„Wenn Frauen und Mädchen leiden, weil sie in keine Schublade passen, ist es nicht ihr weiblicher Körper, der geändert werden muss“


Inge Bell bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2019 Foto: Dionysiusos Lizenz: CC BY 4.0


Das  von SPD, Grünen und FDP geplante Selbstbestimmungsgesetz wird nach wie vor kritisch diskutiert. Nun hat das FrauenAktionsBündnis (FAB) gemeinsam mit Organisationen wie  die Städtegruppe Terre des Femmes  Dortmund, die Fraueninitiative 04 e.V. und der Verein Kommunikationszentrum für Frauen zur Arbeits- und Lebenssituation (KOFRA) München einen gemeinsamen Aufruf veröffentlicht:  

Die Ampelkoalition plant ein Gesetz, das an die Stelle des derzeit gültigen Transsexuellengesetzes (TSG) mit seinen Regelungen zur Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsrecht treten soll. Bisher setzt eine solche Änderung ein Verfahren mit Sachverständigen-Gutachten und spezifischen Maßnahmen voraus. Vorgesehen ist jedoch, dass das TSG nicht nur reformiert, sondern abgeschafft wird. Stattdessen soll ein neues Gesetz eingeführt werden, das die Personenstandsänderung nicht nur einer Minderheit, sondern allen Menschen gestattet, und zwar voraussetzungslos und ohne objektivierbare Kriterien.

Bisher liegt für diesen Gesetzentwurf ein Eckpunktepapier vor, dieses wurde am 30.06.22 vorgestellt.1 Das neue Gesetz wird als „Selbstbestimmungsgesetz“ bezeichnet – korrekter ist jedoch der Begriff „Selbstidentifikation“, in Kurzform „Self-ID“, denn das ist der Kern des geplanten Gesetzes. Jeder Person ab 18 Jahren soll ermöglicht werden, durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Nicht mehr das unveränderliche biologische Geschlecht soll grundsätzlich der Rechtskategorie „Geschlecht“ zugrunde liegen, sondern die Selbstauskunft einer Person, eine bestimmte „Geschlechtsidentität“ zu haben.

Weiterhin sieht das Eckpunktepapier vor, dass der Geschlechtseintrag jährlich änderbar ist. Darüber hinaus soll das Ansprechen mit dem früheren Geschlechtseintrag, Pronomen oder Namen mit einem Bußgeld bestraft werden können. Schon bei Kindern soll der Geschlechtseintrag auf Wunsch der Eltern geändert werden können. Jugendliche ab 14 dürften dies gegen den Willen der Eltern gerichtlich erwirken. Eine gesetzliche Forderung nach explorativer oder sachlich-neutraler Begleitung dieser Minderjährigen im Vorfeld ist nicht geplant. Was bedeutet das? Die Begriffe „Frau“ und „Mann“, die auf der biologischen Zweigeschlechtlichkeit beruhen, würden ohne diese objektivierbare Grundlage bedeutungslos. Eine frei wählbare, subjektive „Geschlechtsidentität“ würde zum Bezugspunkt für alle anderen Gesetze und gesellschaftlichen Bereiche, für die das Geschlecht relevant ist – so das gesamte Familien-, Sozial- und Arbeitsrecht. Männer könnten fordern, als Frauen behandelt zu werden und Frauen dürften dagegen keinen Widerstand mehr leisten. Was sind die Folgen?

In Deutschland wächst die Anzahl von Jugendlichen, die ihr Geschlecht ändern lassen wollen, rapide an: die große Mehrheit von ihnen sind Mädchen. Eine Self-ID-Regelung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie irreversible, komplikationsanfällige medizinische Maßnahmen (Testosterongabe, Brustamputation, Entfernung der Eierstöcke und Gebärmutter, Genital-OPs) an sich durchführen lassen werden. Pubertätsblocker, Hormone und Operationen sind keine Medizin für ein psychisches Leiden am weiblichen Körper. Sie machen aus verzweifelten jungen Frauen mit gesunden Körpern lebenslange Patientinnen, die anschließend unter den irreversiblen Folgen der medizinischen Eingriffe leiden. Diese medizinischen Eingriffe an Minderjährigen sind momentan erlaubt und werden durchgeführt. Wenn Frauen und Mädchen leiden, weil sie mit ihrer Individualität und Sexualität in keine Schublade passen, ist es nicht ihr weiblicher Körper, der geändert werden muss.

Was verändert werden muss, ist der krankmachende Schönheits- und Konformitätsdruck einer technologischen Machbarkeits- und Pharmaindustrie, der junge Frauen in Depressionen, Ängste und Essstörungen treibt – und immer häufiger in ihrer Not über den Anker einer Identifikation als „trans“ und „non-binary“ zu einseitig ausgerichteten ÄrztInnen und Beratungsstellen. Wenn hingegen Männer via Selbstauskunft bestimmen können, dass sie vor dem Gesetz ebenfalls als Frauen gelten, verlieren Frauen von Neuem das Recht auf Privatsphäre, Sicherheit, Fairness und das Recht, als Frauen ihre Rechte einzufordern. Jeder Mann, der angibt, sich als Frau zu identifizieren, bekäme durch dieses Gesetz legal Zutritt zu Frauenräumen. Er erhielte Anspruch auf Frauenlistenplätze im Bundestag, Teilhabe an Frauenförder- und Gleichstellungsmaßnahmen und auf Aufnahme als Frau unter Frauen. Wenn Frauen gezwungenermaßen alle Männer, die angeben, sich als Frau zu identifizieren, als Frauen behandeln müssen, verlieren sie ihr Recht, diese aus geschützten, autonomen, politischen, kulturellen oder sozialen Frauen- und Lesbenräumen zu verweisen. Internationale Erfahrungen zeigen, was es für Frauen und Mädchen bedeutet, wenn das Konzept der „Geschlechtsidentität“ mehr wiegt als die Kategorie des biologischen Geschlechts und Männer und Jungen dies für sich nutzen:

