Wenn Familien die Kraft verlässt: Wer pflegt die Eltern, wenn alles zusammenbricht?

Seniorin (Foto: Roland W. Waniek)


Vier von fünf Freunden kümmern sich um die Pflege ihrer Eltern. So nüchtern notiert es Hanna Mack in ihrem n Bericht für die „Welt am Sonntag“. Ihre Worte beschreiben eine Realität, die in Deutschland immer mehr Familien betrifft – und zunehmend ein System an seine Grenzen bringt. Von unserer Gastautorin Stephanie Maier.

Christian Graggaber, Geschäftsführer von Prosenio, fordert deshalb mehr gesellschaftliche und politische Anerkennung. In einem viel beachteten Essay schreibt er: „Pflegende Angehörige leben zwischen tiefer Hingabe und ständiger Überforderung. Sie opfern Zeit, Gesundheit und Einkommen für ihre Liebsten – ohne Pausen, ohne Urlaub und ohne Gehalt. Vom Heben, Lagern und Waschen bis zur Organisation medizinischer Maßnahmen sind pflegende Angehörige mit Aufgaben konfrontiert, die nicht selten ihre physischen Grenzen überschreiten.“

Graggaber weiß, wovon er spricht. Als erfahrener Berater kennt er die Nöte von Angehörigen, die oft zwischen beruflichen und privaten Verpflichtungen zerrieben werden. Zugleich fordert er die Politik auf, endlich Verantwortung zu übernehmen: „Häusliche Pflege ist keine Nische, sondern mittlerweile das Rückgrat unseres Systems. Und dieses Rückgrat steht vor dem Zusammenbruch, wenn die Unterstützung nicht massiv ausgebaut wird.“ Konkret verlangt er steuerliche Erleichterungen, kostenlose Pflegehilfsmittel und verpflichtende Schulungen, um die Pflege sicherer und effizienter zu machen.

Zahlen, die ein Systemproblem belegen

Die Herausforderung ist immens: Laut der „Welt am Sonntag“ gab es 2023 in Deutschland rund 5,2 Millionen Pflegebedürftige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen, rund 84 Prozent, wurde zu Hause versorgt. Angesichts der demografischen Entwicklung dürfte sich daran auch 2024 kaum etwas ändern. Doch ohne die Unterstützung von Familienmitgliedern droht der Kollaps. „Wenn Sohn, Tochter, Enkelkinder, Neffen und Nichten nicht wären, könnte die Politik den Notstand ausrufen,“ sind nicht nur Experten überzeugt.

Hinzu kommt der Fachkräftemangel: Der Pflegeberuf bleibt unattraktiv, viele offene Stellen können nicht besetzt werden. Die Folge: Angehörige springen ein – oft bis zur Erschöpfung.

Politik unter Zugzwang

„Pflege wird noch teurer werden, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen wissen jetzt schon oft nicht mehr, wie sie die Kosten stemmen sollen,“ sagt Macit Karaahmetoglu, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Ludwigsburg. Als Vorsitzender des Arbeiter-Samariter-Bundes in der Region Stuttgart erlebt er täglich die Probleme, mit denen Familien und Pflegeeinrichtungen gleichermaßen zu kämpfen haben.

Auch die Senioren-Union der CDU fordert mehr Unterstützung. Ihr Bundesvorsitzender Dr. Fred-Holger Ludwig kritisiert das bisherige Engagement der Bundesregierung als unzureichend: „Bisher hat die Regierung nicht genügend Maßnahmen ergriffen, um die Lage pflegender Angehöriger entscheidend zu verbessern,“ sagt Ludwig. Neben finanzieller Hilfe fordert er bessere Beratungsangebote, um Familien zu entlasten, die sich um ältere oder hilfsbedürftige Angehörige kümmern.

Ein System am Scheideweg

Der Ruf nach Reformen wird immer lauter – doch die Frage bleibt, ob die Politik schnell genug handelt, um ein System zu retten, das auf den Schultern derer lastet, die oft selbst am Limit sind. Pflegende Angehörige brauchen mehr als Anerkennung: Sie brauchen Entlastung. „Andernfalls droht eine Belastung, die weit über den Einzelnen hinausgeht – und die Gesellschaft als Ganzes betrifft“, ist ProSenio-Geschäftsführer Christian Graggaber überzeugt.

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