Wenn ein kleiner weißer Ball den Charakter verrät ….

Für unsere Gastautorin ist Golf auch ein Spiegel des Spielers. (Foto: privat)

Kaum ein anderer Sport polarisiert so sehr wie das Golfen. Für die einen ist es ein elitäres Tun, das die Bezeichnung „Sport“ nicht einmal verdient, die Golfspieler selbst verteidigen leidenschaftlich die einzigartige Verbindung zwischen Ausdauer und anspruchsvoller Spieltechnik, unbeteiligt lässt diese Diskussion die wenigsten.  Wirklich spannend ist jedoch ein ganz anderer Aspekt. Von unserer Gastautorin Christiane Jochum, einer freie Journalistin und Historikerin.

Die Zeiten, in denen Golfclubs abgeschottete Areale waren, in die man nur mit Hilfe von Bürgen und Zahlung mindestens fünfstelliger Mitgliedsbeiträge hineinkam, sind lange vorbei. Ebenso die gut gepflegten Klischeevorstellungen von honorigen älteren Herren, gern in karierten Hosen und Kaschmirpullovern, die auf dem Golfplatz geschäftliche Deals verhandelten, ohne dabei vom „niederen Volk“ belästigt zu werden, treffen zumindest für die meisten Clubs nicht mehr zu. Inzwischen sind die meisten Golfclubs, ähnlich wie im Tennissport schon länger, offen für den Breitensport auf jedem Leistungslevel.

Das Ziel beim Golfen ist einfach: Der Ball muss auf jeder Bahn mit möglichst wenigen Schlägen ins Loch befördert werden. Allein, zu zweit, zu dritt oder maximal zu viert in einer Gruppe, dem sogenannten „Flight“, spielt der Golfer für sich, gewertet wird die Runde nach einer festgelegten Zählweise. Diese Besonderheit macht es möglich, dass sozusagen jeder mit jedem spielen kann, auch der Anfänger mit dem Spitzenspieler, da für jedes Spielniveau individuell gezählt wird. Dieses Spielniveau drückt sich im sogenannten „Handicap“ aus, ein Begriff, der auch vielen Nichtgolfern geläufig ist.

„Welches Handicap hast du denn“, diese Frage ist wohl jedem Golfer schon einmal gestellt worden. Je niedriger die Zahl, desto besser der Spieler. Was liegt also für den ambitionierten Golfspieler näher, als diesen Wert möglichst niedrig zu halten? Training, Übung, Geduld und auch Glück bei den Turnieren sind die Wege ans Ziel, jedenfalls für die meisten. Aber es gibt auch die anderen Golfer, nämlich die, denen fast jedes Mittel recht ist, um ihr Handicap zu drücken. „Geh mit Menschen Golf spielen und am Ende der Runde kennst du ihren Charakter“ – über diesen Satz hätte ich früher ungläubig geschmunzelt. Inzwischen, nach einigen Jahren und vielen Golfrunden, kann ich sagen: Es stimmt.

Dazu muss man wissen, dass bei einem Turnier jeder Spieler einen Zähler hat, der ihm quasi auf die Finger schaut und die ausgeführten Schläge aufschreibt. Da es schon mal vorkommt, dass ein Ball in die Büsche, ins Wasser oder wohin auch immer ins Gelände „verschlagen“ wird oder ungünstig liegt, existiert ein umfassendes Regelwerk, wie in solchen Fällen korrekt weitergespielt wird. „Korrekt“ ist jedoch für manche Spieler ein sehr dehnbarer Begriff. Da wird dann schon mal, wenn der Zähler nicht aufgepasst hat, der ein oder andere Schlag nicht mitgezählt oder der Ball mit Hilfe des „Leder-Wedges“ (Anmerkung: Ein Wedge ist ein spezieller Schläger für kurze Distanzen, mit „Leder-Wedge“ ist der Schuh gemeint) in eine bessere Schlagposition befördert. Sehr beliebt bei dieser Sorte Spieler ist auch, einen Ersatzball in einem unbeobachteten Moment diskret auf den Rasen fallen zu lassen, wenn der ursprünglich gespielte Ball verschwunden ist.

Die Klaviatur der Kreativität wird geradezu virtuos bespielt und verblüfft mich jedesmal, wenn ich, um im musikalischen Bild zu bleiben, eine neue Melodie entdecke. Zugegeben, es sind Einzelfälle, die meisten Golfer spielen fair, aber die wenigen, die es nicht tun, fallen umso mehr auf. Oft sind es Menschen, die erfolgreich im Beruf sind, durchsetzungsstark und gewohnt, dass Dinge nach ihren Vorstellungen laufen. Und da hat man es nun mit einem kleinen weißen Ball zu tun, den man mit Hilfe diverser Schläger über die Bahn befördern muss und für einen schlechten Schlag niemand anderen als sich selbst verantwortlich machen kann. Das kratzt am Ego und sorgt für Frust. Wer es dann nicht schafft, auch mal eine misslungene Runde wegzustecken, ohne Wind und Wetter, die Platzverhältnisse oder die Mitspieler verantwortlich zu machen, outet sich oft auch im Leben abseits des Golfplatzes als charakterlich fragwürdiger Mitmensch.

Die Erfahrung beweist es.

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