Was geschieht, wenn die Antisemitismus-Resolution des Bundestages scheitert?

Slogan „Free Palestine from German Guilt“ bei einer antisemitischen Demonstration am Berliner Kottbusser Tor (2023) Foto: Montecruz Lizenz: CC BY-SA 3.0


Die vier demokratischen Parteien des Bundestages arbeiten seit fast einem Jahr an einer gemeinsamen Resolution zum „Schutz des jüdischen Lebens“. Sollte diese Antisemitismus-Resolution scheitern, sendet der Bundestag ein Signal, das Folgen haben wird.

Seit Ende vergangenen Jahres arbeiten die vier demokratischen Bundestagsfraktionen als Reaktion auf das Massaker der Hamas und die darauf folgende und bis heute anhaltende Welle des Antisemitismus an einem gemeinsamen Entschließungsantrag zum „Schutz des jüdischen Lebens“, der in der Debatte als „Antisemitismus-Resolution“ bezeichnet wird. Vorangegangen waren je ein Antrag der Ampel-Fraktionen und der Union, die beide inhaltlich stark waren. Aber es ist eine gute Tradition des Bundestages, dass sich bei grundsätzlichen Fragen die demokratischen Parteien jenseits des alltäglichen Streits zusammentun. Doch das gelingt nicht. Wie erst dieses Blog und nun auch der Spiegel berichten, scheitert die Einigung auf einen gemeinsamen Text vor allem an den Grünen. Das war der Grund, warum der Entschließungsantrag nicht wie ursprünglich geplant am 7. Oktober, dem Jahrestag der Hamas-Massaker, in den Bundestag eingebracht werden konnte. Ob es gelingt, sich bis zum 9. November zu einigen, ist vollkommen offen.

Zu den Streitpunkten gehört nicht nur die Frage, ob in der Resolution stehen soll, dass antisemitische Künstler künftig nicht mehr gefördert werden sollen, sondern nach dem Bericht des Spiegels auch die Frage, ob die IHRA-Definition die Grundlage bei der Frage sein soll, was denn überhaupt als antisemitisch bezeichnet wird. Der Bundestag hat, wie viele demokratische Staaten, die IHRA-Definition von Antisemitismus 2016 übernommen: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Antisemitisch ist nach der IHRA aber auch „Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z. B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.“

Teile der Grünen und der SPD wollen offenbar nicht, dass zum Beispiel Künstler oder Wissenschaftler, die Israel das Existenzrecht absprechen, indem sie zum Beispiel die, vom Bundestag als antisemitisch eingeordnete, BDS-Kampagne unterstützen, die von Terrororganisationen wie der Hamas oder PFLP gesteuert wird und deren Ziel die Vernichtung Israels unter anderem durch wirtschaftlichen und kulturellen Boykott ist, in Zukunft nicht mehr staatlich alimentiert werden.

Dass in einem Entschließungsantrag „die Auffassung des Bundestages zu politischen Fragen zum Ausdruck gebracht und/oder die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert“ ohne rechtliche Bindung aufgefordert wird, beruhigt sie aus gutem Grund nicht: Zum einen könnte die Bundesregierung, aber auch die Länder und die Kommunen in der Folge das Vergaberecht in seinem Geiste ändern und so dafür sorgen, dass Antisemiten nicht mehr vom Staat alimentiert werden. Aber ein Entschließungsantrag kann auch eine Signalwirkung haben. Sie könnte alle, die im öffentlichen Sektor über die Vergabe von Geldern für den Kulturbereich entscheiden, für das Thema Antisemitismus so sensibilisieren, wie es bei Schwulenhass oder Behindertenfeindlichkeit schon der Fall ist. Dass Luke Mockridge in dem, einer städtischen Gesellschaft gehörenden, Kulturzentrum Kaue Gelsenkirchen nicht auftreten konnte, zeigt die Wirkung eines solchen Bewusstseinswandels.

Die Gegner befürchten genau diesen Effekt und sehen in ihm eine Einschränkung der Kunstfreiheit, was Unsinn ist. Der öffentlich geförderte Teil des Kulturmarktes macht mit gut 16 Milliarden Euro Etat nicht einmal zehn Prozent des Umsatzes der Kultur- und Kreativwirtschaft aus, der 2021, damals steckte das Land noch in der Corona-Pandemie, nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums bei 175,4 Milliarden Euro lag.

Es geht den Politikern der Grünen und der SPD also nicht um den Erhalt der Kulturszene, die zum größten Teil begrüßenswerterweise nicht von Staat und Politik, sondern von ihrem Publikum, also dem Markt abhängig ist. Es geht nur um den Teil der Kulturszene, der sich aufgrund der eigenen Erfolglosigkeit den Habitus des Künstlers nur dank staatlicher Gelder aufrechterhalten kann. In anderen Bereichen wäre so ein Eingreifen des Staates undenkbar: Niemand käme auf die Idee, einen talentlosen Fußballer, den kein Profiverein unter Vertrag nehmen will, mit Steuergeldern zu unterstützen, damit er sich als Profikicker fühlen darf.

Scheitert die Resolution, wird das allerdings auch einen Effekt haben. Sie wissen dann, dass Juden nicht zählen, wie es der britische Musiker und Autor David Baddiel in seinem gleichnamigen Buch auf den Punkt brachte. Sie werden weiter sensibel für alle möglichen Formen der Diskriminierung sein, aber Antisemitismus und Israelhass werden nicht dazu gehören.

Und auch im Milieu der vom Staat abhängigen Versager des Kulturmilieus wird die Botschaft ankommen. Die wenigen eventuell noch aus Sorge um Alimentierung vorhandenen Hemmungen, sich auf die Seite von Terroristen zu stellen und den eigenen Israel- und Judenhass werden fallen. Damit wird Deutschland für Juden ein immer gefährlicheres Land, was genau den Wünschen der Antisemiten entspricht.

Die Politiker der Grünen und, in geringerem Maße, der SPD, werden für diese Entwicklung die Verantwortung tragen. Und die Teile der Kulturszene, die sich über diese Entwicklung freuen, könnten, werden in den kommenden Jahren erleben, dass ihre Förderung auch ohne das Argument Antisemitismus in Frage gestellt wird. In Zeiten knapper Kassen und zunehmender Verteilungskämpfe werden sie in öffentlichen Debatten wenige mehrheitsfähige Argumente finden, wenn es um die Frage geht, ob man ihre Arbeit, für die sich kaum jemand interessiert, fördert oder das Geld nicht lieber für Kindertagesstätten ausgibt.

 

 

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