Richard David Precht und Harald Welzer haben in ihrem Buch „Die vierte Gewalt“ mit dem Journalismus in Deutschland abgerechnet. Sind sie am Ende nur beleidigt, weil sie mit ihren Thesen zum Krieg in der Ukraine selbst in die Kritik gerieten?
Vieles, was in Richard David Prechts und Harald Welzers Buch „Die vierte Gewalt“ steht, ist falsch: Journalisten versuchen nicht, sich aneinander anzugleichen, denn sie leben davon, nicht dasselbe zu schreiben wie ihre Kollegen. Die Leitmedien – in dem Buch werden so Welt, FAZ, Spiegel, taz und Süddeutsche bezeichnet – stehen in Konkurrenz zueinander. Auch gab es zum Thema Corona nicht die eine Meinung, die von allen übernommen wurde. Oft kamen Redakteure aus unterschiedlichsten Ressorts wie Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Feuilleton bei ihrer Arbeit an einer Ausgabe zu unterschiedlichen Ergebnissen: Während im Feuilleton vor den Auswirkungen der Pandemiemaßnahmen auf die Freiheit gewarnt wurde, das Wirtschaftsressort ihre Auswirkungen auf Unternehmen und Wohlstand beschrieb, erklärte die Wissenschaftsredaktion den Stand der medizinischen Forschung. Auch der Vertrauensverlust in die Presse, den Precht und Welzer gleich zu Beginn ihres Buches schildern, ist bei näherer Betrachtung nicht so dramatisch wie von ihnen beschrieben: Im Herbst 2015 vertrauten nach Zahlen der Europäischen Kommission in Deutschland nur noch 46 Prozent den Printmedien, im Winter 2021/22 waren es 56 Prozent. Zwischendurch, im Herbst 2019, lag die Zahl derjenigen, die den Medien vertrauen, sogar bei 60 Prozent. Nur noch 30 Prozent der Bürger vertrauten hingegen im Sommer dieses Jahres den Parteien. Eine Zahl, die deutlich bedenklicher ist.
Precht und Welzer haben allerdings so manches in ihrem Buch geschrieben, das die Meinung vieler bestätigen wird, die Ressentiments gegen Journalisten haben: Sie werden als eitle Herdentiere beschrieben, die nicht mehr recherchieren, sondern moralisieren und nah der Meinung der Regierung sind. Und früher war sowieso alles besser: Die guten Journalisten, die von den beiden Autoren geschätzt werden, wie der einstige FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, sind längst tot. Mit den Lebenden haben sie ihre Probleme: Geht es in dem Buch um Robin Alexander (Welt), Jürgen Kaube (FAZ) oder Melanie Amann (Spiegel), hat man als Leser den Eindruck, Welzer und Precht leben ihre persönlichen Animositäten aus.
Dabei sind die Autoren keine Außenstehenden, sondern fester Bestandteil der Medienszene, ja Medienphänomene. Sie sind nicht nur Bestsellerautoren, sondern Stammgäste in Talkshows, veröffentlichen in den von ihnen gescholtenen Leitmedien Gastbeiträge und geben immer wieder lange Interviews. Ihre Bücher werden ausführlich besprochen. Welzer hat gut daran verdient, Vordenker der Postwachstumsökonomie zu sein, Precht stieg, wenn nicht zum Hausphilosophen, so doch zum Küchenphilosophen des Landes auf.
Aber es gab bei ihnen einen Bruch im Verhältnis zu den Medien: Welzer und Precht sehen die Unterstützung der Ukraine skeptisch. Sie warnen davor, Putin könne einen Krieg gegen den Westen beginnen, wenn dieser schwere Waffen liefere. Mit dieser Meinung stehen sie nicht allein da: Viele Menschen – gerade in Deutschland – haben Angst vor einem Atomkrieg und nicht davor, schwere Waffen wie Panzer an die Ukraine zu liefern. Die Mehrzahl der Journalisten sieht das anders und fordert in Kommentaren mehr Hilfe für die Ukraine. Sie folgen dabei weniger einem Gefühl als den oft begründeten Ansichten vieler Militärexperten und Historiker. Für ihre Haltung wurden die beiden Autoren oft kritisiert. Im Gegenzug werfen Welzer und Precht den Medien vor, die Meinung der Kritiker der militärischen Unterstützung zu ignorieren und Aktivismus zu betreiben.
