Wer meint, mit der Demolierung des Westens durch woke Eiferer habe es bald ein Ende, übersieht ein wesentliches Merkmal dieser Bewegung: Sie nützt den Starken und schadet den Schwachen. Von unserem Gastautor Florian Friedman.
Der Gipfel der Wokeness, glauben inzwischen viele, ist längst erklommen. „Peak Woke“ wird dieser Silberstreif am Horizont in den USA genannt, wo man bereits seit längerem auf ein Abebben von Identitätspolitik, Cancel-Culture und moralischem Relativismus hofft. So durchgeknallt gerate mittlerweile, was die Non-Binären der Teddybär-Rucksack-Antifa treiben, dass die Toleranzgrenze des Normalbürgers überschritten sei. Jede Gefolgschaft werde schon bald unter Gelächter verweigert, heißt es. Flüsternd dann im Nachtrag: Vielleicht kehre sogar wieder „Normalität“ ein.
Nun läuft das System, dem das woke Denken entspringt, allerdings weiterhin mit maximaler Kapazität. Wahrscheinlicher ist deshalb, dass zwar das Wort „Woke“ aus der Mode kommt, dieselbe Ideologie aber unter neuem Namen fortbesteht – und den Westen weiter demoliert. Die Kurve der Ideengeschichte verläuft selten scharfkantig.
Luxusüberzeugungen
In der Wokeness kulminiert nicht allein – und das sehr unansehnlich – der geistige Niedergang des Westens. Es findet auch eine Weltanschauung ihren Ausdruck, die den Erfolg von Ländern in Bruttoinlandsprodukten misst. Für alle, die genauer hinschauen, nämlich auf die Konsequenzen, offenbart sich eine kapitalbefangene Ideologie. Sie sorgt dafür, dass angeblich sozial besonders sensible wie faire Ideen so gut wie immer den Schwächeren zum Nachteil geraten. Nichts deutet darauf hin, dass diese Keimzelle der Wokeness unschädlich gemacht worden wäre.
Die identitätspolitische Linke ist ein Produkt der Eliten. Wer in diesen tiktok-bekloppten Zeiten noch Restvernunft besitzt, wird einsehen, dass die Pronomen „xier“ und „dey“ ihren Ursprung nicht in einem Rostocker Plattenbau haben. Auch ist es unwahrscheinlich, dass wir einem türkischen Friseur aus Duisburg-Marxloh die Idee verdanken, Rassist sei bereits, wer Irokesenschnitt trägt, aber kein Irokese ist. Woke Überzeugungen stammen aus der Ober- und gehobenen Mittelschicht und werden schrittweise vom Rest der Mittel- und irgendwann auch von der Unterschicht übernommen. Da ein Leben im Wohlstand aber einen anderen Kontext bietet als die Existenzen weniger begüterter Bürger, drohen dem Proletariat desaströse Folgen, wenn es sich unkritisch Überzeugungen Bessergestellter zu eigen macht.
„Ich hatte vor kurzem ein aufschlussreiches Gespräch mit einem Studenten an einer Eliteuniversität“, erinnert sich der US-amerikanische Autor Rob Henderson, der in einem Kinderheim aufwuchs, aber später in Yale studierte und also beide Seiten, die das Ressourcen-Fallbeil hinterlässt, aus eigener Anschauung kennt. „Dieser Student sagte mir, dass, wenn er seinen Tinder-Radius auf fünf Meilen festlegt, etwa die Hälfte der Frauen, meist Studentinnen, angibt polyamor zu sein. Dehnt er den Radius auf 15 Meilen aus, um den Rest der Stadt und ihre Außenbezirke einzubeziehen, sind etwa die Hälfte der Frauen alleinerziehende Mütter.“
Wohlhabende können sich die Folgen neuartiger Beziehungsmodelle wortwörtlich leisten. Die Idee einer sexuellen Befreiung, wie sie in den Sechzigerjahren aufkam, ging von der Oberschicht aus, doch bald begannen auch weniger vermögende Bevölkerungsteile sexuelle Normen zu brechen. Während solche Experimente für die Oberschicht eher eine Phase darstellten, die man in jungen Jahren durchlief und dann zugunsten fester Beziehungen aufgab, zerbrachen, so argumentiert Henderson, die Familien der Arbeiterklasse. Sie verfügten weder über das finanzielle noch über das soziale Kapital, um mühelos zwischen unterschiedlichen Lebensstilen zu wechseln. Im sozialen Brennpunkt fällt es sich – gleiche Schwerkraft hin oder her – nun mal härter als im Nobelquartier.
