Nachdem wir gestern den ersten Teil unseres Interviews mit Wolfgang ‚Wölfi‘ Wendland hatten, folgt folgerichtig heute der zweite Teil.
Und ganz am Ende gibt es dann einen Link zum Podcast mit dem Gespräch in Audioform.
Sebastian Bartoschek (SB): Wir haben ja in Reykjavik einen Comedian, der Bürgermeister geworden war, der am Anfang auch als Klamauk belächelt wurde. Ist es so oder hast du das Gefühl, dass auch in Deutschland dem Berufspolitiker, so es ihn gibt, einfach nicht mehr so viel geglaubt wird und man da vielleicht einfach auch mal sagt: ‚Ich weiß ja nicht, ob der Wendland das jetzt alles hinkriegt, aber ich weiß eins, die Berufspolitiker haben es nicht hingekriegt.‘ Ist das der Trend?
Wolfgang Wendland: Ja, zum einen ist das der Trend. Und zum anderen ist der Berufspolitiker in dieser Situation in Bochum auch vollkommen überfordert. Der Herr Eiskirch von der SPD, der ist momentan im Landtag als Abgeordneter beschäftigt ist, und das Hauptfinanzproblem der Stadt besteht darin, dass das Land Nordrhein-Westfalen der Stadt Aufgaben aufbürdet, die es aber nicht bezahlt, nicht ausreichend. Und das macht 90 Millionen im Jahr aus und das steht sogar im Haushaltsbericht.
„Diskussionen um Geld im Zusammenhang mit den Flüchtlingen finde ich daneben“
SB: Aber wir haben doch das Subsidiaritätsprinzip: wer die Kosten verursacht, muss sie tragen.
Wendland: Ja, es müsste eigentlich so sein, aber ich meine, Herr Eiskirch hätte sich sicher schon 10 Jahre lang dafür als Bochumer Landtagsabgeordneter einsetzen können, dass diese Konnexität wirklich stattfindet. Aber da habe ich noch nie irgendwie eine Aussage in diese Richtung gehört. Im Gegenteil, es ist so, dass er da gar nicht das Problem sieht.
SB: Also ich erlebe die Leute im Landtag und im Bundestag eigentlich eher ihrer Liste, ihrer Partei, ihrer Fraktion verbunden, als dem Wahlkreis, aus dem sie kommen. Würdest du mir zustimmen?
Wendland: Genau das ist ja das Problem. Und ich bin, wenn ich diesen Posten als Oberbürgermeister habe, keiner Partei verpflichtet und es geht ja gerade darum, die Probleme genau zu benennen und dann kann man sie lösen. Es ist zum Beispiel wichtig genaustens zu dokumentieren, nachzurechnen, wo welches Geld fehlt.
Ich höre das seit mindestens fünf Jahren, seit ich als Parteiloser für die Linke in meinem Bezirk in Wattenscheid gesessen habe: mangelnde Konnexität. Für dieses Problem brauchen wir mehr als eine vage Summe von irgendwie 50 bis 90 Millionen. Wir müssen klar benennen, welche Bereiche das sind, das wirklich ganz genau ausrechnen, um diese Forderungen ans Land zu stellen, dem Land zu sagen: Bezahl das! Das ist ein sehr entscheidender Punkt. Und ich glaube, dass die SPD kein Interesse daran hat, weil sie ja auch im Landtag sitzt. Wohingegen mir das ja völlig egal sein kann, weil ich nicht länger als 5 Jahre Oberbürgermeister sein will. Ich will nur diese Sachen mal geklärt haben, um dann auch entsprechend politischen Druck aufzubauen, diese Probleme zu lösen.
SB: Aber dann mal Butter bei die Fische: was sind denn die Bereiche, wo das Land zahlen sollte und es nicht tut?
Wendland: Das ist zum Beispiel diese ganze U3-Betreuung. Aktuell sehe auch diese unsägliche Diskussion über Kosten, die Flüchtlinge verursachen. Ich meine, dass es überhaupt zu dieser Diskussion kommt, ist unnötig. Der Kämmerer der Stadt Bochum, der muss ja berufsbedingt dem Rat mitteilen: mir fehlen jetzt 7 Millionen. Aber wenn das Land rechtzeitig gezahlt hätte, wäre diese Mitteilung nicht notwendig und dann fehlt nichts, denn in diesem Bereich ist das Land eindeutig zuständig.
