als eine Liste von Beleidigungen. Der Deutsche Fußballbund (DFB) legte vor weit über zehn Jahren seinen Landesverbänden einen Katalog mit mehr oder weniger freundlichen Kraftausdrücken vor. Sie sollten ihn an ihre Schiedsrichter mit der Bitte weiterleiten, sie zu bewerten. Dem DFB war klar, dass es bei der Beurteilung der Schimpfwörter regionale Unterschiede geben könne. Der damalige DFB-Schiedsrichterobmann Volker Roth sagte: „Was in Bayern ein freundlicher Hinweis ist, gilt in Niedersachsen schon als deftige Beleidigung!“ Schlappi, Weihnachtsbaum und Tüffelpott würden wohl nur sehr sensible Gemüter wirklich übelnehmen. Bei Begriffen wie Dilettant, Drecksack und Dummbeutel ist die Sache schon eher eindeutig.

Fußball ist ein Spiel mit vielen komplizierten Regeln. So schön die Vorstellung auch sein mag, dass Spieler und Fans sich nach einer Diskussion über ein Foul, einen Elfmeter oder eine Rote Karte einigen so unrealistisch wäre dieses Unterfangen. Ohne einen Schiedsrichter auf dem Platz, der entscheidet, geht es nicht. Doch die Zahl der Schiedsrichter nimmt ab: Pfiffen in der Saison 2015/16 noch 59.482 Schiedsrichter die Spiele der 131.072 Mannschaften, die sich am Ligabetrieb beteiligten waren es in der Saison 2019/2020 nur noch 51.884 . Auch um den Nachwuchs ist es schlecht bestellt: 8.115 Men and Women in Black befanden sich vor sieben Jahren in der Ausbildung. Vor zwei Jahren waren es nur noch 3 239.

Thaya Vester lehrt an die Universität Tübingen und ist Mitglied der DFB-Projektgruppe „Gegen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen“. Sie forscht am Institut für Kriminologie über Gewalt im Fußball und seine Auswirkungen. Respektlosigkeit und Gewalt gäbe es gegenüber Schiedsrichtern: „Wenn man sich auf einen Fußballplatz begibt, muss man nicht damit rechnen, geschlagen zu werden. Aber man muss damit rechnen, angepöbelt zu werden.“

Fans und Mannschaften würden Schiedsrichter spüren lassen, dass sie nicht willkommen seien, man sähe sie nicht als die Person an, die das Spiel erst ermöglichen würden. Auch wenn sich gegnerische Mannschaften nicht schätzten, würde sie sich immer wieder gegen den Schiedsrichter zusammenschließen.  „Es ist ein Problem, es färbt ab und verstärkt sich. Es kommt zu einer Negativspirale.“ Auch in den Medien würden Schiedsrichter oft nicht gut wegkommen. Wenn dann noch einzelne Fälle von Gewalt bei Amateurspielen die Runde machen, bliebe das nicht ohne Auswirkungen.

Doch Gewalt und Respektlosigkeit sind für Vester nur zwei von vielen Gründen, warum die Zahl der Schiedsrichter zurückgeht: „Menschen engagieren sich heute weniger und wenn nur über kürzere Zeiträume. Passt einem etwas nicht, lässt man es schnell wieder sein.“ Befragungen hätten ergeben, dass für frühere Schiedsrichtergenerationen ihr Hobby eine Lebensaufgabe gewesen sei. „Da galt der Satz „Einmal Schiri, immer Schiri.“ Man hat sich vielleicht wegen der Familie oder der Arbeit mal ein wenig zurückgezogen, ist aber immer wiedergekommen.“ Heute sei es schwieriger neue, Schiedsrichter zu finden und sie zu halten.“

