Meine Mitmenschen sind mir nicht egal. Politik ist mir nicht egal. Selbst Tiere sind mir nicht wirklich egal. Aber meist sind mir Tiere weniger wichtig als Politik oder meine Mitmenschen. Aber momentan fühle ich mich manchmal nicht so. Weil alle anderen lauter sind, sich mehr Sorgen machen, mehr Angst haben, und ja, meinem Empfinden nach hysterisch sind.
Dabei geht es mir gar nicht um ein bestimmtes Thema. Es geht mir um alle Themen, also alle Themen, die große Resonanz in den Sozialen Medien haben. Sei es Corona, sei es der Klimawandel, sei es Rechtsterrorismus. Von den vermeintlichen Problemen werde ich schweigen, und sie auch nicht exemplarisch benennen, aber es gibt eben auch Geschrei um Themen, die eigentlich keinen realen Themenwert haben. Ich bin des Geschreis müde. Ich bin es müde, dass jedes Thema durch einen Zyklus des Aufdiespitzetreibens geht, bis dann der Kern nicht mehr vernünftig diskutiert werden kann.
Und ich bin es langsam auch leid, gegen Geschrei mit ruhiger Sprache anzusprechen. Brecht schrieb: „Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser.“ Meine Stimme ist heiser. Aber nicht durch Zorn. Sondern durch die Ratlosigkeit über die Hysterie. Ich würde gerne in Ruhe über Corona sprechen, und durchdeklinieren, was jetzt sinnhaft ist und was nicht. Statt in Alles-oder-Nichts-Rhetorik zu verfallen. Ich würde gerne darüber sprechen, wie wir Rechtsterrorismus eindämmen und am besten verhindern können. Statt die ungezählteste Debatte über die Hufeisentheorie oder gar den Kapitalismus aufgezwungen zu bekommen. Und so geht es bei allen anderen Themen weiter.
Das Geschrei macht müde. Auch wenn man nur daneben steht. Oder vielleicht gerade wenn man nur daneben steht, statt mitzuschreien. Ich habe lange mitgeschrien. Ich dachte, mein Geschrei würde etwas bringen. Den Anderen. Zumindest aber mir. Ich irrte.
Ich weiss auch, dass ich das Rad der Hysterien nicht zurück drehen kann. Niemand kann das – wahrscheinlich. Aber wir alle könnten es zumindest versuchen. Aber ich mag auch nicht mehr appelieren, an andere.
Ich habe nur und nun für mich entschlossen, ruhiger sein zu wollen, oder nein, nicht ruhiger sein zu wollen, ruhiger sprechen zu wollen. Und nein, meine Mitmenschen sind mir nicht egal. Politik ist mir nicht egal. Selbst Tiere sind mir nicht wirklich egal. Aber meist sind mir Tiere weniger wichtig als Politik oder meine Mitmenschen. Aber ich glaube, sie sind mir im Kern immer noch wichtiger als vielen, die schreien.
Nur bekommt das dann mittlerweile kaum jemand mit, weil das Geschrei eben hörbarer ist.
In Zeiten der institutionalisierten Dummheit ist das die beste Reaktion. Wir haben mal geglaubt man müsse sich empören, die Massen mobilisieren. Das alles weil man Indifferenz als problem begriffen hat.
Heute weiss sich das das nur das andere Extrem ist, ebenso schädlich wie Indifferenz oder Gleichgültigkeit und noch lähmender und sinnloser.
Aber gegen die Herde wenn sie schon in der Stampede ist anzutreten, ist aussichtslos.
Sie muss sich erst müde rennnen und ist erst dann in der Lage verdruckst die Opfer wahrzunehmen.
Erst dann sind die Menschen für Vernunft zugänglich.
Dann geht es eine Weile gut, bis die alte Stampede vergessen ist, und die Überzeugung reift, man wäre besser, dann geht es von vorne los.
Die aktuelle Stampede wird ausgesessen werden müssen, weil vorher zwischen Vernunft und Unvernunft nicht unterschieden werden kann.
Bleibt zu hoffen, das kein Abgrund oder Ähnliches im Wege steht, was aus dem Kollateralschaden eine Katastrophe macht..
@ Berthold Grabe # 1
Ja, die Herde ist jetzt in die Stampede eingetreten, angetrieben vom Geschrei in den Medien, das sich Nachrichten nennt, aber schon selbst das Stadium der Stampede erreicht hat. Es ist deswegen hohe Zeit in Deckung zu gehen, wenn man nicht selbst niedergetrampelt werden will.
"Corona:Harte Maßnahmen zahlen sich aus."-"Weniger Geschrei würde mich freuen." Gelebte Meinungsvielfalt!?
Ohne das, was hier Geschrei genannt wird, gäbe es keine "harten Maßnahmen, die sich auszahlen."
Ich war anfangs auch eher zurückhaltend, aber etwas unruhig bin ich jetzt schon geworden.
Arnold Voss -2-
ich denke, um nicht niedergetrampelt zu werden, könnte hilfreich sein, was Sibylle Berg in ihrer Kolumne bei SPIEGEL online zu sagen hat unter der Überschrift " Etwas mehr Nähe, bei körperlichem Abstand".
Zwei Zitate aus dieser Kolumne:
" Denn nie waren die Brutalsten, die als einsame Sieger nach Katastrophen übrig blieben, sondern die Gemeinschaft, deren Mitglieder sich helfen",
"Vielleicht begreifen viele, dass sie alleine nichts sind, es nicht hilft, es nicht wärmt, es nicht glücklich macht, nach Schuldigen zu suchen, andere zu verachten, zu erniedrigen."