Die Moderne, die Postmoderne, der Wandel der Zeiten. Dem großartigen Matthias Beltz verdanken wir hierzu die Einsicht, dass die Leninsche Schlüsselfrage „was tun?“ (Moderne) abgelöst wurde durch das empathische „wie geht’s?“ (Postmoderne). Beltz ist viel zu früh gestorben; selbst einer wie er konnte nie und nimmer ahnen, zu welch grandiosen Weiterentwicklungen in Sachen menschlicher Wärme und so die spätkapitalistische Gesellschaft noch in der Lage sein würde. „Wie geht’s?“ – Mein Gott, wie unpersönlich!
Okay, auch Matthias Beltz war nur ein Kind seiner Zeit. Was hätte er sonst tun sollen, als die Umgangsformen seiner sozialen Außenwelt zu analysieren. Der angeführte Quantensprung vom „Was tun?“ zum „Wie geht´s?“ liegt dreißig Jahre zurück. Mindestens. Beltz hatte seine Erkenntnis bereits Anfang / Mitte der 1980er Jahre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „Wie geht´s?“ – pah! „Wie fühlst Du Dich?“ So muss das heißen! „Wie geht´s?“ heißt ja schließlich nichts Anders als „Wie geht es?“ Wenn man – aus heutiger Sicht – so recht drüber nachdenkt: eine Unverschämtheit.
„Wie fühlst Du Dich?“ – Ja, es hat sich ganz schön was getan in den letzten Jahrzehnten. Heute lässt sich eine solche Frage – gleichsam ein Dokument der Humanität – ganz unbefangen stellen, ohne dass man Angst haben müsste, seinem Mitmenschen zu nahe zu treten. Aber damals? 80er Jahre. Diese ganzen Typen damals; wir brauchen keine Namen zu nennen. Halten wir uns schlicht vor Augen, wen es damals alles noch nicht gab. Zum Beispiel unser aller Lena. Die gab es überhaupt noch nicht. Unvorstellbar.
Oder bei den Politikern. So einen wie unser aller Baron von und zu Guttenberg. Okay, den gab es zwar schon, jedoch nur in Ansätzen und noch nicht als Politiker. Was war das damals bloß für eine öde Zeit! Keine Lena, kein Ken, und „Wie fühlst Du Dich?“ konnte man außerhalb der Sponti-Szene irgendwie auch nicht so ohne weiteres bringen. Ehrlich gesagt: mir ist das damals gar nicht so aufgefallen. Ich musste schon über Beltz´ „wie geht´s?“ lachen. Mein Gott, was waren wir damals alle kaputt! Total gefühllose Knochen. Entsetzlich.
Wie gut, dass wir heute zivilisatorisch einen Riesenschritt weiter sind. Doch seien wir wachsam! Der Prozess der Zivilisation vollzieht sich bekanntlich auf dünnem Eis. Und unter der Oberfläche der Freundlichkeit ist das Alte noch da. Mitunter auch über der Oberfläche, mitunter auch der Alte. Schäuble zum Beispiel, so ein Politiker der 80er Jahre. Übrig geblieben. Wie der schon aus der Wäsche guckt, macht klar, dass er nicht vorhat, noch einmal als Top-Kandidat in einem Wahlkampf vor sein Volk zu treten.
Dem passt das alles nicht. Den braucht man auch gar nicht erst zu fragen: „Wie fühlst Du Dich?“ Ein Blick in sein Gesicht erübrigt jede Frage, und es hätten sich noch eindrucksvollere Bilder finden lassen als dieses Artikelbild hier. Jetzt hat der alte Knötteropa der „Zeit“ ein Interview gegeben und darin das gesagt, was das ZDF freundlicherweise – siehe Artikelbild – in der Sendung „Berlin direkt“ ganz fett auf den Bildschirm gestellt hat: „Gucken Sie sich nur den Zirkus mit Lena auf der einen Seite oder das Phänomen Karl-Theodor zu Guttenberg auf der anderen Seite an.“
Die Leute vom ZDF hatten es sich nicht nehmen lassen, das Phänomen Guttenberg höchstselbst zu fragen, was er denn so von diesem Vergleich halte, den Kabinettskollege Schäuble mal so ganz nebenbei eingeworfen hatte. Ken – ganz cool lächelnd – „fand das einen wunderbaren Vergleich“. Sie können mir ruhig glauben, ansonsten klicken sie sich einfach bei Minute 14:00 in „Berlin direkt“ hier ein. Die Frage ist freilich, ob man Guttenberg glauben kann. „Wunderbarer Vergleich“ – na, sag´ mal! Ken, wie fühlst Du Dich? Originalton Guttenberg – kein Witz, echt passiert: „Ich fühle mich wie Karl Lena Meyer Guttenrut.“
Wie fühlst Du Dich? Der Bundesminister der Verteidigung fühlt sich wie Karl Lena Meyer Guttenrut. Daraus ergibt sich – m.E. zwingend – die Frage: „Wie geht´s?“ An ihn. Und an uns: „Was tun?“
Moin, Herr Jurga. „Wie fühle ich mich?“ ist doch sozusagen der Rootkey, der Ursprung all meiner Motivationen und der Bewertung der Lage. Sie bezieht alles ein: Wohlstand, Beziehungen, Wetterfühligkeit. Von hier aus schaue und agiere ich aus in die Welt.
„Wie (er)geht es (Ihnen)?“ dagegen stammt aus dem Vormärz, weil es passiv formuliert ist. Die Frage war immer nett gemeint, reflektierte aber, dass man selbst gar nichts dafür kann. Da „Wie geht es (endlich weiter mit der Revolution)?“ rauszuhören, war reines Wunschdenken..
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