Der DFB wirbt um neue Schiedsrichter. Die Hürden sind nicht hoch. Je nach Verband müssen die Bewerber 12 bis 14 Jahre alt sein. Die Ausbildung dauert 20-50 Stunden. Dann kommen eine theoretische und eine sportliche Prüfung. Das Regelwerk muss sitzen, man 1300 Meter sollte laufen können. Die Schiedsrichter müssen Mitglied in einem Fußballverein sein, der auch ihre Sportkleidung stellen sollte. Man kann bei Eignung wie ein Verein bis in die Bundesliga aufsteigen und Geld gib es auch: Fünf Euro gibt es für Schülerspiele, 300 Euro in der Regionalliga, 1000 Euro in der 3., 2500 Euro in der 2. und 5000 Euro pro Spiel in der Bundesliga. Mit der Schiedsrichter-Zeitung gibt der DFB auch ein „amtliches Organ“ für Schiedsrichter heraus. Indem geht es in der aktuellen Ausgabe neben Erläuterungen des Regelwerks um das Outing des Brasilianischen Schiedsrichters Igor Benevenuto und Deniz Aytekin, der zum zweiten Mal zu Deutschlands Schiedsrichter des Jahres gekürt wurde.

Thaya Vester hat im Auftrag des DFB alle gewaltbedingten Spielabbrüche der Spielzeiten 2018/2019 und 2019/2020 untersucht. 2018/2019 fanden 1.497.385 Spiele statt. 719 wurden von den Schiedsrichtern gewaltbedingt abgebrochen. Aufgrund des ersten Lockdowns fanden 2019/2020 nur 852.591 Spiele statt, von denen 266 Spiele gewaltbedingt abgebrochen wurden. Weil zwölf Abbrüche sich als Fehlangaben herausstellten, galt es schließlich, insgesamt 973 Spielabbrüche zu analysieren. In Relation zu den 2.349.976 Spielen, teilt der DFB in einer Pressemitteilung mit, bedeute dies eine Abbruchquote von 0,041 Prozent. Nach den vorliegenden Zahlen wurde im untersuchten Zeitraum im Schnitt jedes 2415. Spiel abgebrochen. Es habe in den schlimmsten Fällen übelste Beleidigungen, rassistische und misogyne Diskriminierungen und auch Morddrohungen gegeben. Dafür das Schiedsrichter heute häufiger Opfer von Gewalt werden, sieht Kriminologin Vester keine Belege. Es gäbe schlicht keine langfristigen Studien. „Als ich angefangen habe über Fußball zu forschen, habe ich beim Württembergischen Fußballverband ins Archiv geschaut. Auch in den 80er Jahren ging es heiß her.“ Mannschaften aus den Balkanstaaten hätten regelrechte Stellvertreterkriege geführt: „Da kamen zu Kreisligaspielen 500 Leute. Es wurde aber nicht so viel darüber berichtet und man war auch nicht so sensibel. Gewalt wurde mehr geduldet.“

Die Durchführung von Spielen auch Amateurbereich sei durch den Mangel an Schiedsrichtern allerdings nicht unmittelbar bedroht, aber die Qualität würde abnehmen. „Was soll der Verband machen, wenn er keine Schiris hat? Dann schickt er die, die er hat, zu den höherklassigen Spielen. Die Schiris müssen von den Vereinen kommen, wenn die keine haben, kann der Verband nichts machen.“ Und wenn keine ausgebildeten Schiris zur Verfügung stünden, würden die Vereine auf Freiwillige zurückgreifen.

Und das sei ein Problem: „Es wird auf dem Platz nicht besser, wenn jemand eingesetzt wird, der keine Ahnung hat“, sagt Vester. So etwas sei ein Nährboden für Konflikte. „Ich habe von einem Schiri gelesen, der nicht einmal gelbe und rote Karten dabei hatte.“ Der Respekt sei geringer, wenn man weiß „Der hat das gar nicht gelernt“.