SB: Würdest du soweit gehen zu sagen, dass dader Kämmerer oder irgendjemand vor Ort seine Pflichten verletzt?
Wendland: Nein, die verletzen nicht ihre Pflichten, sondern das sind Strukturen. Es ist nur so, sagen wir mal, wenn ich jetzt vage sage, mir fehlt das Geld vom Land, dann ist die Pflicht ja quasi erfüllt, aber daraus kann man nicht so eine klare politische Forderung ableiten, als wenn man genauestens ausrechnet, wie viel da fehlt, welche Aufgaben das sind.
SB: Aber stellen wir uns mal vor, du wärst jetzt Bürgermeister und sagst: ‚Mir fehlen hier 7 Millionen für die Flüchtlingsarbeit, liebes Land!‘ Dann würde wahrscheinlich das Land sagen: ‚Aha.‘ Und weiter machen wie bisher.
Wendland: Ich würde nicht bei der Flüchtlingsarbeit anfangen, weil ich die öffentliche Diskussion darüber, ob da Geld notwendig ist, eigentlich blöd finde. Das wird aber eigentlich in Nordrhein-Westfalen vom Land verursacht. Das Land Baden-Württemberg zahl zum Beispiel pro Flüchtling an die Städte ungefähr 1000 Euro im Monat. In Nordrhein-Westfalen sind das diffuse Pauschalen, wo dann was fehlt. Und dass es überhaupt zu Diskussionen um Geld im Zusammenhang mit den Flüchtlingen kommt finde ich ziemlich daneben.
SB: Gut, dann andere Bereiche.
Wendland: U3-Betreuung.
SB: U3-Betreuung, ist ein Thema, das mich auch sehr beschäftigt. Kann denn da ein Bürgermeister einer Stadt mehr machen als etwas sagen?
Wendland: Die Frage ist, ob man das einklagen kann. Ich würde mal vermuten, dass man notfalls auch klagen kann. Im Prinzip werden Verfassungsgrundsätze berührt. Aber ich meine, gut die Stadt kann es nicht, weil sie ja nicht mal einen Rechtsdezernenten momentan hat.
SB: Wieso?
Wendland: Keinen wirklichen.
SB: Weil?
Wendland: Die Frau Jägers ist irgendwie nach Dortmund gegangen und es ist nie ein neuer bestellt worden. Der soll erst bestellt werden, wenn ich Oberbürgermeister bin.
SB: Ein Oberbürgermeister ist immer nur so gut, wie die Verwaltung, die er unter sich hat…
Wendland: Ich würde jetzt nicht „unter“ sagen wollen. Ich denke mal, man muss mit der Verwaltung zusammen arbeiten. Der Begriff der Verwaltung hat zwei Bedeutungen. Es gibt einmal die Verwaltung, wie sie einem in den Verwaltungsvorlagen in diesen Gremien gegenüber tritt. Wo es dann heisst ‚Die Verwaltung empfiehlt.‘
Oder ich habe das als Bezirksvertreter erlebt, dann machst du eine Anfrage und dann kriegst du eine Antwort zurück und die Antwort wirft dann mehr Fragen auf; da ist so eine Unwilligkeit. Man hat den Eindruck, dass wenn eine Anfrage zwei Dezernate berührt, muss die Oberbürgermeisterin selbst oder der Oberbürgermeister selbst unterschreiben – und die einzelnen Mitarbeiter sind natürlich auch bemüht, dem politischen Geist zu entsprechen.
Diese Verwaltung, die solche Verwaltungsvorlagen beantwortet, diese imaginäre, die ist in Bochum ein bisschen merkwürdig. Aber ich glaube, dass die einzelnen Verwaltungsmitarbeiter, dass man mit denen sicherlich gut zusammenarbeiten kann und dass die auch eigentlich über diese Situation, wie sie in Bochum ist, eher frustriert sind, als dass sie das klasse finden.
