Weißrussland: Geopolitisches Spiel als Mittel gegen die Finanzkrise

Ein Autoladen in einem belarussischen Dorf

Weißrussland, der östliche Nachbar der EU, ist von der Wirtschaftskrise mit am schwersten betroffen. Der Export in die Nachbarländer – nach Russland und Polen – sank auf die Hälfte. Die Lager sind mit unverkaufter Ware überfüllt. Der belarussische Rubel wurde im Januar auf einmal um 20 Prozent abgewertet. Der Durchschnittslohn der Weißrussen sank ebenso um 20 Prozent. Während das Volk sich den Gürtel enger schnallt, knickst Präsident Alexander Lukaschenko in verschiedene Richtungen – mal in den Westen, mal in den Osten. Dabei verspricht er liberale Reformen oder Anerkennung von Ossetien und Abchasien und hofft auf finanzielle Hilfe. Nicht ohne Erfolg.

Die Weltwirtschaftkrise hat auch die entlegensten Ecken Weißrusslands erreicht. Am Rande des Dorfes Galusy im Osten von Weißrussland versammeln sich die betagten Bewohner der Siedlung. Es ist Dienstag, 16 Uhr. Wie immer um diese Zeit soll ein Mercedes-Minibus vorbeikommen. Er bringt in das aussterbende Dorf ein Stück vom Luxus: frische Milch und Brot, gegrilltes Hähnchen, Schokolade und Bonbons, deren Etikette mit nicht-kyrillischen Buchstaben beschrieben sind. Der Bus kommt wie immer pünktlich. Doch abgesehen davon ist nichts mehr, wie es war.

Eine 60-Jährige fragt nach Obst. „Früchte und Limonade haben wir nicht mehr im Angebot“, sagt der Privatunternehmer Ruslan Alexeenko (25), Fahrer und Verkäufer in einer Person. Unter den Kunden sind nicht, wie gewöhnlich, nur Omas, sondern auch ein paar jüngere Frauen. Das sind die Frauen, die wegen Zwangsurlaubs aus Minsk in ihr Heimatdorf zurückgekehrt sind. Doch trotz ihres Besuches verkauft Alexeenko kaum mehr als sonst. Als er Galusy verlässt, zählt er zwei Paletten Brot und eine Kiste Milch, die nicht verkauft wurden. „Das war kein guter Tag“, resümiert der Unternehmer. „Alles wegen der Finanzkrise. Ich muss Preise nach oben treiben, weil die Einkaufspreise für mich auch steigen. Die Dorfbewohner können sich immer weniger leisten“.

Nach offiziellen Angaben stiegen die Lebensmittelpreise in Weißrussland im Januar 2009 im Vergleich zu Dezember 2008 um 3,3 Prozent. Sie wurden in belarussischen Rubeln verglichen. In Anbetracht der Abwertung der heimischen Währung ist der Preissprung deutlich höher. Der Durchschnittslohn der Weißrussen sank im Januar im Vergleich zu Dezember in US-Dollar Äquivalent um 20 Prozent – von 450 USD auf 330 USD.

Zuerst wollte der belarussische Präsident Lukaschenko nicht zugeben, dass es in Weißrussland wirtschaftliche Probleme gibt. „Es gibt keine Krise im Lande, und es wird um keine Krise gehen“, sagte er Ende Oktober 2008. Doch bald ließ sich die Rezession nicht mehr vertuschen. Am zweiten Januar 2009 wurde der belarussische Rubel im Vergleich zum US-Dollar und zum Euro auf einmal um fast 20 Prozent abgewertet. Es herrschte Panik in Weißrussland. Die einen stürmten die Banken, die anderen die Geschäfte. Es wurde alles gekauft – Kühlschränke, Mikrowellenherde, Staubsauger – auch das, was seit Monaten in den Ladenregalen verstaubte. Denn die Menschen wussten: Bald werden alle Importwaren sehr viel teurer sein.

„Lukaschenko sagte, dass der weißrussische Rubel sicher ist. Das ist unverschämt!“, empörte sich eine Studentin mit der roten Mütze im belarussischen Regionalzug. „Hör dem Präsidenten besser zu“, sagte ihr die andere Studentin. „Er hat auch gesagt: Wir werden schlecht leben, aber nicht lange.“

Präsident Lukaschenko gab sich weiter optimistisch. „Wir exportieren alles – Motoren, Schuhe, Kleidung. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise zeigen sich wegen der Exportorientierung auch bei uns. Trotzdem müssen wir 2009 mindestens 2.000 bis 3.000 Motoren mehr herstellen als 2008. Es gibt einen Anlass zum Optimismus“, munterte Lukaschenko die Mitarbeiter des Minsker Motorenwerks während seines Besuches bei dem Unternehmen auf. Seine Rede wurde im Fernsehen ausgestrahlt. Dass die Lager der weißrussischen Fabriken voll mit unverkauften Produkten sind, wurde dabei nicht gezeigt.

