Der Mikrobiologie-Professor Sucharit Bhakdi ist einer der Posterboys der Querdenker-Bewegung. Konnte man ihm anfangs noch abnehmen, dass er „nur Fragen“ stellen wolle, kandidiert dieser Mann mittlerweile für die Partei „dieBasis“, verdient Geld mit Büchern, die von Kritikern als „wissenschaftsfeindlich“ eingestuft werden und lässt sich von Menschen wie Ken Jebsen interviewen. Nun hat Professor Bhakdi sich allerdings mit einem Beitrag hervorgetan, der die bisherigen Entgleisungen in den Schatten stellt. In einem Interview mit dem Titel „Die Impfung! Die Hölle auf Erden!“ erläuterte er zunächst, er sei ja eigentlich ein „Judenbewunderer“, da er ja ein Kunst- und Musikliebhaber sei.
Irgendwann enden alle modernen Verschwörungserzählungen in Antisemitismus. Hier in der typischen Version des Corona-Schwurblers Sucharit #Bhakdi, der sich völlig unbewusst um Kopf und Kragen redet und gar das Gegenteil glaubt.
Typisch für Nachkriegsgeneration Baujahr 1940-60. https://t.co/BVNx0xR9Fp
— Blake (Morgellon-Züchter) (@BlakesWort) July 14, 2021
Aber, offenbar mit Bezug auf die Impfungen in Israel, hätten die Juden eine Hölle auf Erden erschaffen. Er fährt, nachdem er die Verfolgung durch Nazi-Deutschland erwähnt, fort:
“Die Juden haben ihr Land verwandelt in etwas, was noch schlimmer ist, als Deutschland war. […] Das ist das Schlimme an den Juden. Sie lernen gut. Es gibt kein Volk das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt. Und umgesetzt.”
Wer ist dieser Mann, der, anstatt seinen Ruhestand zu genießen und sich auf seinen Lorbeeren als hochgeschätzter Wissenschaftler auszuruhen, immer tiefer in den Sumpf der Verschwörerszene abzudriften scheint? Vielleicht hilft es, sich an den Uni-Professor Bhakdi zu erinnern, den ich selbst vor 20 Jahren in der Vorlesung hören durfte. Um die Jahrtausendwende habe ich Medizin in Mainz studiert. Bhakdi war zu dieser Zeit dort der Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene. Ich muss zugeben, dass ich als Student kein fleißiger Besucher von Vorlesungen war. Ich habe meistens lieber in meinem eigenen Tempo aus Büchern gelernt und habe früh festgestellt, dass jemand, der gut in seinem Fach ist, deswegen noch lange kein guter Lehrer sein muss. Aber die Mikrobiologie-Vorlesung bei Herrn Bhakdi habe ich fast nie verpasst. Die war lehrreich, unterhaltsam, ein regelrechtes Event.
Dazu passt eine Anekdote, und es ist sicher bezeichnend, dass Bhakdi diese Anekdote in der Vorlesung selbst gerne erzählt hat. Die Vorlesung fand nämlich um acht Uhr morgens statt. Und das kam so: Früher war – so jedenfalls die Geschichte – die Mikrobiologie-Vorlesung um zehn und sie war gut besucht, während die vorhergehende Veranstaltung eines Internisten nur sehr spärlich wahrgenommen wurde. Der Professor für Innere erklärte das damit, dass die faulen Studenten eben nicht so früh aufstehen würden, um in eine Vorlesung zu kommen. Und, so Bhakdi, daraufhin habe er mit diesem Professor gewettet: Er würde freiwillig tauschen und das Zeitfenster um acht Uhr wählen und er sei sicher, danach sei seine Vorlesung immer noch besser besucht, als die des Internisten. Er sollte Recht behalten. Die Leute kamen extra für Bhakdi um acht und gingen danach wahrscheinlich erstmal frühstücken. Ich denke, es herrschte allgemeine Einigkeit darüber, dass seine Vorlesung die mit Abstand beste war.
Professor Bhakdi war nämlich in der Lage, die Inhalte seines Faches abwechslungsreich und spannend und praxisbezogen herüberzubringen und seine Studenten motiviert zu halten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie er uns erklärte, wenn wir mal einen Feind hätten, dann wüsste er ein Mittel, wie wir dem eine harmlose, zeitlich limitierte, aber unangenehme Lebensmittelvergiftung beibringen könnten. Es folgte eine Erklärung, die mit Nasebohren und Kartoffelsalat mit Mayonnaise und Staphylococcus Aureus zu tun hatte und sehr lustig war. Bhakdi hatte auch ein eigenes System entwickelt, die Inhalte in überschaubaren Paketen abzuprüfen, didaktisch sinnvoll, indem es jede Woche einen kleinen Test zu den Inhalten der Vorwoche gab. Allerdings dienten diese Tests auch dazu, die besten Studenten zu identifizieren. Denn er machte auch keinen Hehl daraus, wie wichtig ihm die Eliten seien, dass er die Spitze finden und fördern wolle. Ich bin nicht mehr ganz sicher, ob er jede Woche die Namen der besten Studenten und Studentinnen vorlas, es würde jedenfalls zu der Atmosphäre passen, die er verbreitete. Auf jeden Fall wurden am Ende des Semesters die leistungsfähigsten Studenten von ihm zum Essen eingeladen. Und ich meine mich zu erinnern, dass das einigen dieser fleißigen Bienchen eher etwas unangenehm war, sich so exponiert zu sehen.
