Was ist eigentlich Fußball?

Fußball Foto: jarmoluk from Pixabay Lizenz: CC0


Die WM ist vorbei. Argentinien wurde nach einem spannenden Endspiel gegen Frankreich Weltmeister. Zeit, sich der Frage zu stellen, was Fußball eigentlich ist.

Ist Fußball WM in Katar oder ist Fußball 4.Liga Wanne-Eikel? Ist Fußball sauberer Amateursport oder ist Fußball schmutziger Profisport? Ist Fußball nationales Messen oder regionales Fighten? Ist Fußball politisch oder einfach nur ein schöner Zeitvertreib? Ist Fußball ein Medienereignis oder etwas für die Erzählungen des Alltags? Ist Fußball ein Spiel für alle oder nur für die Eingeweihten? Findet Fußball im Stadion oder im Fernseher statt? Wem gehört eigentlich der Fußball, den Fans und Vereinen oder den Funktionären und Clubbesitzern? Meist werden diese Fragen gerne in die ein oder andere Richtung beantwortet. Ich vermute alle Antworten sind mehr oder weniger richtig, denn im Fußball ist jede Menge Welt. Es kommt halt auf die Sichtweise an. Vielleicht hilft es sich gewahr zu werden wo der Fußball eigentlich herkommt und wie er sich entwickelt hat.

Seine Ursprünge sind vielfältig und betreffen die ganze Welt. Bei den Eskimos, den alten Chinesen, Japanern, Mayas bis hin zu den antiken Griechen und Römern, gab es fußballähnliche Spiele. Manche hatten sogar Publikum. Bei den Mayas gab es Stadien mit fanatischen Zuschauern und bei den Chinesen ein Publikum, dass die Verlierer gerne mal verhaute. Entscheidend war letztlich England. Vermutlich haben die Römer, die es wiederum von den Griechen hatten, und die wiederum von den Chinesen, das Spiel dort hin gebracht. Bauern und Handwerker griffen es auf und veranstalteten auf ihre Weise den Fußball, welchen man getrost als Raufen um den Ball bezeichnen kann. Gerne wurde er am Karneval von Dutzenden jungen Männern gespielt. Am Ende wurde er verboten, weil es in den Städten zu wüst herging, denn ein Spielfeld wie heute kannten die damaligen Fußballer nicht.

Im Unterschied zum Adel spielte das Volk also den Ball zu Fuß. Der Adel saß in der Regel auf dem Pferd, um von dort aus seinen „Sport“ zu treiben. Allerdings war es so, dass irgendwann die adeligen Schüler in Internaten wie Eton und Rugby das Spiel aufgriffen und in ihrem Sinne gestalteten und der Schule anpassten. Sie schufen ein Spielfeld, zeitliche Begrenzung und Tore. Thomas Arnold, ein Reform-Pädagoge aus Rugby, erkannte das Potential dieses Spiels, förderte es und entwickelte mit den Schülern entsprechende Regeln, um das Raufspiel und seine Protagonisten zu zivilisieren und die Schüler zu Demokraten zu erziehen, die ihre Lehrer akzeptieren. Eton wiederum erfuhr von dem Sport und entwickelte eigene Regeln. Die wichtigste: das Spielen mit der Hand war verboten. Das Spiel, wie wir es heute kennen, der Association Football, war geboren. Natürlich kam es im Laufe der Zeit noch zu der ein oder anderen Veränderung, wie der Einführung des Abseits.

Association Football wurde zunächst nur von den Bürgerlichen und Adeligen als ein Amateursport betrieben. Einige von ihnen brachten es allerdings in ihre Fabriken, wo die Arbeiter es begeistert aufgriffen und ebenso Fußballmannschaften gründeten und sich an der Amateurliga beteiligten. Das ging solange gut, bis die Arbeiter immer besser wurden und die bürgerlich-adligen Mannschaften schlugen – Grund dafür waren Härte und Teamgeist. Diese zogen sich deshalb zurück und der Fußball wurde zum Arbeitersport beziehungsweise zum Spiel der einfachen Leute. Er war wieder da, wo er ursprünglich herkam. Die Arbeiter wiederum führten auf der Stelle die Bezahlung der Spieler ein und machten den Fußball zu einem Massen- und Profisport, der sich über die ganze Welt verbreitete. Von nun an waren es Arbeiter, die das Spiel spielten, schauten und letztlich prägten. Und zwar in Stadien, die bis zu hunderttausend Menschen fassen konnten.