Der Artikel erschien in ähnlicher Form bereits in der Jungle World

Dir gefällt vielleicht auch:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
3 Comments
Oldest
Newest
Inline Feedbacks
View all comments
Walter Stach
Walter Stach
2 Jahre zuvor

Stefan Laurin,
wenn das Denken und Handeln der Menschen mehr und mehr und offenkundig immer skrupelloser geprägt wird von Häme, Hass Hetze, Heuchelei und die Menschen darin medial tagtäglich befeuert werden , ist es nicht verwunderlich, sondern folgerichtigt, daß das auch gegenüber den Schiedsrichter , z.B. im Fußballsport , gilt.

Viele Menschen versuchen, sich davon frei zu halten bzw. sich davon frei zu machen, indem sie sich auf „das Private“ zurückziehen -weg von allem Politischen-:. Und das scheint zunehmend auch zu gelten für alle aktiven Schiedsrichter und für all diejenigen, die ‚mal mit dem Gedanken gespielt haben Schiedsrichter werden zu wollen.

Für Bundesligaschiedsrichter nebst Aspiranten für einen solchen Job kann das m.E. relative hohe Entgelt pro Spiel helfen, all die Widrigkeiten, , besser wohl all die Wderlichkeiten, mit denen sie regelmäßig konfrontiert werden, zu ertragen. Was ist mit den Schiedsrichtern in „unterklassigen Ligen“? Wer wie ich sich gelegentlich das Spiel einer Jugendmannschaft ansieht und sich den Verbalinjurien von Eltern (!!) einzelner Spieler nicht entziehen kann, wer zudem regelmäßig (!!) montags davon erfährt, daß ein Schiedsrichter in einem Kreisligaspiel körperlich verletzt wurde -durch Spieler, durch sog. Fans-,, kann nur mit Verwunderung registrieren, daß es immer noch Menschen gibt, die „für einen Appel und ein Ei“ an jedem Wochenende als Schiedsrichter Spiele von Jugendmannschaften, von Mannschaften in den Kreis-, Bezirks-, Landesligen pp. leiten.

Das war schon immer so? Nein, meine ich, jedenfalls nicht in den heutigen Ausmaßen.
Eine Folge ist, daß zunehmend der Spielbetrieb der Jugendmannschaften und der Mannschaften in den unteren Ligen gefährdet ist, weil Schiedsrichter fehlen

Warum schreibe ich das?

M.E. wird die „Schiedsrichter-knappheit“ (außerhalb des Profi-Fußballes) nicht hinreichend problematisiert, was ich insbesondere angesichts des gesellschaftlichen Wertes des Sportes junger Menschen, hier des Fußball-Sportes , sehr bedauere.

M.E. wird zudem bei der „Ursachendiskussion“ zu wenig darauf eingegangen, daß diese Problematik zu tun hat -zu tun haben könnte- mit dem unseren Gesellschaft prägenden Symptomen Häme, Hass, Hetze, Heuchelei -nicht zuletzt seitens der Medien betrieben, wenn sie „über den Schieri“ herfallen -vor, während und nach dem Spiel.

Stefan Laurin,
gut so, daß Du hier bei den Ruhrbaronen dieses Problem aufgreifst., denn es ist eines.

Helmut Junge
Helmut Junge
1 Jahr zuvor

Das Problem gibt es nicht nur bei Schiedsrichtern. Ehrenamtler werden in allen Bereichn knapp. Jeder für sich ist im Kommen.

christian
christian
1 Jahr zuvor

Meine Fußballerkarriere endete 2006 von Jugend an habe ich in den unterschiedlichsten Ligen gespielt von Kreisliga C bis zur Bezirksliga und jeden Sonntag immer dasgleiche der „schwarze Mann“ wurde beschimpft und je niedriger die Spielklasse auch tätlich angegriffen. Hat der Schiedsrichter mal nicht gepfiffen wie gewünscht waren nach Spielschluß die Auto- oder Fahrradreifen platt. Ich habe damals schon nicht verstanden warum der Schiri sich jeden Sonntag sowas antut.

Werbung