„Wenn der Abstich den Himmel über Duisburg rot glühen lässt, ist das eine existenzielle Erfahrung“

Protest gegen den Arbeitsplatzabbau bei Thyssenkrupp in Duisburg Foto: Laurin


Thyssenkrupp droht in Duisburg 6.000 Arbeitsplätze abzubauen. Die Beschäftigten sind verzweifelt. Sie sorgen sich um ihre Zukunft und die ihrer Familien.

Schon 127 Tage stand die Mahnwache an Tor I des Thyssenkrupp Stahlwerks in Duisburg, als die Arbeiter am Montag die Nachricht erreichte, dass Thyssenkrupp Steel 11.000 Arbeitsplätze abbauen will, 6.000 in ihrem Werk. Vor der Mahnwache stehen sie und protestieren seit Monaten gegen den Abbau ihrer Arbeitsplätze. Ein Feuer in einem Stahlfass schützt sie vor der Kälte des Spätherbstes. Ihre Lage ist nun noch verzweifelter geworden. Einer von ihnen ist Aydin Özer. Der 33-Jährige ist Industriemechaniker, Vater und fährt jeden Tag von Wuppertal ins Werk: „Es ist eine bedrückende Situation und ich mache mir Gedanken über die Zukunft und darüber, wie es mit der Familie und unserem Kind weitergeht“, sagt Özer. „Ich glaube nicht daran, dass hier auch nur ein Arbeitsplatz sicher ist. Es ist so ein Tumult, jeden Tag hören wir etwas Neues aus dem Unternehmen. Niemand weiß, ob sein Arbeitsplatz betroffen ist oder nicht. So kann niemand hier seine Zukunft planen.“

In Duisburg wollen sie in Zukunft Stahl CO2-neutral herstellen. Zwei Milliarden Euro haben der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen in den Bau einer Direktreduktionsanlage gefördert. Für Özer ist das die Zukunft: „Die Politik hat eine Marschroute festgelegt, dass wir CO2-frei produzieren müssen. Unsere Kunden müssen dem ja in ihrer Produktion auch folgen. Wenn uns das gelingt, haben wir eine Chance, Weltmarktführer zu werden, denn beim Thema grüner Stahl sind wir weit vorne.“

Ja, Proteste wird es gegen die Pläne der Unternehmensleitung geben. Aber der Industriemechaniker glaubt nicht daran, dass sie so ausfallen wie 1987, als die Arbeiter gegen die Schließung des Stahlwerks in Duisburg-Rheinhausen gekämpft haben und Brücken im ganzen Ruhrgebiet blockierten: „Wir können nicht außerhalb der Gesetzesordnung protestieren. 2024 ist nicht 1970 oder 1980. Die Normen haben sich auch geändert.“ Und schließlich sei man nicht so wie die Klimaaktivisten der Letzten Generation.

Neben Aydin Özer steht sein Kollege Taycan Aslantin. Der 28-Jährige wird im Januar zum ersten Mal Vater. „Es ist frustrierend, kurz vor der Geburt unserer Tochter so eine Nachricht zu bekommen. Ich mache mir wie die ganze Familie Sorgen.“ Özer hat immer geglaubt, dass er einen sicheren Arbeitsplatz hat. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Gefahr besteht, dass ein Unternehmen wie Thyssenkrupp den Bach runtergehen kann. Das wäre eine Katastrophe, nicht nur für Duisburg, sondern für ganz Nordrhein-Westfalen.“

Seit 2015, als er seine Ausbildung zum Industriemechaniker begann, arbeitet er im Werk. An ihm hingen viele Existenzen. „Was gerade hier passiert, ist angsteinflößend.“

Ali Güzel ist der Vorsitzende des Betriebsrats von Thyssenkrupp Steel am Standort Duisburg Hamborn/Beeckerwerth. Es ist, das ist ihm wichtiger, der größte Stahlstandort Europas. Fünf Mal größer als das Fürstentum Monaco ist das Werk. Eine zehn Quadratkilometer große Fläche mit Hallen, Hochöfen und Schienen, die an den Rhein grenzt.

Der 58-jährige Duisburger arbeitet in der zweiten Generation auf der Hütte. Auch sein Sohn hat hier seine Ausbildung gemacht. Er verhandelt mit der Konzernspitze und organisiert den Protest.

Güzel sagt, es geht um die Zukunft des gesamten Werkes: „Noch können wir hier 11,2 Millionen Tonnen Stahl produzieren. Der Vorstand möchte den Betriebspunkt auf ca. 9 Millionen Tonnen senken, aber viel entscheidender ist die Frage, wie wir unsere Flüssigphase transformieren. Bislang steht nur der Bau von einer Direktreduktionsanlage fest.“ Geht diese in Betrieb, sollen die beiden modernsten konventionellen Hochöfen abgeschaltet werden. Zukünftig sollen auch Stahlbrammen aus dem Ausland importiert und weiterverarbeitet werden.