Dass er sich selbst als Teil dieser Elite sah, kam bei seinen Ausführungen stets zur Geltung. Er war gut darin, sich zu inszenieren und wenn das der Preis dafür war, dass man eine lehrreiche und unterhaltsame Vorlesung bekam, nahm man das auch gerne in Kauf. Aber, wie das bei Menschen dieses Schlags gar nicht selten ist, hielt er sich mit Äußerungen zu seiner Person wenig zurück. Es wurde stets klar, dass er uns hier ein großartiges Gesamtpaket anbot, die Mikrobiologie, deren Wichtigkeit er betonte; die besonders gute Vorlesung, von der er eben schamlos selbst sagte, dass sie so gut sei, dass man sie ruhig auf acht Uhr verlegen konnte; die Möglichkeit, durch fleißiges Lernen in den Kreis der Elite aufzusteigen, die er zum Essen einlud.
Und so scheute er sich auch nicht zu sagen, wenn er sich übersehen fühlte. Es war nämlich zu der Zeit, als auch in Deutschland die Angst vor Anthrax-Anschlägen umging. Da wurde auch er interviewt, was er uns gerne berichtete. Aber dann wurde in einer großen Nachrichtensendung (wahrscheinlich das Heute-Journal, ich weiß es nicht mehr), ein Kollege (oder sagen wir Konkurrent) von ihm befragt, obwohl er doch zur Verfügung gestanden hätte, noch dazu in Mainz, wo das ZDF um die Ecke ist! Damit war er gar nicht einverstanden und er hatte keine Hemmungen uns in der Vorlesung zu erläutern, warum man ihn hätte fragen sollen und welche wichtigeren oder richtigeren Sachen er gesagt hätte. Ich fand das schon damals psychologisch aufschlussreich. Aber vielleicht hilft es dabei, sich die Atmosphäre seiner Veranstaltung vorzustellen, wenn ich klarstelle, dass Bhakdi dabei nicht wie ein eingeschnappter Verlierer rüberkam. Er hatte in uns ja ein Publikum, das an seinen Lippen hing und das seinen Erläuterungen zu den Fehlern der Redakteure bei der Wahl der Experten bereitwillig lauschte. Dass Bhakdi für das Interview die bessere Wahl gewesen wäre, zweifelte man nach diesen Erläuterungen kaum an.
Damals strahlte Professor Bhakdi eine glamouröse Energie aus, die ich jetzt in seinen traurigen Videos nicht mehr wahrnehme. Ich habe ihn vor zwanzig Jahren als einen Selbstdarsteller empfunden, aber einen, der auch gute Gründe hat, von sich selbst begeistert zu sein. Und andere mit dieser Begeisterung ansteckte. Ich hatte kein Bedürfnis zu seiner Elite zu gehören, aber ein Tag mit Bhakdi-Vorlesung war auf jeden Fall erfrischender als ein normaler Studientag. Jetzt wirkt er müde und trotzig. Fast so, als wüsste er selbst, dass die Anerkennung und Aufmerksamkeit, die er sich nun mit widerlichen Aussagen wie der jüngsten holt, nur eine schmutzige Substitutionstherapie sind, für den Stoff, der ihn früher angetrieben hat.
Vermutlich liegt in den beschriebenen Charakterzügen tatsächlich eine motivationale Wurzel seines Handelns. Aber es muss noch weitere Zutaten geben, schließlich sind viele andere ebenfalls von sich selbst überaus überzeugte Professoren im Ruhestand nicht diesen Weg gegangen. Schade, dass es zu solchen Fragen keine vergleichenden sozialpsychologischen Studien gibt.
Es mutet immer etwas seltsam an, wenn scheinbar kluge Leute „plötzlich“ durchdrehen. Ganz so, als ob vorher nie etwas auffällig gewesen wäre. Schon wenn sich jemand als „Judenbewunderer“ bezeichnet, sollten die inneren Alarmglocken schrillen. Vom grenzenlosen Bewunderer zum schrankenlosen Hasser ist der Weg oft gar nicht so weit. Die Wortwahl verrät ansonsten auch nicht gerade, dass der Betreffende sich mit kritischen Reflektionen abplagt.
Jedenfalls ist dieser Mensch ein armseliges Exemplar seiner Gattung. Es scheint in seiner persönlichen Umgebung niemand zu geben, der ihm das nahebringt. Auch der Interviewer hat „kein Problem“ mit seiner Selbstdarstellung.
Danke für den Einblick, das hilft das Trauerspiel von Herrn Bhakdi einzuordnen. Die momentane Situation scheint Menschen, die sich über Selbstinzinierung ihren Selbstwert erfüllen müssen eine Bühne zu bieten. Leider scheinen wir Menschen so gestrickt zu sein, dass uns solche Menschen fazinieren. Ein wirklich gutes Vorbild, eine gute Leitfigur ist aber auch selbstreflektiert und seiner Verantwortung bewusst. Es ist enttäuschend wenn sich jemand wie Bahkdi als Hetzredner entpuppt. DIE BASIS-Partei kann man in die Tonne treten und man schämt sich zur Gattung Mensch zu gehören.
Hörte vor 30 Jahren die Immunologievorlesung bei Prof. Bhakdi, er lehrte damals noch an der JLU Gießen. Er ist einer der Professoren, die mir in Erinnerung geblieben sind. Seine Vorlesung war engagiert, unterhaltsam und gut besucht. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er selbst ein fähiger Wissenschaftler mit Durchblick sei. Und so hörte ich auf, als ich das erste Mal im Zusammenhang mit Corona seinen Namen las. Jedoch wurde mir schon nach wenigen Sätzen klar, dass er leider irgendwo falsch abgebogen ist. Es ist ein Trauerspiel, der Bhakdi in den Videos hat nichts mehr mit dem bemerkenswerten Hochschullehrer Bhakdi gemein. Für mich war diese Erkenntnis eine große Enttäuschung…
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