Die Musik-Dokumentation ›WE ALMOST LOST BOCHUM‹ erzählt die Geschichte der Ruhrpott AG aus Bochum, eine der coolsten deutschen HipHop-Bands, die nie den Sprung ins kollektive Bewusstsein vollzogen hat. Diese unglaublich gute und berührende Dokumentation berichtet sehr eindriglich über Freundschaft, HipHop, Leben und Tod im Ruhrgebiet.
Irgendwann in den frühen Nuller Jahren. Ich wohne in der Bochumer Innenstadt und schlurfe schlaftrunken zur U-Bahn-Haltestelle Bergbaumuseum, um zur Arbeit nach Dortmund zu fahren. Nur mit mir selbst beschäftigt renne ich in einen großen baumlangen Typen. „Alter“, sagt er, „du wärst aber auch noch besser ein paar Stunden im Bett geblieben.“ Ich grinse, er auch. Wir lachen uns schief. Fortan treffe ich diesen Typen immer wieder – und freue mich über seine Gesellschaft. Es ist Pahel Schulinus Brunis, ein Rapper einer der wichtigsten Hip Hop-Bands aus dem Ruhrgebiet: RAG. Die beiden Filmemacher Julian Brimmers und Benjamin Westermann haben sich viele Woche eingeschlossen und ein wunderbares Porträt über diese Ruhrpott-Crew geschaffen, die den großen Ruhm zwar nicht einheimsen konnte, aber von Kennern, Liebhabern und Experten bis heute geschätzt wird.
Jan Delay erzählt für die Doku vor der Kamera wie er das Wort „Pflaster“ ständig geübt hat, damit es nach Ruhrpott-Slang klingt und auch die Stieber Twins aus Heidelberg loben dieses einzigartige Sound-Paket aus Beats, Rhymes und Style. Es kommt nicht von ungefähr, dass Marteria im Film sagt, warum RAG für ihn eine der wichtigsten Initialzündungen innerhalb des deutschsprachigen Rap-Genres gewesen sind – und auch Curse spricht mit Hochachtung und Würde über die Alben ›Unter Tage‹ (1998) und P.O.T.T.E.N.T.I.A.L. (2001) – ganz so, als ob er er im literarischen Quartett über Johann Wolfgang von Goethe referieren würde: immer in den höchsten Tönen und mit ganz viel Wärme.
Musikalisch erklommen RAG viele Gipfel und sie waren zweifellos wichtige Wegbereiter des deutschsprachigen Hip Hops. Auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel legte sich 1998 für das RAG-Debüt mächtig ins Zeug: ››Es ist der Soundtrack für gepflegte Melancholie mit genügend Gelegenheiten zum Ausbrechen. Die Band gräbt an den HipHop-Wurzeln und sie fördern langsame Beats zutage. Über diese legen sich sparsame Melodien, eine sanfte Trompete, eine Mexiko-Gitarre oder ein Sample – nicht eintönig, aber eingängig. Dazu schweißen Pahel, Galla und Aphroe mit ihrem gleichmäßigen Reimfluß die Lieder zusammen.‹‹
Für ›We Almost Lost Bochum‹ geben die Bandmitglieder einen tiefen Einblick in ihre Gefühlswelt. Pahel wohnt mittlerweile in Washington D.C., die Kamera begleitet Mr. Wiz bei einem Familienbesuch in New York und Karsten Stieneke alias Aphroe zeigt wichtige Orte in Bochum und Herne, wo sich das Quartett in langen Sitzungen im Home-Recording-Studio verrammelt hat, um ihre Tracks in die Welt fliegen zu lassen. Die übrigen drei RAG-Mitglieder wagen sogar ohne Galla im Jahr 2018 ein Live-Comeback. Aphroe sagt: „Wir alle haben unsere Momente im Film, wo wir über unsere Schallgrenze hinaus Sachen preisgeben. Aber die sind auch wichtig, weil wir das auch für uns selber verarbeiten. Am Ende sieht man den Film und weiß, wie es gewesen ist, wie man tickt, und warum manches so gelaufen ist, wie es gelaufen ist.“
Ein Schlüsselmoment ist das Ableben von Rapper Galla. Der ist irgendwann nach Berlin gegangen und probiert mit seiner Freundin in den Jahren von 2004 bis 2006 eine Boutique für Hip Hop Streetwear namens ›Hoodlum‹ zu betreiben. Doch der Laden ist mehr ein Szenetreff zum Leutetreffen, aber zählbare Umsätze werden hier kaum generiert. Darunter zerbricht die Beziehung, Galla geht zurück nach Bochum, doch sein Leben entgleitet ihm. Er versinkt in Drogen und Alkohol, wird sogar obdachlos. Galla verstirbt vereinsamt und vom Leben enttäuscht am 9. August 2011. Kool Savaz bricht im Film eine Lanze für Galla, der aus seiner Sicht einer der warmherzigsten Menschen war, denen er begegnet ist. Und die vielen Fragezeichen hinter dem Tod von Galla werden gegen Ende des Films thematisiert. Die RAG-Bandkollegen geraten dabei kollektiv ins Stocken: DJ Mr. Wiz ringt mit den Tränen, Pahel gibt zu verstehen, dass er seinem alten Freund gern mehr geholfen hätte, das aber nicht möglich war – Aphroe sucht lange nach den richtigen Worten und bleibt sprachlos. So ist eine sensible, leise und umwerfend würdevolle Doku entstanden, die dem Zuschauer viele gute Gedanken mit auf den Weg gibt.
[…] filmische Dokumentation über die Ruhrpott Rapper RAG „We Almost Lost Bochum“ ist eine Klasse für sich. Die Süddeutsche Zeitung urteilte, dass sie „empathisch und nah an den […]