Die CDU ruft angesichts mieser Umfragewerte einen „72-Stunden Endspurt“ für den Wahlkampf aus. Dafür gibt sie Handreichungen an willige Vollstrecker des Straßenwahlkampfes, mit denen diese in letzter Minute noch Stimmen sammeln sollen. Die Aktion wirkt wie die letzte Verzweiflungstat vor dem sicheren Ende. Um „mit den Menschen ins Gespräch“ zu kommen, setzt die Partei auf Penetranz und sinnfreie Wahlsprüche.
Der Wahlsonntag ist nicht mehr weit und die Truppe um Norbert Röttgen scheint allmählich kalte Füße zu kriegen. Die Demoskopie sieht die Christdemokraten ohnehin nur bei mageren 30 Prozent. Es gibt, mit Ausnahme der großen Koalition, in der die CDU Juniorpartnerin wäre, keine realistischen Koalitionsmöglichkeiten in NRW. Hinzu kommt eine Reihe von Fehltritten, die sich der Spitzenkandidat Norbert Röttgen auf den letzten Metern geleistet hat. Nicht nur, dass er die beiden TV-Duelle mit Hannelore Kraft und den anderen Bewerbern nach Ansicht vieler Kommentatoren verloren hat. Auch will er partout nicht laut aussprechen, was ohnehin alle wissen: Dass er, nach verlorener Landtagswahl, keineswegs vorhat, in NRW die Oppositionsbank zu drücken. Kürzlich rutschte ihm dann der verheerende Satz raus: „Ich müsste eigentlich dann Ministerpräsident werden, aber bedauerlicherweise entscheidet nicht allein die CDU darüber sondern die Wähler (…)“.
Zu allem Überfluss legte sich Röttgen dann auch noch mit seiner eigenen Chefin an. Kurzerhand erklärte er die Landtagswahl zur Abstimmung über Merkels Europa-Politik. Wenn er nicht gewönne, sei eben Merkels Sparkurs von der Bevölkerung in NRW abgelehnt worden. Die eigene Parteiführung für eine drohende Niederlage bereits im Vorfeld verantwortlich zu machen, das traut sich höchstens Kubicki. Kurz – es sieht nicht gut aus für Röttgen und seine Partei. In ihrer Not appelliert die CDU in ihrer aktuellen „72-Stunden-Endspurt“- Kampagne an ihre letzten Reservisten:
Machen Sie klassische Canvassingstände an den bekannten Orten, z.B. in der Fußgängerzone, vor Einkaufsmärkten etc. Verteilen Sie die Spitzenkandidaten-Broschüren, unsere aktuellen Flugblätter sowie Werbemittel Ihrer Kandidatinnen und Kandidaten.
Soweit, so herkömmlich. Warum Infostände nun plötzlich „Canvassingstände“ heißen, bleibt das Geheimnis der CDU. Da es aber nicht reicht, die Leute auf der Straße abzufangen, empfiehlt die Partei:
Machen Sie Hausbesuche in unseren Hochburgen und mobilisieren Sie so unsere Wähler.
Was schon fast wie eine Drohung klingt, ist zumindest in den USA gängige Praxis. Ob man nun aber unbedingt am Wochenende von übereifrigen Polit-Senioren zu Hause belästigt werden will, muss jeder selbst entscheiden. Doch es gibt kein Entkommen. Auf den Fall, dass die Tür verschlossen bleibt, ist die CDU vorbereitet:
Melden Sie sich per Telefon, SMS oder E-Mail bei Verwandten, Freunden und Bekannten und bitten Sie diese zur Wahl zu gehen: Jede Stimme für Norbert Röttgen und die CDU zählt!