„Schwachsinnige Nazis demonstrieren,
aber man kann das nicht abschaffen“
SB: Eine andere Sache, die in den letzten Tagen durch die Presse ging, war der Vorgang, dass die Grüne Jugend auf einem Schulhof gegen mit Kreide etwas ‚gegen Rechts‘ auf den Boden geschrieben hatte.
Wendland: Das war ein Platz mitten in der Innenstadt.
SB: Ah, okay. Da hatten die was auf den Boden geschrieben und das wurde dann entfernt, diese Straßenkreide und das hat 265 Euro gekostet, das ist wohl so mitgeteilt worden und ein CDU-Ratsmitglied will jetzt, dass man sich das von den Verursachern dieser Kreideschrift wieder holt. Als ich das gelesen habe, fand ich das ein sehr befremdlichen Vorgang. Wie beurteilst du den?
Wendland: Also ich glaube der CDU-Mensch hat nur nachgefragt ‚Wer zahlt das?‘ Ich denke, dass das so ein gewisser Automatismus ist. Die haben sich von der Polizei erwischen lassen oder sind halt da im jugendlichen Leichtsinn hingegangen und haben gesagt ‚Wir malen hier gegen rechts und das kann ja nicht verboten sein.‘ Dann ist die Polizei gekommen und wahrscheinlich das Ordnungsamt. Und dann ist halt so eine Maschinerie in Gang gesetzt. Ich finde, dass man da ja vielleicht an irgendeiner Stelle überreagiert hat.
SB: Auf welcher Seite?
Wendland: Auf Seiten Polizei und Stadtverwaltung, um das wegzumachen. Auf der anderen Seite denke ich, dass zum Beispiel durchaus, wenn sie Rückgrat hätte, Frau Scholz als jetzige Oberbügermeisterin sagen könnte: ‚Gut, ist jetzt nun mal passiert, haben sie ein bisschen überreagiert, aber die 250 € zahlt die Stadt. Ich schlage den Gebührenbescheid nieder.‘ So wäre es denkbar. Das ist natürlich ein bisschen kompliziert, weil das jetzt speziell die Grünen waren und die Grünen auch wiederum Bochum mitregieren. Das hat dann natürlich auch ein Geschmäckle, wenn es ausgerechnet die regierende Partei wäre, der dann quasi diese Gebühr erlassen würden. Wäre es jetzt irgendeine Antifa Gruppe-gewesen, wäre es jetzt zum Beispiel für die Oberbürgermeisterin einfacher zu sagen: ‚Naja, junge Leute, haben vielleicht alle ein bisschen überreagiert.‘ Aber gut, jetzt ist da ein Sommertheater draus geworden. Es war ja auch irgendwie blöd von den Leuten, sich erwischen zu lassen, die das gemalt haben. Das Demonstrationsrecht gilt für alle, was tragisch sein kann. Tragisch insofern, dass halt schwachsinnige Nazis demonstrieren, aber man kann das nicht abschaffen. Ich finde das Demonstrationsrecht schon sehr wichtig. Man kann nicht die Demokratie abschaffen, um die Demokratie zu beschützen und dazu gehört das Demonstrationsrecht auf jeden Fall. Das ist halt dieser Zwiespalt, der da immer entsteht.
SB: Gibt es in Bochum ein Naziproblem? Bundesweit im Fokus ist immer Dortmund. Wie würdest du das denn in Bochum beurteilen?
Wendland: Ich denke, dass es in Bochum wesentlich weniger Probleme gibt als in Dortmund. Ja. Es war sicherlich schon mal schlimmer. Aber wenn man sich die Kommunalwahlen anguckt und wo dann Pro-NRW und NPD sitzen, ist es auch schon unangenehm. Aber gut, da ist die Frage, ob dagegen wirklich Kreide hilft. Man kann da (überlegt schweigend) – es ist natürlich auch ein schmaler Grad, zu sagen, die paar Nazis, die es in Bochum gibt, rechtfertigen, dass ich gegen andere Gesetze verstoße. Ja, und wenn man es macht, dann sollte man sich nicht erwischen lassen. Aber das bitte jetzt nicht als Aufruf verstehen. Ich bin schon der Meinung, dass man gegen diese Naziproblematik auch unter Beachtung bestehender Gesetze auf jeden Fall ankommt. Inwiefern das Bemalen eines Pflasters mit Kreide überhaupt gegen irgendein Gesetz verstößt, ist die andere Frage….