Dass Harald Welzer sich darum sorgt, dass die Ansichten großer Teile der Bevölkerung ignoriert werden könnten, ist ebenso neu wie seine Ablehnung von aktivistischem Journalismus. In seinem 2013 erschienenen Buch „Selbst denken“ sah er die Menschen noch als eine zu manipulierende Masse: „Man braucht daher auch keine Mehrheiten, um Gesellschaften zu verändern; andere kulturelle Modelle und Praktiken diffundieren dann in die Gesamtgesellschaft, wenn sie von Minderheiten in allen relevanten gesellschaftlichen Schichten getragen werden. Drei bis fünf Prozent der Bevölkerung reichen unter dieser Voraussetzung, um einen tiefgreifenden und nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel in Gang zu setzen.“. Und zu den relevanten Schichten, die bei der Erziehung der Menschen zu nachhaltigen Grünbürgern vorangehen sollten, zählte er auch Journalisten: „Eine Politik für eine nachhaltige Moderne wird also nur dann einflussreich, wenn es überall Avantgarden gibt, die eine neue Geschichte erzählen: Es müssen drei bis fünf Prozent der Unternehmer und Vorstände sein, die sich in diese Geschichte einschreiben, drei bis fünf Prozent der Unterhändler auf den internationalen Klimaverhandlungen, drei bis fünf Prozent der Staatschefs, drei bis fünf Prozent der Professorenschaft, der Lehrer, der Polizistinnen, der Anwälte, der Journalisten, der Schauspielerinnen, der Hausmeister, der Arbeitslosen usw.“. Journalisten sollten seiner Ansicht nach Geschichten erzählen. Recherchieren, kritisch nachfragen? Das alles schien ihm damals offenbar nicht besonders wichtig zu sein. Und ob die Mehrheit davon träumte, Teil einer „nachhaltigen Moderne“ zu sein, die auch in seiner Beschreibung mit massiven Wohlstandsverlusten einhergehen würde, interessierte ihn nicht.
Auch das Moralisieren sah er damals eher als Methode denn als Problem: „Die Moralisierung der Produkte hat insbesondere dadurch Auftrieb bekommen, dass eine Reihe von Umweltaktivisten vom politischen Mittel des Protests zum effektiveren Mittel des Campaigning übergegangen waren: »Greenpeace« und zahlreichen anderen Nichtregierungsorganisationen wie »Robin Wood« oder »Sea Shepherd« schien es vor 30 Jahren erfolgversprechender, durch gezielte, oft spektakuläre und riskante Störungen des Normalbetriebs der Energieversorgung oder der Fischereiwirtschaft Unternehmen unter Druck zu setzen, indem sie öffentliche Aufmerksamkeit auf ihre zerstörerischen Praktiken lenkte – man enterte Schornsteine oder sabotierte Walfänger durch halsbrecherische Manöver mit Schlauchbooten. Die Filmdokumente über solche spektakulären Aktionen gewannen erwartungsgemäß in den Mediengesellschaften hohe Aufmerksamkeit und schufen Identifikation mit den mutigen Frauen und Männern auf den Schornsteinen oder in den Schlauchbooten, trugen also sowohl zur Durchsetzung des politischen Anliegens der Organisation wie zu ihrer eigenen Imagebildung bei.“.
Wenn Umweltgruppen Medien auf ihre Seiten ziehen, hat Welzer damit kein Problem. Wenn das Leid der Ukrainer und die Expertise von Militärs und Historikern sie überzeugt, offenbar schon.
2018 sagte Precht dem Spiegel in einem Interview anlässlich des Erscheinens seines Buches „Jäger, Hirten, Kritiker. Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“: „Warum finden die Menschen es auf einmal unsittlich, dass die Digitalkonzerne machen, was sie immer gemacht haben: Daten abschöpfen, Menschen ausspionieren, Daten weitergeben, Profile erstellen? Sie finden es unsittlich, weil es Trump genutzt hat. Wenn Cambridge Analytica die Daten an Bernie Sanders gegeben hätte, wäre der Aufschrei wahrscheinlich sehr viel kleiner, obwohl der eigentliche Skandal nicht die Weitergabe an Trump war, sondern, dass man Personendaten ohne detaillierte Zustimmung überhaupt kommerziell weitergeben kann.“.
Was Precht hier als naiv beschreibt, ist der rote Faden, der sich durch „Die vierte Gewalt“ zieht: Welzer und Precht schmollen, dass sie in die Kritik geraten sind, dass sie von den Medien nicht als ernstzunehmende Experten hofiert werden und ihre Ansichten nicht von den meisten Kommentatoren geteilt werden. Man ahnt: Würden Melanie Amann, Robin Alexander, Jürgen Kaube und viele andere dieselbe Meinung wie Precht und Welzer vertreten, hätten diese ihr Buch vielleicht nie geschrieben. Mit dem Journalismus in Deutschland wäre dann in ihren Augen wohl alles in Ordnung.
