„Wer die AfD schwächen will, muss ihre Stärken zur Kenntnis nehmen“

Michael Miersch Foto: Ellen Daniel Lizenz: CC BY-SA 3.0


Der klügere Teil der kulturellen Eliten rät mittlerweile im Umgang mit Andersdenkenden zum Zuhören und zum Aushalten missliebiger Meinungen. Das klingt selbstkritisch und nobel, ist es aber nicht. Die Gutmeinenden hören zu wie Erzieher, die mit trotzigen Kindern fertig werden müssen. Am eigenen Rechthaben kommt kein Zweifel auf. Von unserem Gastautor Michael Miersch.

Im Abwehrkampf gegen das Erstarken der AfD haben sich zwei Fraktionen gebildet. Die einen wollen alles verbieten, was sie als „rechts“ verorten. Wenn das nicht geht, so sollten zumindest alle Falschdenkenden vom öffentlichen Diskurs ausgeschlossen

werden. Man beschwört 1933, versucht Parteitage zu verhindern, bedroht Funktionäre und ruft immer aufs Neue zum Aufstand der Anständigen. Dass diese Strategie nicht funktioniert, zeigen Umfragen und Wahlergebnisse. Wenden wir uns also der anderen zu. Die Klügeren sehen ein, dass die brachiale Tour keinen AfD-Wähler zurückholt und werben deshalb dafür, den Verlorenen zuzuhören und geduldige Überzeugungsarbeit zu leisten. Klingt selbstkritisch und nobel, ist es aber nicht. Sie hören zu wie Erzieher, die mit trotzigen Kindern fertig werden müssen. Am eigenen Rechthaben kommt kein Zweifel auf.

Erstmals fiel mir das Vorgetäuschte dieses Zuhörens auf, als ich 2018 das viel gelobte Buch „Fremd in ihrem Land“ der kalifornischen Soziologin Arlie R. Hochschild las. Sie reiste ins ländliche Louisiana und führte dort Gespräche mit Trump-Wählern. Dabei hat Hochschild tatsächlich geduldig zugehört. Sie zeigt Empathie für ihre Gesprächspartner und gibt deren Aussagen fair wieder.  Allerdings ist von vorherein klar: Ihre grüne Weltanschauung ist die einzig richtige. Dass daran auch nur in Teilaspekten etwas falsch sein könnte, kommt ihr nicht in den Sinn. Die Meinungen, Hypothesen und Theorien, die sie aus Kalifornien mitgebracht hat, sind für sie faktisch und unbestreitbar. Die aus Hochschilds Sicht unkorrekten Ansichten der louisianischen Landbevölkerung werden nie auf Stichhaltigkeit geprüft. Es sind die Umstände, die ihr falsches Bewusstsein bewirken: die schlechte ökonomische Lage, die trostlose soziale Situation, Frustrationen im Privatleben.

Das kennen wir aus Deutschland. AfD-Wähler seien Abgehängte, Hinterwäldler, Menschen ohne Perspektive, Ossis allemal und natürlich alte weiße Männer. Sie wählen rechts, weil sie – vermutlich aus eigener Schuld – unzufrieden mit ihrem Leben als Landeier sind. Überraschenderweise zeigen die Wahlanalysen, dass die Alten am wenigsten AfD wählen. Es sind vor allem die mittleren Jahrgänge und erstaunlich viele Junge. Junge Leute merken schnell, ob man sie wirklich ernst nimmt, oder sie nur Reden lässt, um dann im festen Glauben an die eigene Überlegenheit pädagogisch auf sie einzuwirken.

Wer die AfD schwächen will, muss ihre Stärken zur Kenntnis nehmen. Die zu finden ist einfach. Sie liegen bei den Themen, um die die Regierungskoalition und die CDU/CSU am liebsten einen Bogen machen. „Alle politische Kleingeisterei,“ schrieb Ferdinand Lasalle, der Mitbegründer der Sozialdemokratie, „besteht im Verschweigen und Bemänteln dessen, was ist.“ Solches Verschweigen und Bemänteln offensichtlicher Probleme und Widersprüche findet – nicht nur aber vornehmlich – in drei Bereichen statt: der Energie- und Klimapolitik, der Migrationspolitik und der Identitätspolitik. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass eine erhebliche Zahl von Wählern der AfD ihre Stimme geben, weil sie unverblümt sagt, dass in Deutschland auf diesen Gebieten einiges schiefläuft.