Henderson führt an, dass 1960 in den USA sowohl vermögende Familien wie auch jene der Arbeiterklasse zu 95 Prozent intakt waren. 2005 lag diese Zahl für Wohlhabende bei 85 Prozent, für die Arbeiterklasse aber nur noch bei 30 Prozent. Er folgert: Ideen wie Polyamorie sind Luxusüberzeugungen, deren negative Konsequenzen nicht von der Elite getragen werden. Eine ihrer Schlüsselfunktionen besteht in ihrem Wert als Gesprächsthema, über das zunächst wohlhabende Schichten Status signalisieren und das irgendwann bis ans Proletariat durchgereicht wird, ohne jedoch dieselben Statuserträge zu generieren. Analog zum Status- bleibt der finanzielle Zugewinn aus.
Auch Rufe nach der Kürzung von Polizeibudgets oder offenen Grenzen gehen in aller Regel aus Luxusüberzeugungen hervor. In den Vierteln der Oberschicht ist Polizeipräsenz von geringerer Bedeutung als in sogenannten Problembezirken, und ein Zustrom von beruflich minderqualifizierten Migranten stellt für die akademisch ausgebildeten Eliten des Westens keine Gefahr dar. Ebenso wenig wie der Clash zwischen westlicher Freizügig- und islamischer Züchtigkeit, der eher im Berliner Wedding als im Prenzlauer Berg zu beobachten ist. Kurz: Der Normbruch, den Orthopäde und Lagerarbeiter begehen, weil sie dieselben Luxusüberzeugungen hegen, mag derselbe sein – die Folgen unterscheiden sich beträchtlich.
Guerilleros im Kanzleramt
Lifestyle-Tratsch über Gender-Pausen, Lastenräder und rassistische Reisbeutel sorgt für ein warmes, wohliges Gefühl, das Nähe nicht bloß suggeriert, sondern tatsächlich bietet. Der Übergang zwischen Konsens und Kuscheln ist fließend – gerade auf dem Elternabend in der Montessori-Kita. Sagt man beim neuesten woken Schrei mit kenntnisreicher Miene „Ja, bitte!“, dann schmiedet man Allianzen und erhöht seinen Status im sozialen System. So behaglich geht Dissidenz heute.
Der Clou: Die Adepten der woken Doktrin schließen sich einer Wellness-Revolte der Mächtigen an und könnten sich deshalb noch im Kanzleramt feiern lassen. Weil es sich um eine Revolution für und mit dem System handelt, funktioniert das Ganze ohne Risiken. Ob Ayahuasca-Retreat, „Gegen rechts“-Demo oder Aufsichtsratssitzung: Dieser Guerillero-Look besticht immer. Um zu den Gewinnern des Systems zu gehören, muss man es lediglich fertigbringen, seinen Gehorsam als Widerstand auszugeben. Die Ahnungslosen sind hier klar im Vorteil, denn sie müssen sich nicht verstellen. Ihre Performance erweist sich als makellos und zielführend, weil sie von der logischen Möglichkeit Gebrauch machen, absichtlich gegen ein System zu rebellieren und ihm dabei unabsichtlich zu nützen.
Schreib es an eine Wand!
Wellness-Rebellen sind mitunter schwer zu erkennen. Erstens, weil sie oft selbst nicht wissen, dass sie es sind; zweitens, weil sie ihre Weltanschauung, wenn überhaupt, nur sehr vage in Worte fassen. Die frohe Kunde für alle, die es dennoch genauer wissen wollen – der Code zum Herzen der woken Ideologie und damit der Gehorsamsverhältnisse lässt sich durch Interaktion mit der Öffentlichkeit knacken. Folgender simpler Tipp empfiehlt sich etwa, will man herausfinden, wie gefährlich oder ungefährlich ein Gedanke für den Status quo ist: Schreib es an eine Wand!
So übergriffig und infantil die meisten Graffiti auch sind, en masse analysiert bergen sie manchen Erkenntnisgewinn. Wer heute etwa „ACAB“ („All Cops Are Bastards“) auf eine Wand im öffentlichen Raum sprüht, kann erleben, dass der vermeintliche Angriff auf seine Unterdrücker bisweilen viele Jahre stehen bleibt. Auf einem Spaziergang durch eine westliche Stadt läuft man nicht lange, bevor dieses Kürzel zu sehen ist. Sollte der Staatsschutz je die Verfolgung aufgenommen haben – er arbeitet augenscheinlich noch klandestiner als die Urheber der Graffiti.