SB: Da soll „Nie wieder Deutschland“ gestanden haben. Das interpretieren einige als linksradikale Schmierereien.
Wendland: Ich finde den Satz auch blöd. Ich glaube sogar, ich weiß wo das herkommt, ist das nicht diese Marlene Dietrich?
SB: ‚Deutschland? Nie wieder!‘ soll sie gesagt haben auf die Frage, ob sie nach Kriegsende zurückkommt nach Deutschland.
Wendland: Bei ‚Schöner Gigolo – armer Gigolo‘ sollen ihre Szenen in Frankreich gedreht worden sein. Insofern könnte es stimmen. Der Produzent hat mir mal einen Kasten Bier ausgegeben. Ja, aber gut, das ist so ein Satz und der ist auch ziemlich oft mit ihrem Bild plakatiert worden, ob der Hilflosigkeit bestimmter Alternativer in dieser Situation der deutschen Wiedervereinigung. Da habe ich diese Plakate zum ersten Mal gesehen. Aber es ist halt so ein Spruch und der hat sich auch so verselbständigt. Das sind halt so Sachen, genau wie dieses ‚ACAB‘, das sich irgendwie verselbstständigt hat, dass wenn man es ernst nimmt, ist man eigentlich blödsinnig.
„Ich habe doch fünf Jahre lang als Bezirksvertreter agiert, ohne mich auszuziehen.“
SB: Gehen wir mal zwei Szenarien durch. Das eine Szenario ist, du wirst nicht direkt im ersten Wahlgang Oberbürgermeister von Bochum.
Wendland: Damit hatte ich nicht gerechnet. Also ich denke, die Entscheidung kommt im zweiten Wahlgang.
SB: Angenommen, du bist im zweiten Wahlgang nicht einer der beiden, der zur Wahl steht. Würdest du an irgendeinem Punkt sagen, wählt bitte den Kandidaten der freien Bürger oder so?
Wendland: Das sind Fragen, die stellt man sich nach dem Wahlabend, aber ich habe irgendwie den Eindruck, dass ich bisher keinen Kandidaten getroffen habe, den ich ruhigen Gewissens empfehlen könnte.
SB: Jetzt schließen wir dann doch mit einer Klamaukfrage ab, weil die immerhin sechs unserer Leser gestellt haben wollten. Angenommen, du wirst Oberbürgermeister – ich ahne die Antwort – ich stelle trotzdem die Frage: wirst du deinen Amtseid nackt ablegen?
Wendland: Da hatte ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Wer nimmt den Amtseid denn ab? Also nein. Nein – hatte ich jetzt nicht vor.
Es gibt ja viele solcher Fragen, und wer sich da wirklich ernsthaft Sorgen macht, der kann ja den Bezirksstellenleiter oder den stellvertretenden Bezirksstellenleiter anrufen und nachfagen. Die Leute die bei den Sitzungen in Wattenscheid da waren, die hatten ja auch in Wattenscheid erst Sorgen, ich würde da nur Klamauk machen, aber ich habe da doch fünf Jahre lang als Bezirksvertreter agiert, ohne mich auszuziehen und ohne Bierflaschen mitzubringen zur Sitzung oder dergleichen.
Und ja ich habe mich natürlich in manchen Dingen deutlich von den anderen unterschieden.
SB: Wolfang Wendland, vielen Dank für dieses Gespräch.
…und hier dann das Interview als Podcast. Außerdem wird das Gespräch Teil des Interviewbandes „Gedankenwelten 3“ beim JMB-Verlag werden.
<blockquote>Und ja ich habe mich natürlich in manchen Dingen deutlich von den anderen unterschieden.</blockquote>
Da hätte ich mir doch die Nachfrage gewünscht, worin er die deutlichen Unterschiede sieht.