Unser Gastautor Thomas von der Osten-Sacken hat sich einen Brief angeschaut, den Politiker aus CDU, FDP, SPD, Linken AfD und Heimat an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) gesandt haben.
Vor über zwanzig Jahren schrieben, zu Zeiten als Jürgen Habermas in der Friedensbewegung gegen den Irakkrieg ein neues Europa entstehen sah und irgendwie jeder ganz doll für Frieden als etwas sehr existenziell empfundenes eintrat, Thomas Uwer und ich einen Artikel für Context XXI, in dem wir dieses existenzielle Verhältnis historisch ein wenig untersuchten und mit der Kriegsbegeisterung 1914 in Verbindung brachten:
„So bestand das Eigentümliche am Kriegserlebnis von 1914 darin, dass es allen alles bot. Künstler erwarteten ein großes inneres Erlebnis, Studenten den Ausbruch aus spießbürgerlicher Sekurität, Politiker ein Ende der Klassenkonflikte und die Völkischen die Schaffung eines Neuen Reiches. Kein Phantasma, das nicht formuliert wurde, kein Wunsch, der sich nicht durch den Krieg bestätigt sah. Linke und Rechte, Konservative und Alldeutsche, preußisches Militär und bayrische Boheme trafen sich in ihrer Sehnsucht nach der Verwirklichung lang gehegter Träume und Visionen, die allesamt von einer derart übergeordneten Größe waren, dass sie sich als reale politische Kriegsziele nicht eigneten.
Sucht man in der Literatur der Zeit nach formulierten Kriegszielen, so wird man schnell feststellen, dass Deutschland nicht weniger als Alles wollte: Den „Platz an der Sonne“ als Vision eines prosperierenden Weltreiches, ein deutsch dominiertes Europa, mehr Lebensraum im Osten, Gerechtigkeit und vor allen Dingen Einheit. Mit Ausbruch des Krieges schienen alle inneren Gegensätze und unvereinbaren Interessen versöhnt in dem Gefühl von Einheit, Aufgabe und Sieg; „die deutsche Einheit, knapp fünfzig Jahre zuvor erreicht, schien jetzt verwirklicht: “Während letztere durch den Krieg selbst hergestellt worden war, bewegten sich die weiteren Ziele auf einem derart hohen Abstraktionsniveau, dass eine ernsthafte Auseinandersetzung über die Möglichkeiten sie zu erreichen gänzlich unmöglich schien.
Noch als sich Deutschland bereits mitten im Krieg befand waren keinerlei konkrete Kriegsziele formuliert worden, im Gegenteil: Die Reichsregierung entschied, „jede öffentliche Diskussion über deutsche Kriegsziele im Detail“ zu verbieten. (…) Deutschland war nicht in den Krieg gezogen, um konkrete Ziele zu erreichen oder Probleme zu lösen — der Krieg selbst sollte vielmehr alle Probleme lösen. So war das Verhältnis der Deutschen zum Krieg ein durch und durch existentielles im Sinne Simmels und nicht jenes instrumentelle, das es Franzosen, Briten und später Amerikanern ermöglichte, ihre Interessen mit den sozialen und politischen Ziele zu verknüpfen, für die sie kämpften und nach der sie ihre Propaganda ausrichteten. Nichts wurde vehementer abgelehnt als die Idee, man führe Krieg um bestimmter Ziele willen.“
Der Kaiser kannte damals auch keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. 2003 schien uns die die Friedensmobilisierung in Deutschland ähnliche Züge zu tragen. Vieles hat sich seitdem verändert und solch schwer zu fassenden kollektiven Stimmungen scheinen heute oft weit deutlicher im Osten Deutschland zum Ausdruck zu kommen, wo ja auch noch die von Stalin initiierte ganz spezifische Friedensrhetorik ganz anders nachwirkt, als im Westen.
Wenn nun also in der Uckermark es auch keine Parteien sondern nur noch welche gibt, die »beseelt (sind) von dem Willen, dem Frieden zu dienen«, scheint das keine Provinzposse, sondern doch auf wesentlich tiefer liegendes hinzuweisen. Und oft ist es in einem Land, das schon immer so furchtbar provinziell war, die Provinz, die gewissermaßen als Avantgarde fungiert.
Insofern sei diesem Dokument doch eine gewisse Bedeutung beizumessen, auch für das, was in Zukunft verstärkt einen beschäftigen wird:
„Es ist ein »offener Brief«, wie man ihn in diesen Tagen öfter liest: Abgeordnete des Landkreises Uckermark in Brandenburg haben Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (beide SPD) dazu aufgefordert, im Ukrainekrieg »anstelle weiterer Waffenlieferungen Verantwortung für eine friedliche Lösung zu übernehmen«.
In dem am Montag auf der Website der Kreisverwaltung veröffentlichten Schreiben heißt es unter anderem, man sei »in Sorge vor einer weiteren Eskalation des Krieges«. Deutschland solle »nichts unversucht lassen, um diplomatische Lösungen für ein Ende des Krieges zu initiieren und das friedliche Miteinander der Völker zu fördern«. Man sei »beseelt von dem Willen, dem Frieden zu dienen«. (…)
Gezeichnet ist das Schreiben von 32 Personen – und beim Blick auf die Zusammensetzung des Kreistags wird schnell klar: Der offene Brief entstand in einer offenbar ganz großen Koalition. Allein aus der Grünenfraktion findet sich kein Unterzeichner, dafür aber unter anderem aus den Fraktionen der CDU, FDP, SPD, Linken – und der AfD. Und nicht nur das: Auch ein Abgeordneter der früheren NPD, die heute »Die Heimat« heißt, hat seinen Namen unter den Brief an Scholz und Bas gesetzt.“
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