Man muss nicht viel besitzen, um Fußball spielen zu können. Einen freien Platz findet man immer irgendwo. Tore kann man sich aus zwei Stöcken und einer Schnur bauen und selbst einen Ball kann man sich aus Lumpen zusammen binden und dann braucht man nur noch ein paar Kumpels. So war es in Bremen, als 1899 einige Realschüler auf dem Stadtwerder mit 4 Stangen und zwei Leinen und einem Ball aufschlugen, um Fußball zu spielen. Den Ball hatten sie irgendwo gewonnen. Wie in England waren es zunächst Bürgerliche, die Fußball spielten und das Spiel populär machten und einen Verband gründeten, den DFB. Erst nach 1900 stießen Arbeitermannschaften wie Schalke dazu, die trickreich einen Apotheker den Antrag beim DFB stellen ließen, damit sie im bürgerlichen Sportbetrieb aufgenommen wurden. Andere meldeten sich erst gar nicht an und gingen zum Arbeiter-, Turn- und Sportbund, wo sie in ihrer eigenen Liga spielten. Diese wurde dann von den Nazis unwiederbringlich zerstört und der DFB durfte weiter machen, auch nach 45 mit dem zum Teil gleichen Personal. Trotzdem waren es nach dem Krieg vor allem Arbeiter, Handwerker und kleine Angestellte, die in Massen in die Stadien kamen und den Fußball in der Bundesrepublik prägten. Immer mit dem Blick zu den Vorbildern von der Insel.

Als ich 1971 mit meinem Vater zum ersten Mal ins Weserstadion ging, war ich ein wenig irritiert. Vor der Heimkurve liefen Fans mit weiß-roten Schals rum. „Was machen die denn hier“, fragte ich meinen Vater. Der antwortete mir, dass Werder die Farben gewechselt habe und die Mannschaft nun in den Bremer Farben spielen würde. Klar, dachte ich mir, das ist die Speckflagge. Aber so richtig verstehen konnte ich das trotzdem nicht. Denn schließlich war das hier Werder und nicht die Stadt, die da spielte. Erst später verstand ich, dass Werder viel Geld von Bremen erhalten hatte und dies der Grund war. Bei dem größten Teil der Anhänger kam das ebenfalls nicht gut an. Die sprachen abschätzig von der „Millionenelf“, die dann auch noch kläglich versagte. Und so war ich bei meinem ersten Stadionbesuch auch schon mitten drin in der Diskussion, was den modernen Fußball eigentlich ausmacht. Etwas später ging ich dann ohne meinen Vater ins Weserstadion, allerdings immer erst zur zweiten Halbzeit, da wurden die Tore aufgemacht und ich musste kein Eintritt bezahlen. Einen Stadionbesuch konnte sich damals noch jeder leisten.

Heute sagt man zu den Profispielern der ersten Liga Millionaros und meint das ebenso abfällig. Und nicht nur das. Die Zeiten haben sich stark geändert. Waren eine Millionen für eine ganze Mannschaft damals noch sehr viel Geld, so kann man sich für diese Summe kaum noch einen Spieler kaufen, der in der ersten Liga mithält. Auch der Verdienst der Profis hat sich geändert. Eine Millionen im Jahr zu verdienen, ist keine Besonderheit mehr. Als die englischen Spieler ihr erstes Geld verdienten, war es nicht mehr, als das, was die Arbeiter auch als Lohn erhielten. Aber sie mussten nicht schuften, sondern konnten stattdessen mit einem Ball in frischer Luft auf grünem Rasen spielen und dafür auch noch bejubelt werden. Sie repräsentierten ihre Klasse, ihre Region, ihre Stadt oder ihr Viertel und stammten daher. Auf Schalke verdienten die Spieler kein Geld. Sie fuhren zusammen mit den anderen in den Schacht. Allerdings sahen die Kumpel zu, dass sie nicht zu hart arbeiteten, damit sie noch Kraft für das Training und das Spiel am Samstag Nachmittag hatten. Und natürlich kriegten sie eine Stulle mehr zugesteckt.

Mit der Einführung der Bundesliga und dem Profifußballs veränderte sich das. Zwischen dem Publikum und den Spielern, aber auch den Vereinen, mittlerweile von CEOs geführt, ging die Schere immer weiter auseinander, finanziell aber letztlich auch kulturell. Die Spieler kamen nicht mehr aus der Region und repräsentierten auch nicht mehr die Menschen, die ins Stadion gingen. Das merkten die Leute natürlich und das machte sie wütend. Vielleicht sind die Hooligans letztlich ein Ausdruck dieser Entwicklung. Was die Arbeiter in England einmal angefangenen hatten, die Bezahlung der Fußballspieler, war zugleich auch der Anfang vom Ende des Fußballs als Arbeitersport. Die Diskussionen aber gehen nach wie vor weiter. Mittlerweile ist ein Level der Ökonomisierung  erreicht, der es den Fußballanhängern schwer macht, ihr Spiel zu lieben.

Ein Stadionbesuch ist teuer, ein Fernsehabo ebenso. Die Spieler haben keinen Kontakt mehr zum Publikum. Im Gegenteil wird alles getan, dass die Berührungspunkte möglichst wenig und wenn, dann kontrolliert stattfinden. Um auch das Spiel kontrollierbarer zu machen, sitzen Schiedsrichter in einem Keller in Köln und greifen von dort in das Spiel ein. Ein grade bejubeltes Tor, ist auf einmal keines mehr. Grund dafür ist der Wunsch der Vereinsverantwortlichen, nicht wegen Fehlentscheidungen von Schiedsrichtern hohe Summen zu verlieren. Die hohen Summen kommen vor allem ins Haus, wenn ein Verein international mitspielt. Und wo viel Geld im Spiel ist, ist meist auch die Korruption nicht weit. Einmal im internationalen Geschäft angekommen, können Vereine sich meilenweit von den anderen absetzen, was die Finanzierung ihrer Kader betrifft. In Deutschland ist es mittlerweile so gekommen, dass nur noch ein Verein Meister wird. Und jede Meisterschaft mehr garantiert, dass Bayern München wieder Meister wird. Der Verein ist inzwischen in der Lage, sich die besten Spieler der Welt zu kaufen. Und den Fans der anderen Clubs bleibt nichts anderes übrig als über ihre Geschäftsführer, Trainer, und Spieler zu motzen.