„Das wäre das Ende der integrierten Hütte, in der in Hochöfen Stahl geschmolzen und dann vor Ort weiterverarbeitet wird.“ Der Betriebsrat sperrt sich nicht dagegen, dass die Produktionskapazitäten angepasst werden: „Der Markt und das politische Umfeld haben sich verändert“, sagt Güzel. Was er vom Thyssenkrupp-Vorstand erwartet, ist ein Konzept, wie es unter den veränderten Rahmenbedingungen weitergehen und die Flüssigphase komplett transformiert werden kann. Im Moment sei der Betrieb stark auf die Automobilindustrie ausgerichtet. Neue Geschäftsfelder auszumachen sei wichtig, aber da käme nichts vom Konzern. Es gehe darum, die integrierte Hütte zu verteidigen: „Deswegen werden wir uns auch gegen jeden unnötigen Angriff wehren.“

Für die Stadt seien die Pläne eine Katastrophe: „An jedem Arbeitsplatz bei Thyssenkrupp hängen vier weitere Jobs in der Weiterverarbeitung, und zudem betrifft es weitere Geschäfte wie Dienstleister, die auf dem Werk eingesetzt werden und den Bäcker um die Ecke.“ Es könne gut sein, dass die Proteste eine Größenordnung wie 1987 haben werden, als um den Bestand des Stahlwerks in Rheinhausen gekämpft wurde: „In Rheinhausen“, sagt Güzel, „ging es damals um 5.000 Arbeitsplätze. Heute geht es um über 11.000.“ Deutschland müsse sich entscheiden, ob es eine Industrienation bleiben wolle.

Duisburg ist eine Stadt, die seit Jahrzehnten gegen den Niedergang kämpft und sich dabei nie aufgeben hat: Der Hafen ist zum Jobmotor geworden, Areale am Rhein werden in den kommenden Jahren im Rahmen der Internationalen Gartenausstellung begrünt, neue Wohnquartiere sollen entstehen. Schon zwei Mal konnte Duisburg, das lange pleite war, aber trotzdem seit den 90er Jahren 559 Millionen Euro im Rahmen des Aufbau Ost in die neuen Bundesländer überweisen musste, die Gewerbesteuer senken, um attraktiv für Unternehmen zu werden. Seit 2012 ist Sören Link (SPD) ihr Oberbürgermeister: „Die Ankündigung von Thyssenkrupp, 11.000 Stellen in Duisburg abzubauen, kam nicht überraschend, sondern ist das Resultat eines jahrelangen Prozesses. Trotzdem schmälert das nicht meine persönliche Enttäuschung über die Unternehmensführung.“ Denn Thyssenkrupp sei Duisburg und Duisburg sei Thyssenkrupp, sagt Link. „Ich bin mir sicher, dass die Belegschaft das auch sehr deutlich machen wird, das wurde mir in etlichen Gesprächen signalisiert. Aber ich habe mir auch ihre völlig berechtigten Sorgen und Nöte angehört. Viele Menschen haben Existenzangst, viele Familien sind seit Generationen eng mit dem Stahlstandort Duisburg verbunden. Da sind jede Menge Emotionen im Spiel – auch bei mir.“

Über dem großen Weihnachtsmarkt, dessen Stände die Duisburger Innenstadt in ein gemütliches Licht tauchen, schlendert Manfred Wulfekotte mit seiner Frau. Der 72-jährige Duisburger ist Rentner. Und er ist wütend. „Ich habe mich sehr, sehr schlecht gefühlt, als ich vom geplanten Stellenabbau bei Thyssenkrupp gehört habe“, sagt er. „Ich dachte sofort an die Menschen und den Druck, unter dem sie stehen und das kurz vor Weihnachten.“ Jetzt müsse Druck aufgebaut werden, damit die Konzernspitze anfängt darüber nachzudenken, was sie den Menschen angetan hat. „Der Vorstand um Lopez macht, was er will, und dementsprechend bin ich dafür, dass die Leute streiken, bis sich etwas ändert. Es ist eine saumäßige Angelegenheit, 11.000 Stellen abzubauen, 6.000 davon in Duisburg.“

Wulfekotte wünscht sich, dass es wieder Proteste gibt wie damals, als um den Erhalt des Stahlwerks in Rheinhausen gekämpft wurde. „Die Duisburger Bevölkerung wird mitgehen. Duisburg versumpft. Wenn noch einmal 6.000 Arbeitsplätze wegfallen, wird es noch schlimmer werden.“

Die Organisation des Weihnachtsmarktes gehört zu den Aufgaben von Alexander Klomparend von Duisburg Kontor. Die Tochtergesellschaft der Stadt Duisburg versucht, mit Veranstaltungen Leben in die Innenstadt zu bringen. „Auf unsere Events“, sagt Klomparend, „wird sich die Krise bei Thyssenkrupp nicht auswirken.“ Aber die Folgen für die Stadt seien furchtbar. „Jede Stadt hat eine Seele, und für Duisburg ist der Stahl mehr als eine Branche, er ist identitätsstiftend.“ Klomparend stammt aus dem niedersächsischen Nordhorn. „In Duisburg habe ich den ganz besonderen Arbeiterstolz kennengelernt, und er hat mich sofort beeindruckt.“

Die Produktion von Stahl sei etwas Besonderes; die Hitze, das alles habe etwas Elementares. „Wenn der Abstich den Himmel über Duisburg rot glühen lässt, ist das eine existenzielle Erfahrung.“

Der Text erschien in einer ähnlichen Version bereits in der Welt am Sonntag.

 

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