Doch die Volkspädagogen in den kulturellen Institutionen und Redaktionen denunzieren jegliche Kritik als rechts und damit unberechtigt. Wer Bedenken gegen die Masseneinwanderung aus muslimischen Ländern äußert, ist für sie ein Unmensch, dem die Toten im Mittelmeer egal sind. Wer an der Energiewende zweifelt, verschließt die Augen vor der globalen Klimakatastrophe. Wer sagt, dass ein Mann in Frauenkleidern weiterhin ein biologischer Mann sei, verbreitet Hass und Hetze und gehört dafür bestraft. Sachliche Kritiker werden zu Parias, für die es in der grünlinksliberalen Sphäre keinen Platz mehr gibt. Bei manchen gebildeten und nachdenklichen Menschen hat dies zur Resignation geführt: Na gut, dann bin ich eben rechts.

Das Programm der AfD umfasst weit mehr als diese drei Bereiche. Etliche Bürger sympathisieren mit der Partei, weil sie nationalistisch ist, weil sie Menschen nach Herkunft sortiert, weil sie ein überkommenes patriarchales Familienbild propagiert (dem nicht mal ihre Co-Vorsitzende entspricht), sich Putin anbiedert und geschichtsrevisionistische Legenden strickt. Diese wird man nicht zurückholen können. Aber vielleicht die, die vom Versagen der Regierungen Merkel und Scholz so die Nase voll haben, dass sie den hässlichen Grundton nicht hören wollen. Auch Hitler ist nicht an die Macht gekommen, weil die Wähler sich einen weiteren Weltkrieg wünschten. Sondern weil die vorangegangenen demokratischen Regierungen kläglich versagt hatten.

Um die AfD zu schwächen, sollte man ihren Wählern nicht nur formal zuhören. Es könnte sein, dass sie auf manchen Gebieten die Wirklichkeit treffender beschreiben, als es die Verlautbarungen der Regierung und ein Großteil der Publikumsmedien tun. Für ein ehrliches Zuhören, das sich auf den Wettbewerb der Argumente einlässt, empfiehlt es sich, das eigene moralische Überlegenheitsgefühl etwas zu zügeln und in Erwägung zu ziehen, dass die anderen zumindest in einigen Punkten die Fakten auf ihrer Seite haben. Beispielsweise ist es mittlerweile bewiesen, dass junge, männliche, muslime Migranten in der Statistik der Gewaltverbrechen deutlich überproportional vertreten sind. Obwohl diese Tatsache lange bestritten wurde. Es betrifft Körperverletzung, Vergewaltigung, insbesondere Gruppenvergewaltigung, Totschlag und Mord. Frisch eingebürgerte Täter werden dabei nicht mal mitgezählt. Ist es zynisch, dies auszusprechen oder viel eher es zu verschweigen? Auch, dass viele Migranten viel zu lange von staatlicher Unterstützung leben, gehört zur Beschreibung der Wirklichkeit. Ebenso, dass sich in einigen Städten Milieus gebildet haben, in denen Imame oder Clanchefs über dem Gesetz stehen und Frauenrechte missachtet werden. Es ist auch keine Erfindung der AfD, dass in diesen Vierteln Antisemitismus zum guten Ton gehört. Kurz gesagt: Die Einwanderungspolitik der vergangenen Jahrzehnte ist keine leuchtende Erfolgsgeschichte. Auch wenn die Mehrheit der Neubürger arbeitet, Steuern zahlt, Unternehmen gründet und froh ist, in einer liberalen Demokratie angekommen zu sein. So gibt es doch eine erhebliche Minderheit (aus ziemlich genau bestimmbaren Herkunftsländern), die glaubt, archaische Sitten, religiösen Obskurantismus und das Recht des Stärkeren hierzulande konservieren zu dürfen.

Statt diese Missstände deutlich zu benennen, und Lösungen zu erarbeiten, üben und übten sich die derzeitige Innenministerin wie ihre Vorgänger in kosmetischer Symbolpolitik. Ist es rechts oder gar antidemokratisch, diese Probleme zu benennen? Friedliche Menschen vor Gewalt zu schützen, war immer ein Anliegen der Linken. Die Gewaltdelikte finden selten in den Villenvierteln statt. Leidtragende sind oftmals die Schwächsten, insbesondere andere Migranten. Auch der Kampf gegen religiösen Fanatismus war einmal typisch links. Sozialisten waren Atheisten. Schwer vorstellbar, dass ein Marx oder ein Bebel die Bevölkerung vor Islamophobie gewarnt hätten.