Es fällt leicht, sich andere Slogans vorzustellen, die umgehend wieder entfernt würden, aber in der Bevölkerung keineswegs Minderheitenansichten darstellen müssen. Sollte die Fantasie nicht ausreichen: Es braucht nur ein DEI-Leitfaden zur Hand genommen werden. Man negiert nun eine der darin propagierten Richtlinien und sprüht den so erstellten Slogan auf eine Wand. Anders als bei Losungen wie „ACAB“, aber auch „Free Gaza!“ oder „Nazis boxen!“, die sich wahrscheinlich neben dem eigenen Graffito finden, kann man jetzt erleben, dass der Schriftzug nach wenigen Tagen, womöglich bereits nach Stunden entfernt wird. Welche Halbwertszeit mag einem „Der Islam ist blöd“ beschieden sein?
Survival of the Coolest
Warum bleibt das ACAB stehen? Woher rührt die Toleranz eines Systems gegenüber jenen, die sich als seine Feinde gerieren? Die kurze Antwort: Das ACAB im urbanen Raum ist kein Widerstand, sondern Unterwürfigkeit. Es signalisiert vorauseilenden Gehorsam.
Auch in einer digital atomisierten Gesellschaft bleibt Homo sapiens ein ultrasoziales Lebewesen. Seine Anlagen drängen den Menschen, Statusgewinn und -verlust zu ständigen Koordinaten seiner Existenz zu machen. Je höher der Status des Individuums in seiner Gruppe, desto höher fällt auch die Chance aus, mehr Nachkommen als andere zu zeugen und so die eigenen Gene weiterzuvererben. Der Wunsch, seine Position im Vergleich zu anderen Mitgliedern der Gesellschaft zu verbessern, ergibt evolutionären Sinn. Sättigte der Mensch in seiner Vergangenheit als Jäger und Sammler seinen Statushunger nicht hinreichend, drohte ihm der Ausschluss aus der Gruppe. Was in den meisten Fällen seinen Tod bedeutete.
Den eigenen Ruf zu pflegen, heißt zu überleben. Status und Macht sind in diesem Fall synonym. Wer seinen Status erhöht, verfügt über mehr Macht – er oder sie kann auf zahlreichere Seilschaften bauen und muss mit weniger Gegenwehr rechnen. Die Fähigkeit, das Denken und Verhalten anderer zu beeinflussen, erhöht sich mit jeder neu erklommenen Stufe der Hierarchieleiter.
Polizisten „Bastarde“ zu schimpfen, kann ein Mittel sein, das in Aussicht stellt, in einer sozialen Hierarchie aufzusteigen. Der ACAB-Sprayer greift zur Sprühdose, weil ihm an Macht gelegen ist – er möchte sich wichtig fühlen. Zwar wirft er sich etwas plump gegen die Staatsgewalt selbst in Pose, doch kann er sicher sein, dass seine Geste vom Establishment als Radical-Chic gelesen wird. Nicht zuletzt gilt er aber vor sich selbst als ziemlich cool.
Selbstbefriedigung als Rebellion
Für den Sprühdosen-Revolutionär führt der hippe ACAB-Schriftzug, den er auf einen Kioskrollladen geschrieben hat, also zu einem Status- und Coolness-Gewinn. Doch seine Handlung ist vollkommen entkoppelt vom vorgeblich intendierten Ziel (Systemsturz). Als politische Tat verläuft sie analog zum Konsum von Pornografie. Es ist, sofern es um das propagierte Ziel geht, nur ein Gefühl von Macht, das ihm zuteilwird, und kein wahrhaftiger Einfluss auf den Staat. So wie jemand, der sich ein pornografisches Video anschaut, Zuschauer bleibt und nur eine Simulation von Geschlechtsverkehr erlebt, verharrt auch der Sprayer in einer passiven Rolle und erlangt keine politische Macht. Seine Revolution ist Masturbation.
Um sich trotzdem weniger klein fühlen zu können, adressiert er in Wahrheit nicht den Staat, sondern seine Peer-Group oder – wenn es besonders gut läuft – eine höhere Schicht, die derselben Illusion erlegen ist wie er selbst. Ein Statusgewinn steht unabhängig davon in Aussicht, ob das intendierte Ziel erreicht werden kann oder nicht.
