Wenn du auf einen Zug kletterst, trifft dich ein Stromschlag und du stirbst schmerzvoll

Warnschild Foto: Lupus in Saxonia Lizenz: CC BY-SA 4.0


Seit Anfang des Jahres häufen sich Unfälle, bei denen zumeist Jugendliche auf Zugwagons klettern und einen Stromschlag erleiden. Der Grund: Videos und Selfies für Social Media.

Der Artikel richtet sich ausdrücklich an junge Menschen und ist als sehr ausdrückliche Warnung gedacht. Ihr müsst die Oberleitung nicht einmal berühren, es reicht in die Nähe von einem Meter oder mehr zu kommen. Euer Smartphone in der Hand erhöht das Risiko zusätzlich. Deutschland hat eine hohe Oberleitungsspannung, das Risiko ist damit größer als in anderen Teilen der Erde.

Es ist unmöglich, das situative Risiko abzuschätzen. Und solltet ihr den Stromschlag überleben, dann sind lebenslange, denkbar schwerste Verletzungen, bis zur Pflegebedürftigkeit, die Konsequenz. Einen solchen Unfall ohne lebenslange Schäden zu überleben, ist nahezu ausgeschlossen. Bitte, tut das nicht. Nutzt die Sommerferien, um euch zu erholen und Spaß zu haben, nicht um für TikTok-Videos zu sterben.

Falls Sie (oder euch) interessiert, wieso das so ist und was den bisherigen Opfern passiert ist, dann lesen Sie gerne weiter.

Der Titel des Artikels ist nicht hundertprozentig korrekt: Es ist nicht absolut sicher, dass man beim Klettern auf einen Zug einen Stromschlag erleidet. Es ist nur sehr wahrscheinlich.

Der Großteil des Zugverkehrs in Deutschland ist elektrisch, die Spannung liegt hier bei 15 kV, also 15.000 Volt. Mithilfe eines Stromabnehmers wird die elektrische Leistung von Zügen abgenommen und in Bewegungsenergie umgesetzt. Bei den medial bisher berichteten Unglücken kam es zu so genannten Stromunfällen. Konkret bedeutet das nichts anderes, als dass der Mensch eine leitende Verbindung zwischen Oberleitung und dem Boden hergestellt hat.

Berührt ein Körper die Oberleitung, so fließt ein Strom. Die Größe des Stroms errechnet sich aus dem ohm’schen Gesetz . Bei U = 15.000 Volt und einem gängiger Weise angenommenen Körperwiderstand eines Menschen von 500 Ohm (hier treten sehr (!) große Abweichungen auf, abhängig von der Feuchtigkeit der Haut oder auch der Wahl der Schuhe) ergibt sich ein Stromfluss von 30 Ampere. Potenziell tödlich sind bereits Werte ab 20 Milliampere, das sind 0,02 Ampere. In der Literatur wird ab 100 mA, also 0,1 Ampere, von schwersten Verbrennungen und einem nahezu sicheren Herzstillstand ausgegangen.

Der hier fließende Strom ist 300-mal größer. Zeitgleich ist es möglich, nach dem Stromschlag noch zu leben. Bei einem Stromfluss von beispielsweise 30 Ampere erhitzt sich die äußere Schicht der Haut innerhalb von Millisekunden auf mehrere hundert Grad und verursacht so schwerste Verbrennungen am ganzen Körper, die nie wieder verheilen.

Physikalisch handelt es sich um einen Potentialausgleich, der nahezu mit Lichtgeschwindigkeit erfolgt. Sprich: Es ist, auch für modernste Schutzsysteme, vollkommen unmöglich zu reagieren.

Und damit das passiert, muss man die Oberleitung nicht einmal berühren. Es reicht vollkommen aus, nur in die Nähe der Oberleitung zu kommen. Der resultierende Lichtbogen kann größere Distanzen „überspringen“, der Mechanismus ist mit einem Blitz bei einem Gewitter zu vergleichen.

Grund hierfür ist, dass um elektrische Leitungen elektromagnetische Felder entstehen (Maxwell). Nährt sich ein Körper nun der unter Spannung stehenden Leitung, wird der Körper durch die Umgebungsluft von der Leitung isoliert. Luft hat, als Gasgemisch, eine so genannte Durchschlagsfestigkeit. Dieser wird in V/mm angegeben und gibt an, welche Spannung notwendig ist, um eine Distanz von einem mm im jeweiligen Gasgemisch zu überwinden.

Experimentell wurde die Durchschlagsfestigkeit für verschiedene Gase erstmals von Friedrich Paschen bestimmt, der daraus das „Paschen-Gesetz“ ableitete. Das Paschengesetz gibt an, bei welchen Feldstärken (in Abhängigkeit von Druck und Abstand) ein Durchschlag erfolgt. Wenn diese Feldstärke einen kritischen Wert überschreitet, führt dies gemäß dem Paschengesetz zum Durchschlag, sprich zum Lichtbogen.

Und hier kommen wir zum Kernproblem: Die Durchschlagsfestigkeit von Luft unterliegt einer Vielzahl an Faktoren, beispielsweise der Luftfeuchtigkeit, Luftverschmutzung oder atmosphärischen Phänomenen, die zur Ionisierung der Luft führen.

Smartphones bauen zur Kommunikation elektromagnetische Felder auf. Unter ungünstigen Bedingungen kann das Smartphone das durch die Oberleitung erzeugte Feld verstärken und die Lichtbogendistanz zusätzlich erhöhen, sprich einen Lichtbogen wahrscheinlicher machen.

Unter ungünstigen Umständen kann es selbst bei einem Abstand von über einem Meter zu einem Lichtbogen und somit zum Stromschlag kommen. Alleine auf einem Zugwagon zu stehen ist somit ausreichend, um einen Stromschlag zu erleiden.

Wie bereits erwähnt, ist die Oberleitungsspannung in Deutschland 15 kV. Weltweit sind Spannungsebenen zwischen 750 V und 50.000 V vorzufinden (DC und AC, auf die Unterschiede wird hier nicht näher eingegangen). Das bedeutet aber auch, dass ein TikTok-Nutzer im Süden Englands möglicherweise einen lebensgefährlichen Stunt überleben kann, der in Deutschland zum Tod führt.

Insgesamt ist es unmöglich und für Laien überhaupt nicht abzuschätzen, welcher Sicherheitsabstand zu einer Oberleitung (oder überhaupt zu elektrischen Leitungen) notwendig ist.

Noch einmal die Bitte: Lasst es. Kommt es zum Stromschlag, sterbt ihr mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit. Falls nicht sofort, dann innerhalb weniger Tage aufgrund eurer Verletzungen. Eure Haut am ganzen Körper verbrennt.

Überlebt ihr, erleidet ihr Verletzungen, die euer gesamtes restliches Leben prägen.

Ganz sicher. Und niemand kann euch helfen.

Das ist kein Video dieser Welt wert.

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