So Mancher, der AfD wählt, sieht vermutlich, dass diese Partei das Elend der Migrationspolitik nutzt, um pauschal gegen Ausländer zu hetzen und rassistische Ressentiments zu schüren. Er hält sich die Nase zu und wählt dennoch die Nationalradikalen, weil sie im Gegensatz zu den anderen Parteien zumindest sagen, dass es ein Problem gibt. Weil sie „sagen, was ist“ – eine Tugend, die für Rosa Luxemburg zum Kern linker Politik gehörte.

Das Gleiche gilt für das Thema Klima- und Energiepolitik, dem zweiten Wahlkampfschlager der AfD. Auch hier haben die bösen Blauen viele Fakten auf ihrer Seite. Wer glaubt, dass die Energiewende ein linkes Projekt sei und die Kritik daran rechts, ignoriert die Geschichte. Bevor die SPD in den 1990er-Jahre immer mehr von der grünen Weltanschauung übernahm, wäre kein sozialdemokratischer Kanzler auf die Idee gekommen, Heizung, Strom und Tankfüllung künstlich zu verteuern. Sozial ist das jedenfalls nicht. Dass durch das Abschalten der Atomkraftwerke mehr Kohle verbrannt wird, ist eine Tatsache und keine rechte Propaganda. Ebenso der physikalische Fakt, dass Windturbinen bei Windstille und Sonnenkollektoren nachts keinen Strom liefern. Circa 500 Milliarden Euro hat die Energiewende bisher gekostet. Dass dieser immense ökonomische Aufwand einen kühlenden Einfluss auf das Weltklima hätte, behauptet nicht einmal Robert Habeck.

Die Verteidiger der Energiewende in Politik und Medien verweisen auf die Vorbildfunktion Deutschlands. Wenn wir die Abkehr von den fossilen Energieträgern (bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Kernkraft) schaffen, werden uns die anderen Länder folgen. Leider zeigt sich derzeit kein einziges Land dazu bereit. Das zweite Argument für den radikalen Umbau der Energieinfrastruktur ist der Notstand. Wenn es stimmt, dass wir unmittelbar vor einer globalen Megakatastrophe stehen, die uns alle vernichten wird, dann wären jede verzweifelte Anstrengung und alle Kosten gerechtfertigt.

Doch ein Großteil der Klimaforscher bestätigt die Untergangsvisionen einer Greta Thunberg nicht. Zwar herrscht unter Wissenschaftlern große Einigkeit darüber, dass derzeit eine globale Erwärmung stattfindet (die ja auch messbar ist). Auch sind die meisten davon überzeugt, dass die von Menschen betriebenen Verbrennungsprozesse, die zusätzliches Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre abgeben, einen entscheidenden Beitrag zu dieser Erwärmung leisten. Doch über diese beiden Grundannahmen hinaus, scheiden sich die Geister. Ob die Klimaerwärmung eine Rutschbahn in den Weltuntergang ist, oder durch kluge Anpassung bewältigt werden kann, ist in der Forschergemeinde durchaus umstritten. Auch ob die zu erwartende Erwärmung nur Schaden anrichten wird oder wie frühere globale Warmzeiten den Menschen und der Natur auch viele Vorteile bringt, ist eine offene Frage, die niemand mit Sicherheit beantworten kann.

Dennoch haben sich die große Mehrheit der deutschen Politiker und die noch größere Mehrheit der Medienschaffenden dazu entschlossen, nur die schlimmstmöglichen Szenarien zur Kenntnis zu nehmen. Und jeden, der Zweifel daran äußert, als „Klimaleugner“ zu stigmatisieren. Bürgern, die sich ein wenig genauer mit dem Thema befassen, fällt auf, wie unglaublich kenntnislos die Berichterstattung in den großen Publikumsmedien ist. Da wird ständig Klimaerwärmung mit Luftverschmutzung verwechselt. Obwohl Luftverschmutzung zu Abkühlung des Klimas beiträgt. Manchen Journalistinnen und Journalisten – insbesondere in Fernsehen und Radio – ist offenbar entgangen, dass CO2 die Grundlage allen pflanzlichen Lebens ist. Kommentatoren deuten mittlerweile jedes Wetter als Zeichen der Klimaerwärmung (Journalistendeutsch: Erderhitzung). Es wird munter drauflos behauptet nach dem Motto, je schlimmer, je besser. So kann man immer wieder hören und lesen, dass die Anzahl der Wirbelstürme zunimmt, was der Statistik des UN-Klimarates (IPCC) widerspricht. Die Katastrophe im Ahrtal 2021 wird bis heute dargestellt, als sei sie vom aktuellen Klimawandel ausgelöst worden. Dabei ist zweifelsfrei dokumentiert, dass auch in früheren Jahrhunderten gewaltige Fluten das Tal zerstörten.