Als aufrührerisch wird solch untertänigen Vandalismus nur bezeichnen wollen, wer auch Pornokonsum für Sex hält. Der Sprühdosen-Revolutionär übt Macht über den Kioskbetreiber aus, der das Graffito von seinem Rollladen entfernen lassen muss; die Institutionen des Staates lässt er unangetastet. Sie stehen ihm auch nach dem tausendsten ACAB gleichgültig gegenüber. Wer Zweifel daran hat, sei an den Slogan erinnert, mit dem die Bundespolizei letztes Jahr auf Großplakaten am Berliner Alexanderplatz um Nachwuchs warb: „All Cops Are Beautiful.“
Das Schweigen der Hofschranzen
Das ACAB ist ein Marker. Es signalisiert dem System und allen, die dazugehören wollen, wie unkonventionell und also tugendhaft der Sprayer unter den Prämissen des Establishments ist. Es schließt die Reihen der Willigen, für die es – ganz dem Zeitgeist entsprechend – keine Erläuterung braucht, welcher Konventionen man sich denn nun eigentlich entledigt hat. Das Kompliment sitzt ohne Gehalt, denn der würde auch keine Funktion erfüllen.
Die Freiheit des Sprayers von Konventionen besteht in Wahrheit darin, alles tun zu können, was er möchte, solange es unwichtig ist. Sollte seine Unzufriedenheit ein kritisches Maß erreichen, wird sie in vorgeblich progressive Protestbewegungen kanalisiert, die für das System genauso harmlos bleiben wie das ACAB am Kioskrollladen (Black Lives Matter, Fridays for Future …). Das opportunistische Bedürfnis, dem solche Organisationen ihren Zulauf verdanken, ist häufig schon an ihren Namen zu erkennen – landläufige Meinungen werden als aufsässige Gedanken ausgegeben. Wer, abgesehen von einer Handvoll Sonderlinge, die ihr Gamer-Dasein noch im Jugendzimmer fristen, würde heute behaupten: „Black lives don‘t matter.“
Hierin liegt seit Langem das größte Versagen der angeblich progressiven Sicht auf die Dinge: Sie schmäht wie beim ACAB, wo dies unnütz bleibt, und feiert dafür Bewegungen, deren Impotenz jedem bewusst sein sollte, der in der Lage ist, Gender-Pausen als unterwürfiges Schweigen des hippen urbanen Hofschranzentums zu deuten.
Konsensmechanik
Wie kommt es zum seltsamen Teamwork zwischen herrschender Schicht und jenen, die vorgeben, sich im Widerstand gegen die Mächtigen zu befinden? Immerhin werden keine direkten Anweisungen von oben erteilt, die klarmachen, welche Überzeugungen man besser haben sollte, um als Teil des (Schein-)Widerstands wahrgenommen zu werden. Kein Einsatzbefehl, keine „smoking gun“?
In den meisten Kreisen unseres Landes, die Einfluss ausüben, existiert ein weltanschaulicher Konsens, der aus einer Wechselwirkung zwischen Hochschulen, Presse und Politik hervorgeht. Es handelt sich um einen Bottom-up-Prozess, der hier nicht anders voranschreitet, als es bei der Entwicklung von Redewendungen oder Musikstilen der Fall ist: dezentral und selbstorganisiert.
Einhelligkeit entsteht in der woken Scheinherrschaft des Volkes stillschweigend durch gegenseitige Beeinflussung innerhalb dezentraler Netzwerke. Ideen, die in solchen Netzwerken Anklang finden, verbreiten sich und gewinnen an Stärke; andere Ideen, die weniger Aufmerksamkeit erhalten, verblassen. Woke Glaubenssätze gehören zu jenen ideologischen Mustern, die diesen nicht-biologischen evolutionären Selektionsprozess überdauern. Sie tun dies, weil sie für die meisten, die sie akzeptieren, von sozialem Vorteil sind. Evolutionär gewendet: Sie erweisen sich als adaptiv, während vormaliger Common-Sense sich als maladaptiv herausstellt. Ein Schlüssel zum Machterhalt in so einem System ist nämlich, dass keine der Ideen, die sich durchsetzen, wahr sein muss. Auch offenkundiger Nonsens erleichtert Journalisten, Politikern und Hochschulpersonal ihre Karriere, solange er den informellen Konsens nicht stört. Um als Tugendorden zu taugen, hat die Idee lediglich in den Farben des Regenbogens zu schimmern. Hierin besteht der eigentliche Selektionsdruck.