Das Gesamtvolumen der nichtrealisierten Erzeugnisse der Leichtindustrie beträgt zur Zeit 200 Prozent des monatlichen Produktionsumfangs. Die Regale der belarussischen Geschäfte sind mit inländischen Handtüchern, Geschirr und Waschmitteln überfüllt. Die Schildchen appellieren zu den Kunden: „Kauft das Weißrussische!“ Eine Packung der weißrussischen Flüssigseife kostet zum Beispiel ein Euro, ein Analogprodukt einer westeuropäischen Marke ist 2,5 Mal teurer. Man muss wohl kein großer Patriot sein, um sich fürs Weißrussische zu entscheiden. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt.

Die wirtschaftliche Lage des Landes verschlechtert sich dramatisch. „Die Rentabilität der Produktion ist im Vergleich zu Anfang 2008 um zwei mal gesunken. Fast ein Drittel aller Unternehmen machen Verluste, wie in den katastrophalen 90er Jahren“, schreibt der Professor einer Privathochschule in Minsk Boris Schiliba in der regierungskritischen Zeitung „Narodnaja Wolja“. In der zweiten (es gibt nur zwei) kritischen Zeitung „Nascha Niwa“ schreibt der Wissenschaftler Alexander Tschubrik, dass die Finanzkrise in Europa nur Lettland, die Ukraine, Ungarn und Island noch stärker als Weißrussland treffe. „Nur diese Staaten haben wie unser Land eine dringende Hilfe des IWF benötigt.“ Anfang des Jahres hat der IWF einen Kredit in Höhe von 2,5 Milliarden US-Dollar für Weißrussland gebilligt. Zwei weitere Milliarden USD leiht sich Weißrussland vom Nachbarn Russland aus.

Belarus liegt zwischen der EU und Russland. Lukaschenko weißt die geopolitische Lage seines Landes zu nutzen, um aus der finanziellen Sackgasse rauszukommen. Er spielt gerne Figaro. Letzte Woche besuchte er den russischen Präsidenten Medvedev. Da machte Lukaschenko seinem Kollegen ein weiteres Mal eine Treue- und Liebeserklärung und bekam als Geschenk eine Gaspreissenkung versprochen. Genau eine Woche später, am 17. April, empfängt Alexander Lukaschenko zu Hause den tschechischen Außenminister Karl Schwarzenberg. Von ihm bekommt „der letzte Diktator Europas“ eine Einladung der EU nach Prag zur Gründung der „Östlichen Partnerschaft“.

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David Schraven
Admin
15 Jahre zuvor

Ich glaube dem Wissenschaftler Alexander Tschubrik nicht – er ist zu optimistisch. Weißrussland trifft die Krise härter als Lettland und die anderen Staaten. Ein Land, in dem alles frisiert wird – unter anderem Wahlen – werden erst recht Statistiken frisiert.

Das Problem in einer Diktatur ist, dass ohne freien Wissensfluss die Probleme nicht erkannt werden – bis alles zusammenbricht. Während der momentanen Krise in einer Diktatur zu leben bedeutet, nur mitzukriegen, wie alles teurer wird. Am Ende sind die Wohnungen im Winter nicht mehr geheizt und die Menschen können anfangen, die Rinde von den Bäumen abzuknabbern. Das ist dann der Lohn der Diktatur. Nur dann ist es zu spät und der Diktator sitzt immer noch in seiner warmen Villa.

Mich ärgert, dass die EU dann einspringen muss, um den falschen Zaren Lukaschenko zu retten, denn man kann Menschen in Europa nicht verhungern lassen. Leider wird durch die Nothilfe die Herrschaft der Dikators stabilisiert.

Ich hoffe, die Menschen in Weißrussland können sich befreien. Ich hoffe es echt.

Angelika Wienert
Angelika Wienert
15 Jahre zuvor

„…Ich hoffe, die Menschen in Weißrussland können sich befreien…“

Diese Hoffnung teile ich!

OK
OK
15 Jahre zuvor

Am Montag, den 27. April, trifft sich Lukaschenko mit dem Papst Benedikt XVI. in Italien. Tja.

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