Oha. Nun hat ja nicht Jeder einen so großen Freundeskreis, dass er oder sie eine nennenswerte Zahl an Personen einfangen kann. Daher greift die CDU zu einem Kniff. Die Order lautet:
Setzen Sie eine „Telefon-Lawine“ in Gang: Rufen Sie am Samstag (12. Mai) zwischen 10 und 14 Uhr zwei Freunde oder Bekannte an und erläutern Sie, warum Sie Ihre Stimmen Norbert Röttgen und der CDU geben. Fordern Sie diese beiden Personen auf, ebenfalls zwei weitere Personen anzurufen und so weiter!
Also, wenn das nicht klappt, was dann? Die Mathematik hat Röttgen jedenfalls auf seiner Seite. So müsste die Zahl potenzieller Wählerinnen und Wähler exponentiell steigen. Auch an das Proletariat hat die CDU gedacht. Mit Speck fängt man Mäuse, daher….
Verteilen Sie an Werktagen zwischen 7.00 und 9.00 Uhr am Bahnhof oder vor Betriebstoren z.B. Kaffee und überreichen Sie dazu unsere Flugblätter.
Da wird Vati sich freuen. Und für Mutti:
Am 13. Mai ist Muttertag: Verteilen Sie am Samstag vor der Wahl Blumen am Infostand. Auch die Postkarte „Wer seine Mutter liebt, wählt CDU“ der Jungen Union wird erneut aufgelegt.
Was zunächst wie ein ironischer Seitenhieb à la „Currywurst ist SPD“ klingt, entpuppt sich als purer Ernst. Die Postkarte gibt es wirklich und die Junge Union erklärte den Sinn der Postkarte im Wahlkampf 2010 (damals noch für Jürgen Rüttgers) so:
„Wir wollen die Menschen noch einmal aufmerksam machen auf die Wichtigkeit der Landtagswahl am 9. Mai, die zeitgleich mit dem Muttertag stattfinden wird! Unsere Mütter und ihre Familien haben eine generationengerechte und nachhaltige Politik in NRW verdient. Garanten für eine zukunftsorientierte Familien-, Bildungs-, Kinder- und Jugendpolitik sind nur Jürgen Rüttgers und die CDU. Deshalb ist unser Aufruf zum Muttertag ganz klar: ‚Wer seine Mutter liebt, wählt CDU! Mit beiden Stimmen!‘“
Kapiert? Ich auch nicht. Wer also nicht schwarz wählt, liebt seine Mutter nicht. Ja, so umschmeichelt man Wählerherzen. Was soll überhaupt „unsere Mütter“ verdienten „eine generationengerechte und nachhaltige Politik“ heißen? Meint die Partei damit das Betreuungsgeld? Man weiß es nicht. Was man aber weiß, ist, wann die Bevölkerung ihre Briefkästen leert:
Werfen Sie verbleibende Flugblätter am 12. Mai in die Briefkästen potentieller Wähler. Bitte bedenken Sie, dass die Menschen in der Regel Samstagmittag ihren Briefkasten zum letzten Mal vor der Wahl leeren. Unbedingt die Schilder „bitte keine Werbung“ beachten!
Und wenn das alles nichts hilft:
Verteilen Sie in der Nacht auf Sonntag Brötchentüten als kleinen Frühstücksgruß an den Haustüren potentieller Wähler.
Liebe geht bekanntlich durch den Magen. Andere Parteien tun im Wahlkampf zwar Ähnliches, aber nur die CDU platziert derlei „Anregungen“ prominent auf ihre Website. Hilflosigkeit? Egal. Mit den Brötchen habt ihr mich. Liebe CDU-Wahlkämpfer, ihr dürft gerne in der Nacht auf Sonntag mit einem „Frühstücksgruß“ auf mich warten. Dann verzeihe ich euch auch, dass ihr mir Flyer ausgehändigt, „Hausbesuche“ gemacht, angerufen, gesimst und telefonlawiniert habt; dass ihr mich morgens um 7.00 Uhr vor dem Betriebstor abgefangen, meinen Briefkasten zugemüllt und mir potentiell unterstellt habt, ich würde meine Mutter hassen. Nur in euer „Wahltaxi“, mit dem ihr Menschen am Sonntag von zuhause direkt vor die Urne karren wollt, werde ich nicht einsteigen. Wer weiß wohin die Reise geht? Am Sonntag für euch zumindest erstmal im politischen Straßengraben.