• Mädchen und Frauen können sich nicht frei von Männern – oder frei von Sorge vor Männern – umziehen und duschen: Nicht beim Sport, nicht im Spa, nicht im Schwimmbad. Auf Frauentoiletten kann sich jeder Mann, der angibt, sich als Frau zu identifizieren, ungehindert aufhalten. In Schulen und Sportvereinen müssen sich Mädchen neben Jungen umziehen und in Jugendherbergen und Schullandheimen das Zimmer mit ihnen teilen, wenn diese angeben, sich als Mädchen zu identifizieren. 1 https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/eckpunkte-fuer-das-selbstbestimmungsgesetz-vorgestellt-199378

• (Sexual-)Straftäter lassen sich in Frauengefängnisse verlegen und begehen dort erneut Sexualstraftaten.

• Frauen, die vor häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus flüchten, müssen dort ihr Zimmer mit Männern teilen und können sich nicht dagegen wehren. • Mädchen und Frauen haben nicht mehr die Wahl, ob und wann sie mit Jungen und Männern in Gruppen gemeinsam in Kontakt treten wollen.

• Männer, die angeben, sich als Frauen zu identifizieren, treten im Sport gegen Frauen an, gewinnen Titel und Preise, brechen Frauenrekorde, bekommen Sportförderung und gefährden in Kontaktsportarten die Gesundheit ihrer Kontrahentinnen.

• Lesben, also frauenliebende Frauen, werden gedrängt, Männer als potentielle Sexualpartner oder Mitglied von lesbischen Netzwerken zu akzeptieren. • Die Strafverfolgung wird erschwert, wenn (männliche) Straftäter durch Änderung ihres Personenstands eine Löschung ihrer alten Daten erwirkt haben.

• Die Überprüfung von Gleichstellungspolitik, Quoten und Zielgrößen in Politik, Wirtschaft und Kultur wird erschwert, da die zu fördernde Gruppe der Frauen nicht eindeutig bestimmbar ist.

• Für Frauen relevante Statistiken werden verzerrt oder verfälscht, z.B. in Bezug auf geschlechtsspezifische Medizin, ungleiche Bezahlung, Gewalt gegen Frauen und die Gewalt- und Kriminalstatistiken insgesamt (wenn beispielsweise Vergewaltiger als Frauen erfasst werden).

Wir fordern: 1. Das biologische Geschlecht muss als rechtliche Kategorie erhalten bleiben. Aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutz von geschlechtsbasierten Rechten darf der jetzige Geschlechtsbegriff (m, w, d) weder im Grundgesetz noch in anderen Gesetzen und Verwaltungsvorschriften durch das Konzept der „Geschlechtsidentität“ ersetzt oder ergänzt werden. 2. Eltern, MedizinerInnen und TherapeutInnen müssen das Recht und die Pflicht haben, Minderjährige explorativ und sachlich-neutral zu begleiten. 3. Das Recht von Frauen, einen Mann ungeachtet seiner Selbstidentifikation als Mann zu bezeichnen, darf weder als Hassrede noch als Ordnungswidrigkeit oder gar als Straftat gewertet werden. 4. Die Frauen- und Gleichstellungspolitik darf nicht durch einen nicht objektivierbaren Geschlechtsbegriff ausgehöhlt werden. Dazu ist nötig, dass neben dem Erhalt und Ausbau finanzieller Förderung auch Statistiken aussagekräftig in Bezug auf das biologische Geschlecht bleiben und sichergestellt wird, dass Frauenquotenplätze nur von Frauen besetzt werden. 5. Frauen haben das Recht, Männer aus ihren Räumen zu verweisen: Dieses Recht muss in Lesben- und Frauenräumen, in Frauenschutzräumen und auch bezüglich der Versammlungsfreiheit für und von Frauen garantiert werden. 6. Wir fordern eine öffentliche Debatte aller politischen Vorhaben, die Auswirkungen auf die Rechte von Frauen und Mädchen haben werden. Wir fordern eine seriöse Rechtsfolgenabschätzung bezüglich der Benachteiligung und Gefährdung von Frauen und Mädchen, die nach unserer Einschätzung durch das geplante Gesetz entstehen wird.

Unterschrieben wurde der Appell unter anderem von der Journalistin Regina Bappert, Regina, Journalistin, der Frauen- und Geschlechterforscherin Prof. Dr. Monika Barz und Inge Bell der stellvertretenden  Vorsitzenden von Terre des Femmes.

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