Die sozial und finanziell gut abgesicherte Elite kann sich bei alldem in Sicherheit wiegen, auch wenn dieses System ihr keinen direkten Hebel bietet, wie er sich etwa in Diktaturen findet. Es werden schließlich nur jene Meinungen in der Bevölkerung geduldet, die zur erwünschten Einigkeit passen. Einer der größten Vorteile von Bottom-up-Regimen besteht darin, dass der Druck auf oppositionelle Kräfte aus unzähligen Richtungen gleichzeitig aufgebaut wird. Echter Widerstand lässt sich gegen eine solche Oligarchie auch deswegen nur schwer leisten, weil es keinen ausdrücklich formulierten Masterplan gibt, der sich entdecken und bekämpfen ließe. Die Selbstorganisation des Systems verwischt die meisten Spuren, auf die wahrhaftige Dissidenten sich einen Reim machen könnten.
Cargo-Kult der Spießer
Die politischen Überzeugungen des woken Spießertums müssen opportunistisch bleiben, weil sie nur so als Knotenpunkte in den sozial und monetär ertragreichen Netzwerken der statusbewussten Bildungsschicht taugen. Und nur so kann wie beim ACAB-Sprayer das Kunststück vollbracht werden, sich als aufständische Avantgarde zu geben, tatsächlich aber Solidarität mit dem System zu bekunden und es zu stärken statt zu schwächen.
Als Mitläufer nutzt der linke Spießer Praktiken, die denen echter Widerständiger ähneln. Er tut dies aber bloß in jenen Punkten, die für das Erreichen des vorgeblich intendierten Ziels irrelevant sind. Anstatt die internen Mechanismen echter Auflehnung in Gang zu setzen, wird von einer Oberfläche auf die nächste geschlossen und immer so gehandelt, dass dem System kein Schaden droht. Wissen über die wirklichen, tieferreichenden Kausalketten fehlt in rauen Mengen. Die mit magischem Denken aufgeladenen Handlungen der vermeintlich Widerständigen sind in keinen physischen Vorgang eingebunden, der das Fundament des beanstandeten Systems untergraben könnte und bleiben daher schieres Ritual. Sie erinnern an einen Cargo-Kult.
So fällt auch nicht weiter auf, dass es sich bei vielem, was die einflussreichen Schichten aus Hochschulen, Politik und Presse verbreiten, um schieren Unsinn handelt. Wie in jeder erstklassigen Bürokratie muss niemand wirklich Rechenschaft ablegen. Die Professoren, die für die meisten absurden Gedanken der Wokeness verantwortlich zeichnen, können die Politik einer elenden Umsetzung ihrer Ideen bezichtigen und so die Schuld von sich weisen. Die Regierenden wiederum fühlen sich von Journalisten beeinträchtigt, während selbige sich auf (vermeintlich) begnadete Professoren, soll heißen: „die Wissenschaft“, berufen und die Parteien so auf einen wahnwitzigen Kurs nach dem anderen nötigen. Dass weder die Medienvertreter noch ihre Vordenker aus den Universitäten von den Bürgern gewählt wurden, kümmert dabei kaum jemanden. Der öffentliche Dienst setzt um und stellt keine Fragen.
Die Rechnung, bitte!
Lange nachdem die Revolution gelaufen ist, erklimmen die Aufständigen von der Teddybär-Rucksack-Antifa die Barrikaden und feiern sich für ihren Mut. Markantestes Merkmal der angeblich Empörten: Je schriller der Ruf nach Veränderung, desto geringer die Konsequenzen für das eigene Leben. Die Rechnung zahlen am Ende die Proleten. Auf so viel kann sich der Club der Rechtschaffenen immer einigen. Damit die Konsensmechanik reibungslos weiterläuft, braucht es keinen hochbegabten Bösewicht, keine Weisen der Wokeness, die im Hintergrund sämtliche Fäden in der Hand halten. Eine angemessene Varianz woker Überzeugungen und ein Selektionsdruck, der auf diese einwirkt, reichen aus, um den evolutionären Prozess und damit das System in Gang zu halten.
Und so dreht sich im dezentralen Machtgefüge alles um sich selbst und irgendwie auch um gar nichts. Mit einer dauerhaften Bedingung: Wo die Wokeness siegt, verlieren die Sozialschwachen. Das vielleicht Tragischste daran ist, wie viele sich freiwillig als Kanonenfutter für eine Aristokratie opfern, zu der sie nie gehören werden. Mit Luxusüberzeugungen bewaffnet steuert man gemeinsam am „Peak Woke“ vorbei. Zur Sonne, zur Dividende! Bis das Inkassobüro klingelt.