(Hier geht’s zum Endspurt-Appell)
Klasse geschrieben, Martin. Ich sehe schon die Schlagzeile: „Rentner unter Telefonlawine verschüttet!“ Härter kann Wahlkampf nicht mehr sein. 😉
[…] „Wer seine Mutter liebt, wählt CDU“: Die kalten Füße der Union (Ruhrbaro… – […]
Diese Kampagne lässt auf ein ziemliches gestörtes Verhältnis der Jungs und Mädels von der Jungen Union zu ihren Müttern schließen. Wenn ich dann noch den Wahlkampf der SPD-Landesmutti betrachte, dann verstärkt sich bei mir dieser Eindruck.
Da ist aber jemand verzweifelt….
Ein (zugebenermaßen recht unwahrscheinliches) Szenario nach der Wahl.
CDU knapp vor SPD, einzige Koalitionsmöglichkeit CDU und SPD (mit mehr als 50% der Stimmen) und Norbert Röttgen ist auch in den Landtag gewählt worden.
CDU und SPD einigen sich auf Röttgen als Ministerpräsident. Dieser gibt darauf hin sein Bundestagsmandat und Ministeramt auf.
Muß er vermutlich. Weiß jemand genau, ob man parallel ein Bundestags- und Landtagsmandat gleichzeitig haben darf?
In der Wahl zum Ministerpräsidenten bekommt er nicht genug stimmen, die Koalition zerplatzt und es gibt wieder eine Minderheitsregierung.
Dann sitzt Norbert Röttgen auf der Oppositionsbank, da sich der Landtag ja schon gebildet hat.
Mein 91-jähriger Opa lebt seit ein paar Jahren schon im Altenheim. Er bekam zuletzt gleich mehrfach Besuch von SPD und CDU, wie er genervt berichtete. Und obwohl er sich kaum ‚zu wehren‘ vermag, weil er leider inzwischen blind und fast taub ist, hat er mir bei meinem jüngsten Besuch ’stolz‘ erzählt, dass es ihm gelungen sei die ungebetenen Parteibesucher mit entschlossener Ablehnung wieder aus seinem Zimmer im Altenheim zu vertreiben. 🙂
Die heißen schon seit Ewigkeiten so. Ich kenne den Begriff seit mindestens 15 Jahren.
Ja. Ein SPD-Kandidat verteilte (rote) Marmelade und Brötchen, ein anderer lud zur Currywurst ein, ein dritter verteilte Salat.
All das, was hier beschrieben wird, machen alle anderen Parteien genauso. Mit dem Text kannst du jede Partei lächerlich machen. Ich finde die Art und Weise wie hier die Arbeit der Wahlkämpfer aller Parteien niedergemacht wird, beschämend. Die meisten Wahlkämpfer machen das ehrenamtlich. Diese setzen ihre Freizeit ein, um für die Werte und Ziele ihrer Partei zu werben, um Menschen zu motivieren, ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Diese Arbeit ins Lächerliche zu ziehen ist leicht.
@ Ulrike,
Schau dich doch mal auf den Websites der anderen Parteien um. Nicht mal FDP und LINKE, die ja nun wirklich zittern müssen, greifen zu solchen verzweifelten Mitteln. Und was „Telefonlawinen“ damit zu tun haben, die „Menschen zu motivieren, ihr Wahlrecht wahrzunehmen“, müssen sie mir erklären. Oder sind Call-Center-Anrufe, die einem SKL-Lose verkaufen wollen, nun plötzlich ein probates Mittel, um die Menschen zu motivieren, ihr Konsumrecht wahrzunehmen?
Mir wurde auch schon ein SPD-Blümchen angeboten. Dafür haben mir die Sozialdemokraten aber nicht vor der Haustür aufgelauert.