Bei der Nationalmannschaft gab es ähnliche Entwicklungen. Angefangen als „Helden von Bern“ und geendet als „lustlose Millionaros von Katar“. Wobei das Einholzen auf die Mannschaft absurde Züge annahm, denn Deutschland war nur ganz knapp ausgeschieden. Allerdings sind Nationalmannschaften ein gesonderter Fall. Denn sie repräsentieren Nationen und damit wird das Ganze hoch politisch. Diese WM jedenfalls hat das besonders deutlich gemacht, denn die Katarer haben die WM nicht ausgerichtet, weil sie diesen Sport so lieben, sondern aus rein politischen und ökonomischen Gründen. Es ging dem kleinen Land darum sich gegenüber den anderen arabischen Nationen zu behaupten, sich weltweit bekannt zu machen, um Touristen zu gewinnen und Gas und Öl, demnächst wohl auch Wasserstoff, zu verkaufen. Und mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine musste die Bundesregierung gleichzeitig in Katar vorstellig werden und quasi um Gas betteln. Während in Deutschland Fußballfans zum Boykott von Katar aufriefen und der DFB und Politiker ihre Proteste aufgriffen, um sich als fortschrittlich-demokratisch zu präsentieren. Denn irgendwie musste ja verdeutlicht werden, dass man sich nicht hat kaufen lassen. Und so kam es wie es kommen musste, wenn man auf zwei Hochzeiten tanzt.

Aber die Fans protestierten nicht nur wegen der Lage der Menschenrechte in diesem Staat, der Korruption und den toten Bauarbeitern, sondern auch, weil dieses Land mit Fußball überhaupt nichts am Hut hat. Gekaufte Fans sind quasi der Horror schlechthin für jeden Fußballanhänger, denn die meinen es ja ehrlich und lieben ihre Mannschaft beziehungsweise ihren Verein. Der FIFA jedenfalls ist es nachhaltig gelungen zu zeigen, dass das gar keine Rolle spielt, sondern, dass hier lediglich ein gutes Produkt plus Katar verkauft werden sollte. Allerdings ein Produkt, dass es in sich hat. Es wehrt sich nämlich und tut nach wie vor unberechenbare Dinge, so wie der Ball eben auch, vor allem wenn er zu Fuß gespielt wird.

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thomas weigle
thomas weigle
2 Jahre zuvor

Der erste Ball in D. rollte 1875 in Braunschweig an einem Braunschweiger Gymnasium. Darauf machte bereits 1963 Gerd Krämer in seinem interessanten Buch „An Tagen,da das Endspiel war“,aufmerksam. Die ARD zeigte vor einiger Zeit einen Spielfilm zum Thema. Gerd Krämer erwähnt übrigens auch die erste engliche Fußlümmelei, wie man das damals nannte, in Bremen.
Ein großer Förderer des Fußballs war auch der damalige Kronprinz,der einen nach ihm benannten Pokal stiftete, der bis in unsere Zeit als „Länderpokal“ausgetragen wurde,aber zunehmend in der Bedeutungslosigkeit verschwand.
Der Aebeitersportbund trug in der Zwischenkriegszeit bis 32 eigene Länderspiele aus,wobei bei den Ligaspielen dieses Verbandes meist die Torschützen NICHT namentlich genannt wurden-auch hier setzte man sich vom bürgerlichen Fußball ab. Gute Arbeiterkicker,die zum „Klassenfeind“ wechselten,wurden durchaus auch schon mal als Verräter bezeichnet. Ich meine,dass auch der Vater von „Uns Uwe“ einst wechselte.
Der KICKER,der ja offizielles Organ des Süddeutschen Fußballverbandes war,berichtete auch immer wieder mal über die Spiele der Arbeiter,was nicht auf viel Gegenliebe bei den offiziellen Herren stieß.Wie überhaupt,das DFB-Gründungsmitglied Bensemann mit seiner Idee des völkerverbindenden Fußballs kein gutes Standing im nationalkonservativen Verband hatte. Man warf ihm gar vor,englisch zu träumen.
Frauenhagen:“Die andere Nationalmannschaft-Die Bundesauswahl der deutschen Arbeitersportler 1924-1932, Die Werkstatt,Göttingen

P.S Auch hier spalteten die Kommunisten die Arbeiterschaft und gründeten einen eigenen Verband, der ebenfalls einige internationale Spiele austrug.

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