So sehen sie einen Veränderungsbedarf. Und sie kennen auch die Richtung, in die sich die Medien entwickeln sollen: Ihnen schwebt eine Ausweitung des öffentlich-rechtlichen Prinzips auf die Leitmedien vor. Die Nähe des Journalismus zum Staat und zur Politik sehen sie auf einmal nicht mehr als großes Problem an. Das passt auch zu den Medien, die sie heute schon als vorbildlich preisen. Journalismus soll nicht mehr allzu kritisch sein, sondern konstruktiv und vor allem soll er offenbar die „nachhaltige Moderne“ preisen:
„Es ist auch politischer Journalismus, die transformative Arbeit jener in der Initiative C40 zusammengeschlossenen Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der fast 100 Städte weltweit zu begleiten, die sich seit 2005 dem Kampf gegen den Klimawandel widmen und dabei deutlich greifbarere Erfolge erreichen als spitzenpolitisch Ziele zu formulieren, die im Jahr 2050 wirksam werden sollen. (…) Ein solcher lösungsorientierter konstruktiver Journalismus wird auch in Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt erprobt – Perspective Daily, FUTURZWEI, constructiveinstitute.org und viele andere heißen die Plattformen, die sich daran versuchen.“.
Harald Welzer ist Herausgeber von taz Futurzwei, was nur kurz am Anfang des Buches erwähnt wird, einer „vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift für Politik und Transformation.“ und Vorsitzender der Futurzwei-Stiftung. Staatsferne liegt dieser zumindest was die Finanzierung betrifft, nicht am Herzen: Die Bundeszentrale für politische Bildung und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt, deren Kuratorium von der Bundesregierung berufen wird, gehören zu den Förderern der Stiftung.
Auch bei Perspective Daily fördert die Bundesstiftung. Die Gründung von Perspective Daily wurde zudem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt.
Welzer und Precht wollen keine kritischen, unabhängigen Medien. Ihr Verhältnis zu Journalisten, Verlagen und Sendern ist rein instrumentell: Wer schreibt und sendet, was sie für wichtig halten, gehört zu den Guten. Wer ihnen widerspricht, ist unseriös. Und die Nähe zum Staat ist für sie auch kein Problem, solange der das Geld für Projekte gibt, die sie schätzen oder an denen sie beteiligt sind.
Precht hat im ZDF erklärt, dass die New York Times mit ihrer Frage an die US-Regierung danach, ob alle Folgen der aktuellen Außenpolitik ausreichend betrachtet würden, kritischer sei als deutsche Zeitungen. Gleichzeitig schreiben Precht und Welzer auf Seite 16 ihres Buches „Die Landschaft der Qualitätszeitungen in den Vereinigten Staaten zählt mehr Krater als unversehrtes Terrain“. Ein Beispiel unter vielen, an dem die Autoren eine zerrupfte Version der Medien präsentieren. Precht und Welzer zuzuhören oder zu lesen, hat eher den Charakter, Märchenonkeln zuzuhören, die entweder in vergangenen Zeiten, die nur sie noch kennengelernt haben, Vorteile gegenüber heute zuschreiben, oder die von Schneewittchen hinter den sieben Bergen sprechen, die noch schlauer und schöner ist als die JournalistInnen in Deutschland, in denen sie die böse Schwiergermutter sehen, die ihnen den Spass am Märchenerzählen verderben will.
Das Buch habe ich nicht gelesen.
Bei Lanz und aus den Kommentaren zum Werk wird für mich ersichtlich, den beiden gelingt es häufiger bestehende Probleme unserer heutigen Medienlandschaft nicht völlig falsch zu benennen.
Wie auch bei diesem Artikel hier wird gleichzeitig immer wieder deutlich, beide halten Medien, die die eigene Meinung (zum Ukrainekrieg) teilen, für kritisch.
Bei Lanz wurde deutlich, die Alexander und Amann sind sich der Problematiken bewusst. Versuchen dies sogar transparent zu machen und scheinen dann zu glauben, damit wären die Probleme gelöst, zumindest so halb und was besseres ist Ihnen noch nicht eingefallen…
Bei dem Stand der Erkenntnis ist die „Analyse“ von Precht und Welzer nicht mehr als ein destruktive Ärgernis.
Meiner Wahrnehmung nach hatte in den Redaktionen in den letzten Jahren erkennbar eine Einfalt Einzug gehalten, die in peinlicher Weise die Qualität drückte.