Ehrlicher Wahlkampf geht anders. Ehrlich wäre, wenn Herr Röttgen klar Stellung bezieht, wie er sich nach der verlorenen Wahl verhält. Die anderen Parteien tun das auch. Die Wählerin kauft somit die Katze im Sack, und die von ihnen beschriebenen „Ehrenamtlichen“ stehen dann wie Hulle am „Canvassingstand“ und geraten in Erklärungsnot – auch kein netter Schachzug der Landesspitze.
Ps.: Wer nicht „lächerlich“ gemacht werden will, sollte auf lächerliche Wahlslogans wie den bekannten Mutter-Spruch verzichten.
Ach Ulrike, da kommen mir fast die Tränen wenn hier arme, ehrenamtliche WahlkämpferInnen für den Fortbestand der Demokratie ihre Freizeit opfern. Egal, ob 40, 50 oder 60% der Leute morgen nicht wählen gehen-es ist den Parteien doch nur einen Nebensatz wert. Nichtwähler werden mit dem ‚hättest ja wählen können‘ Satz delegitimiert und gut ist es. Für Parteien zählen am Ende nur die abgegebenen Stimmen und wie man eine Koalition bilden kann um an die Macht zu kommen. Der demokratische Idealismus ist ja nett, aber natürlich kann ich über jeden Altenheimbesucher oder Brötchenverteiler ionische Bemerkungen machen, denn ich nehme keinem die ehrliche Fürsorge um die Demokratie ab.
[…] der CDU-Spitzenkandidat Röttgen zum Ende der lauen Wahlschlacht Fehler an Fehler reihte, macht es auch nicht besser. Und das sich die Junge Union NRW am Ende noch derart […]
Als ich die Überschrift über den Beitrag gelesen habe -noch nicht den Text-, dachte ich: „Ist doch klar;selbstverständlich müssen alle, die „Mutti“ lieben, nämlich ihre Mutti Merkel , CDU wählen.“
Ansonsten im Sinne der meisten Kommentare:
Die CDU- Aktion setzt einem der inhaltsleersten, z.T.blödsinningsten Werbungen aller Parteien in NRW um Wählerstimmen -Wahlkampf um Inhalte ist anderes-die Krone auf!
Und einen Testvorschlag von mir, der leider für die jetzige Wahl zu spät kommt:
Frage an die Wahlhelfer -in verschiedenen Städten- an den Ständen aller Parteien:
„Sagen Sie mir bitte spontan drei konkrete Gründe, warum ich ihre Partei wählen soll“.
Und was wird geantwortet? Unabhängig davon, daß von dem Befragten in keinem Fall unmittelbar drei konkrete Antworten gegebn werden konnten, war noch bemerkenswerter, daß eine solche Fragestellung für die Wahlhelfer offenkundig absolut überraschend war; wohlgemerkt für Wahlhelfer!! (Die waren offfenkundig gut vorbereitet auf das Braten von Würstchen, das Ausschenken von Bier, das Verteilen von Blumen , das Aushändigen von Fleyern und den Verweis auf ihre Inhalte, wenn Politisches gefragt wurde, das Aushändigen von Kugelschreibern pp.)
Ja, Ulrike -7-, so sieht das mit den politisch informierten, politisch engagierten, politisch argumentierenden Helfern an den Wahlständen aus, denen ich wegen ihres ehrenamtlichen Engagement selbstverständlich persönlich keine Vorhaltungen mache, wohl aber ihren Parteien!!)
Mir tun die CDU Wahlkampfhelfer ehrlich gesagt leid. Sie scheinen sehr motiviert an die Neuwahlen heranzugehen und werden von ihrem Spitzenkandidaten und seinem General total im Stich gelassen. Es macht beispielsweise keinen Sinn, seine Leute monatelang auf das Thema Schulden einzutrimmen und ihnen im Wahlkampf keine Argumente an die Hand zu geben, mit denen sie die Wähler überzeugen könnten. Alles, was die CDU in den letzten zwei Jahren an den Entscheidungen der Rotgrünen Regierung angeprangert hat, wie die Abschaffung von Studiengebühren, zerplatzt als Argument, wenn es dem Spitzenkandidaten in den Sinn kommt, auf einmal einen anderen Kurs fahren zu wollen.