Fernsehzuschauer und Zeitungsleserinnen lassen sich nicht gern von Leuten belehren, deren Wissensstand offensichtlich lückenhafter ist als ihr eigener. Sie nehmen die Predigten nicht mehr ernst und reagieren sauer auf die anmaßende Haltung der Volkserzieher. Ein klarer Vorteil für die die AfD, die neben der Wagenknecht-Partei die einzige ist, die nicht in die Apokalyptik einstimmt und die teure Energiewende mit guten Argumenten ein Desaster nennt. In Sachen Klima sind nicht die Rechten ideologisch verbohrt, sondern die Grünen. Und leider haben SPD, FDP und CDU/CSU auf diesem Politikfeld die grünen Prämissen übernommen.

Drittes Thema: Identitätspolitik. Hier sammelt die AfD die Menschen ein, die den Eindruck haben, dass die Regierung sich immer häufiger um die speziellen Anliegen von Mikrominderheiten kümmert und für diese sogar Gesetze macht. So falsch ist dieser Eindruck nicht. Wie die winzige, aber lautstarke und bestens organisierte Trans-Lobby ihre Interessen durchsetzt, davon kann sogar noch der Bauernverband lernen. Es gibt viele Frauen und Männer, die Zweifel haben, ob hormonell verwirrten Pubertierenden der Weg zur chirurgischen Körperumformung so leicht wie möglich gemacht werden soll. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass viele lediglich homosexuell sind oder einfach verunsichert durch die ungewohnten Empfindungen, die am Ende der Kindheit Körper und Geist erschüttern. Medizinische Fachverbände bestätigen dies. Doch Regierungsvertreter denunzieren Skeptiker als antiliberal und intolerant. Wer nicht hundertprozentig alle Forderungen der Trans-Bewegung richtig findet, wird in die rechte Ecke gestellt. Ein gefundenes Fressen für die wirklichen Antiliberalen und Intoleranten.

Wenn es den vielen Besorgten und Empörten aus Kulturbetrieb und Medien wirklich ernst damit ist, die AfD zu schwächen, müssen sie aufhören, sich selbst für die vollkommen Durchblicker und die anderen für die Doofen zu halten. Ihr habt die Wahrheit nicht gepachtet! Versucht den politischen Gegnern ehrlich zuzuhören, mit dem Risiko, in der einen oder anderen Frage den Wettstreit der Argumente zu verlieren. Es gibt leider Themen, bei denen die Rechten näher an der Realität sind als die tadellose grüne Gesinnung. Das sollte ein Ansporn sein, die Wirklichkeit wieder wahrzunehmen und nach linken oder liberalen Lösungen für die real existierenden Probleme zu suchen. Es ist keine Kapitulation vor den Feinden der Freiheit, sondern Souveränität, die den kindlichen Reflex aufgibt, dass grundsätzlich alles falsch sein muss, was der Andersdenkende sagt. Es gibt noch Genug, wo man sie packen kann. Packt sie bei ihrem Putinismus! Packt sie bei ihrer Ausländerfeindlichkeit und ihrem Rassismus!  Packt sie bei ihrem verlogenen patriarchalen Familienideal! Packt sie bei ihrem kleingeistigen Nationalismus! Da hat die AfD nichts zu bieten außer Ideologie und Ressentiment. Aber tut nicht so, als seien die Migrationspolitik, die Klima-und Energiepolitik und die Identitätspolitik der Regierung gelungene Projekte zum allgemeinen Wohl. Wer das behauptet, macht die beste Werbung für die AfD.

Der Text erschien bereits im Blog von Michael Miersch

 

 

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Wolfram Obermanns
Wolfram Obermanns
2 Monate zuvor

Dieser Beitrag kann mich nun gerade gar nicht hoffnungsvoll stimmen.

Die Stärke der AfD ist die Schwäche der anderen. Und die eine Schwäche der anderen ist deren „Kampf mit der Realität“ (Monty Python, Leben des Brian).
Umweltschutz-, Industrie-, Außen- und Sozialpolitik mit den besonderen Markern Klima, Energie, Migration und Familie sind schließlich bei Weitem nicht die einzigen Themen bei denen Wunschdenken gegen die Realität helfen soll.

So formuliert wird auch deutlich, das Problem ist nicht immer vor allem Grün.

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