Schon vor einiger Zeit steuerte “ Die Welt“ dem in für mich überraschender Weise entgegen. Der Spiegel schien sich nach Relotius zunächst mit einer singulären Personalisierung aus der Affäre ziehen zu wollen. Seit fast einem Jahr sieht das auch dort für mich deutlich vielfältiger aus.
Der ÖRR ist ein träger Kahn, Meinungsvielfalt wird punktuell aber zunehmend sichtbar. Wenn jetzt noch Personal mit gescheiter Allgemeinbildung in den Redaktionen weit gestreut zu finden sein wird, bleiben uns in Zukunft Berichte über energiegewinnende Fernsehgeräte und alberne Berichte zu Genderstudies erspart.
Es besteht Grund zur Hoffnung.
Informieren…..
– nach gründlciher Recherche -ggfls. zeitaufwendig und kostenträchtig-
– alle Fakten werden benannt -kein Aussortieren, weil…….
– keinerlei „Vermischung“ der Informationen mit Kommentaren derselben-
– Faktenrelevanz wird primär nicht bestimmt von der gesellschaftspolitischen „Ausrichtung“ der jeweiligen „Medienmacher
………….
Informieren, ua. auf der Grundlage o.a. journalistischer Selbstverständlichkeiten, anstelle von „Meinungsmache um jeden Preis“, informieren anstelle von „Polemisieren“. informieren ohne Kritik oder Lob, …….
Wenn das „im Prinzip“ durch alle medial Aktiven stets bedacht und regelmäßig beachtet würde, ließe ich m.E. relativ problemlos das für mich wesentlichste Ärgernis bezüglich der journalistische Arbeit in Deutschland „eindämmen“ -in den Printmedien, in den „a sozialen“ Netzwerken, in…..
Wenn es um Meinungen, wenn es um „Meinungsmache“, wenn es um Kolumnen geht, wenn es um sog. Gastbeiträge geht, dann muß diese ausdrücklich und unmißverständlich vorab klargemacht werden, dann muß stets und unbedingt unterschieden werden zwischen einem Streit über Fakten und einem Meinungsstreit und vor allem -sh. einleitend vorab- hat die mediale Priorität der Information zu gelten und nicht dem Ziel der Meinungsmache -um jeden Preis-. Letzteres ist „man“ im übrigen, meine ich, dem Respekt gegenüber jedermann
geschuldet, der fähig und willens ist, sich selbst eine Meinung zu bilden.
PS
Tagtäglich habe ich zur Kenntnis zu nehmen, daß ich durchweg richtig liege in meinen Annahmen darüber, was z.B. BILD, WEL FAZ und FOCUS als die für sie wichtigste Themen angehen, was sie dazu an Informationen liefern -und was nicht (!!)- und wie sie es stets schaffen, diese „ausgewählten“ Informationen ohne strikte r Trennung verbinden mit einungsmachenden Kommentierungen; jedenfalls mit den Bemühungen darrum-.
Stefan Laurin,
d a s ist es , was m i c h umtreibt, wenn ich an „die Medien“ in Deutschland, besser wohl an die “ derzeitigen Medienaktivisten“ in Deutschland denke.
Precht, Melzer und CO…..???
Das Maß an Aufmerksamkeit, an Interesse und der Umfang des Meinungsstreites über sie bzw. über das, was sie sagen und schreiben, erscheint mir , gelinde gesagt, „reichlich übertrieben“. Populistisches Geschwurbel für……??? -sorry-.
Informieren, statt…….
und
wider die Anonymität
Wenn Münchens Ex-OB Ude in einem Interview*) „ohne Wenn und Aber“ Hass und Hetze im Netz anprangert und wider die Anonymität der „Netzwerker“ als eine wesentliche Voraussetzung für das für ihn „unbegreifliche “ Ausmaß an Hass und Hetze benennt, dann ist das für mich einer Erwähnung hier bei den Ruhrbaronen wert, denn auch hier ist die Anonymität wider meine Auffassung von den Grundbedingungen jeglicher Kommunikation zur leider weitestgehend kritikbefreiten Regel geworden .
Wenn Münchens Ex-Ob Ude zudem in den betreffende Interview +)auf die Frage, ob er sich von den Medien weniger Belehrungen und mehr Informationen und Analysen wünscht, antwortet, „treffender könnte ich es nicht sagen, dann halte ich auch das hier bei den Ruhrbaronen für erwähnenswert, da es u.a. zu meinem Beitrag -3- paßt.
+)
interview mit Münchens Ex-OB in SZ-online vom 5. 1o. 20.22-.