Ein Parteimitglied in den CDU Ortsverbänden kann vor Ort und für seine Heimat noch so viel leisten, er wird den Wähler nicht davon überzeugen können, dass ein Ministerpräsidentenkandidat genauso engagiert arbeiten würde, wenn dieser nur dann bereit ist politische Verantwortung zu übernehmen, wenn er die Wahl gewinnt.
Die Wahl ist für die CDU eigentlich von Beginn an zum Scheitern verurteilt, weil ihr Spitzenkandidat nicht weiß, was er will… außer Ministerpräsident werden. Ausbaden dürfen es die Mitglieder. Ich meine diejenigen, die nicht vor lauter Frust die Partei verlassen werden.
@5 Spider
Doppelmandate (Bundestag / Landtag) werden weder auf Bundesebene noch durch Gesetze in NRW ausgeschlossen. In anderen Bundesländern ist ein solcher Ausschluss theoretisch denkbar, ich kenne aber keinen solchen Fall.
Mit einem Mandat im europäischen Parlament ist aber beides unvereinbar.
Die Parteien mögen so etwas aber überhaupt nicht, weil die Abgeordneten meist in der einen oder anderen Fraktion nicht voll ihren Aufgaben nachkommen und eher mal bei Abstimmungen fehlen, weil sie zeitgleich im anderen Parlament sitzen.
Geduldet wird das aber durchaus im Nachhall von Wahlen – während Sondierungs- oder Koalitionsgespräche laufen. Meistens legen die Doppelabgeordneten spätestens bei der konstituierenden Sitzung eines ihrer Mandate nieder, wenn klar ist, ob der Wechsel zwischen Landes- und Bundespolitik geklappt hat oder ob sie sich evtl. wieder zurückziehen.
Meist sind das Konstellationen wie: Ministerpräsident als Kanzlerkandidat, MP oder Landesminister als Teil des Schattenkabinetts bei einer Bundestagswahl, MdB als Spitzenkandidat oder Teil des Schattenkabinetts für eine Landtagswahl.
Dazu kommen noch Landeslistenaufhübscher, die nicht wechseln wollen, aber in den Medien, die lieber einen Kandidaten als einen sonstigen Parteienvertreter zu Wort kommen lassen, eine gute Figur machen können.
Ein Beispiel für ein längeres Doppelmandat ist Jürgen Möllemann, der sich so kurz nach der Bundestagswahl mit der FDP verkracht hatte, dass er noch keins der beiden Mandate abgegeben hatte und nach der Trennung von der Partei beide Mandate verwenden wollte, um als Promi-Fraktionsloser am Aufbau einer neuen Partei zu arbeiten – die Partei F.A.K.T. wurde drei Wochen nach Möllemanns Tod vom Ex-Grünen und Kurzzeit-Liberalen Jamal Karsli gegründet und erreichte in ihrer Blütezeit eine Mitgliederzahl von 200.
@Martin
Tja, das nennt man Transparenz. Bei den anderen Parteien werden solche Aktionen in den Hinterzimmern geplant.
Tut mir leid, aber solche Aktionen machen alle Parteien. Und der Hohn und Spott und der mangelnde Respekt trifft daher am Ende auch alle Parteien.
Ach ja? Ich weiß zwar, dass Lindner bei gewonnerer Wahl in NRW bleiben will, aber was er tut, wenn die FDP nicht in Landtag kommt – keine Ahnung. Und bei Kraft gibt es zu der Frage, was sie tun würde, wenn sie ein Wahldesaster erleben würde, nur das vage „mal sehen“, das sie bei Lanz von sich gegeben hat.
