„Wenn alles reglementiert ist, wird Lebendigkeit erstickt“

Esther Bockwyt Foto: Privat

Die Psychologin und Autorin Esther Bockwyt hat ein Buch über das Phänomen Wokeness geschrieben und geht dabei auf Aspekte ein, die bislang weitgehend unberücksichtigt blieben.

Ja, es kann gut sein, dass wir den Peak-Woke, den Höhepunkt der Wokeness-Welle bereits hinter uns haben. Nach Jahren in denen der Postmoderne-Irrsinn sich immer weiter ausbreitete, kehrt langsam, aber sicher wieder die Vernunft ein. Spätestens seit den Pogromen der Hamas in Israel steht diese akademische Mode im Abseits: Wer in Israel nur einen Kolonialstaat sehen kann und unter der Parole „Queers for Palestine“ für die islamofaschistische Hamas Partei ergreift, wie es die Propagandisten der Wokeness getan haben, kauft niemand mehr die Empathie ab, welche die Szene zuvor wie eine Monstranz vor sich hergetragen hat. Vielem, die diesem Milieu zuvor noch halbwegs zugetan waren, wurde klar, was Kritiker seit Jahren immer wieder vorgetragen hatten: Die hochgradig aggressiven und selbstgerechten woken Rackets sind nichts anderes als fanatische Feinde der Demokratie, der Menschenrechte und der Aufklärung.

So gesehen kommt Esther Bockwyts Buch etwas spät, was nicht an der Autorin liegt: Wegen Streitigkeiten mit ihrem ersten Verlag erschien es ein Jahr später als ursprünglich geplant. Die Lektüre lohnt sich trotzdem, denn „Woke – Psychologie eines Kulturkampfs“ zeigt Aspekte auf, die in den zahlreichen Büchern, die sich des Phänomens angenommen haben, bislang zu kurz kamen. Bockwyt zeichnet im ersten Teil des Buches die wichtigsten Positionen der woken, postmodernen Ideologie zu Themen wie Rassismus und Geschlecht nach und ordnet sie ideengeschichtlich ein. Alles gut, richtig, aber auch nicht neu. Erst im zweiten Teil zeigt das Buch seine Stärken: Bockwyt, psychologische Gutachterin, Inhaberin eines diagnostisch tätigen Gutachterbüros in Recklinghausen und Autorin zahlreicher Fachbücher, analysiert die Woke-Ideologie und vor allem das Handeln ihrer Aktivisten aus psychologischer Perspektive. So vermittelt sie den Lesern Einblicke, die den meisten bislang unbekannt gewesen sein dürften. Narzissmus, Aggression, Negativverzerrung und gruppenpsychologische Prozesse innerhalb der woken Weltsicht betrachtet Bockwyt aus der Perspektive der psychologischen Expertin. Die Frage, die sie beantworten will: „Wie sieht die woke Ideologie den Menschen als Individuum und als Teil von Gruppen und einer Gemeinschaft und welche Auswirkungen hat gelebte Wokeness auf die Psyche von Menschen?“

Für das oft schon fanatisch wirkende Engagement lässt sie Überzeugungen und Betroffenheit als wichtigste Faktoren schon einmal nicht gelten: „Wissenschaftliche Untersuchungen konnten zeigen, das unsere Hilfsbereitschaft in hohem Maße davon abhängt, ob wir von anderen Menschen beobachtet werden oder nicht. Sieht niemand zu, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass jemand anderen Menschen in Problemsituationen hilft. Wir helfen also primär, um soziale Ächtung zu vermeiden und Anerkennung zu erhalten. Als soziale Wesen bezahlen wir uns im Leben gegenseitig mit Achtung, Wertschätzung und Zuneigung, psychologischer ausgedrückt mit narzisstischer Zufuhr. Dies ist unser primärer Antrieb.“

Zwanghaftes Handeln führt zu einer Gesellschaft, in der die Zwänge den Alltag bestimmen. Der woke Wille, eine hundertprozentige „Gerechtigkeit“ in der Gesellschaft zu erzwingen, legt die Grundlage für eine autoritäre Politik und psychische Probleme. Wenn alles in einer Weise reguliert wäre, schreibt Bockwyt, gäbe es kein spontanes Leben mehr. Es koste viel Kraft, sich so zu verhalten, dass alles gerecht ist. Das Burnout des Zwangserkrankten demonstriere dies: „Die dann notwendige, geforderte und aufgewandte Anstrengung kann keinen Raum für Entspannung geben, sie ist auf reines Funktionieren ausgerichtet. Wenn alles reglementiert ist, wird Lebendigkeit erstickt.“

Aber auch die ursprünglich angestrebte Mitmenschlichkeit ginge durch den reglementierten Zwang verloren, da der menschliche Fokus jetzt auf das Einhalten von Regeln verschoben ist und das Mitfühlen zunehmend erschwert: „Die Psyche ist gefangen. Ist man dem zwanghaften Modus des Erlebens einmal erlegen, gibt es nur noch starre Ordnungen, von denen es keine Abweichungen geben darf. Verbissene Ernsthaftigkeit und eine damit einhergehende Humorbefreitheit gehören ebenfalls zu dieser Dynamik.“

Was Esther Bockwyt empfiehlt ist genau das, was den „Social-Justice Warriors“ der Woken-Szene fehlt, nämlich Gelassenheit: „Wenn wir uns klarmachten, dass eine schwarz-weiße Welt ungesunde Polarisierung zur Folge hat, und wieder aushalten lernten, dass es auch Bedürfnisse gibt, die uns selbst nur auf den ersten Blick fremd erscheinen, würden wir besser erkennen, dass das Ungesunde im Extrem liegt.“

„Woke- Psychologie eines Kulturkampfs“ ist keine Kampfschrift. Das Buch will aufklären und dazu beitragen, verhärtete Fronten aufzubrechen. Dass ihm das eher auf der Seite der vielen Kritiker als auf der der fanatischen Anhänger der Wokeness gelingen wird, liegt in der Natur der Sache: Fanatiker lassen sich nur selten überzeugen und werten jeden Widerspruch und jede kritische Anmerkung als Angriff. Aber da sehr vieles dafür spricht, dass der „Peak-Woke“ hinter uns liegt, kann das Buch eine Brücke sein und helfen diejenigen im woken Lager, die zu Zweifeln begonnen haben, wieder für die Gesellschaft zu gewinnen.

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Transparenzhinweis:

Esther Bockwyt ist Autorin der Ruhrbarone

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nussknacker56
nussknacker56
10 Monate zuvor

Klingt ziemlich interessant, weil es einen völlig unbeachteten Aspekt der woken Pandemie beleuchtet. Die Aussage „Als soziale Wesen bezahlen wir uns im Leben gegenseitig mit Achtung, Wertschätzung und Zuneigung, psychologischer ausgedrückt mit narzisstischer Zufuhr. Dies ist unser primärer Antrieb.“ klingt zwar psychologisierend, dürfte aber – zur allgemeinen Ernüchterung – nichtsdestotrotz zutreffend sein. Wie auch immer, das Buch ist ein guter Tipp.

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