Die Wählerin, d.h. ich, hat sich bei keiner Wahl je dafür interessiert, was der Wahlverlierer macht. Ob er oder sie nach Australien auswandert, privatisiert und die Wunden leckt, in den Bund wechselt (Steinbrück), in die freie Wirtschaft (Schröder): das ist mir vollkommen schnuppe. Hat irgendjemand 2010 Rüttgers oder Kraft vor der Wahl danach gefragt? Und wenn Rüttgers gesagt hätte, notfalls werde er wieder Oppositionsführer: Wie man ja sehen konnte, leben wir in einer Demokratie. Oppositionsführer werden nicht vom Spitzenkandidaten bestimmt, sondern von der Fraktion gewählt.
Der Wählerin, d.h. mir, ist es viel wichtiger, klare Aussagen zu Themen zu bekommen, die mich auch was angehen. Und da finde ich das Rumlavieren um die Frage, ob und wann etwas gegen die Schulden getan wird, viel problematischer. Ein vages „das Ziel ist die Einhaltung der Schuldenbremse“ ist mir zu wenig. Denn Spitzenkandidat(inn)en kommen und gehen. Aber die Schulden des Landes, die betreffen mich auch noch in 10 Jahren.
@Ulrike
Du hast schon Recht mit Deiner Einstellung, dass es egal sein müsste, was ein Kandidat bei einer Niederlage macht. Der Wahlkampf hat allerdings gezeigt, dass dies vor einer Wahl schon eine Rolle spielen kann. Röttgens Vorstellung wieder nach Berlin zu gehen, falls er die Wahl nicht gewinnt, schwächelt an dem Punkt, wo er dem Wähler glauben macht, dass er sich angeblich noch nicht festgelegt hat und diese Entscheidung vom Präsidium der NRW-CDU getroffen wird. Eine solche Argumetation nimmt ihm der Wähler nicht ab. Natürlich geht Röttgen nach Berlin zurück, sollte er scheitern, sonst würde er nicht so einen Affentanz um diese Frage veranstalten. Das Geschwafel um den heißen Brei schadet ihm deshalb, weil man von einem MP konsequentes Handeln erwartet und kein Rumeiern.
Die Personalie Röttgen schadet der CDU eigentlich schon seit der Änderung des Wahlverfahrens. Ohne die Mitgliederbefragung wäre wahrscheinlich Laschet heute MP Kandidat. Für CDU Mitglieder mag eine Mitgliederbefragung zwar demokratisch erscheinen, in Wirklichkeit wurde das Verfahren aber deshalb geändert, weil man in Berlin einen von Merkel favorisierten Kandidaten druchdrücken wollte. Eine solcher von oben dirigierte Akt erinnert ganz stark an die ersten Landtagswahlen in den neuen Bundesländern, als Kohl in Sachen und Thüringen etablierte Westpolitiker an der CDU Spitze dieser Länder installierte. Das wirkte damals ein wenig wie Entwicklungshilfe für Gegenden, denen man erst noch zeigen muss, was Demokratie und Politik bedeutet. In NRW, dem einwohnerstärksten Bundesland, sollte man es tunlichst vermeiden, den Eindruck zu vermitteln, hier müsste von außen nachgeholfen werden. Aber genau dieses Bild vermittelte Röttgen in seinem Wahlkampf.
Und aus Gerhard Schröder ist übrigens Gazpromgerd geworden. Bei seinem Gehalt wird ihm das persönlich wahrscheinlich Schnuppe sein. Aber dadurch, dass er sich so offen prostituiert und vor Putins Karren spannen lässt, verblassen seine politischen Errungenschaften als Kanzler immer mehr. Es ist ja nicht so, als würde man ungeschoren davon kommen, wenn man bei einer Wahlniederlage sein Betätigungsfeld wechselt…
Ich liebe meine Mutter und wähle Piraten.
Die Zukunft von Deutschlansd ist orange!