Am Sonntag wird mit der AfD zum ersten Mal seit 1961 eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einziehen. Wer ist Schuld?
Sie sind wieder da. Und sie waren lange weg: Nachdem es der Deutschen Partei 1961 nicht mehr gelang, in den Bundestag einzuziehen, gelang es keiner rechtspopulistischen Partei mehr, die 5-Prozent-Hürde zu überwinden oder so viele Direktmandate zu gewinnen, um in das nationale Parlament einzuziehen. Nur zwei Mal verpassten rechte Parteien, die NPD 1969 und die AfD 2013, knapp den Einzug in den Bundestag – bei allen anderen Wahlen spielten sie auf Bundesebene kaum eine Rolle. Das wird sich am Sonntag ändern. Dass die AfD in den Bundestag einzieht, gilt als sicher.
Und wer ist Schuld? Ist „Merkel die Mutter des Monsters„, wie der Erbe Jakob Augstein glaubt? Oder wurde, wie Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel meint, die Sozialpolitik vernachlässigt? Hat sich die SPD zu sehr von den „kleinen Leuten“ abgewandt?
Mag alles sein und vielleicht trägt es dazu bei, dass die AfD wohl nicht knapp, sondern mit einem guten Ergebnis in den Bundestag einzieht, aber dass sie es schafft liegt daran, dass es ihr gelungen ist, ein Wählerpotential zu erreichen, das sich mit den demokratischen Parteien, ja den Werten der liberalen Republik, nie identifizieren konnte.
1981 erschien die Sinus-Studie zum Rechtsextremismus. das Ergebnis kann man kompakt auf Wikipedia nachlesen:
Befragt wurden 7.000 Wahlberechtigte. Die Sinus-Studie gab an, dass 13 oder mehr Prozent der west-deutschen Bevölkerung über ein „geschlossenes rechtsextremes Weltbild“ verfügten. Etwa jeder zweite in dieser Gruppe befand auch Gewalt als ein probates Mittel, um dieses durchzusetzen. Weitere 37 Prozent seien zwar gegen Antisemitismus, Militarismus und Führerkult immun, aber seien dennoch empfänglich für „rechtsextreme Denkinhalte“.
Sowohl die DVU als auch die Republikaner scheiterten daran, dieses Wählerpotential zu binden. Die DVU war nie viel mehr als eine One-Man-Show des rechtsradikalen Verlegers Gerhard Frey, die Republikaner zerstritten sich während ihrer Wachstumsphase schlimmer, als es die AfD tat.
Die AfD hat es geschafft, entscheidende Hürden zu überwinden: Sowohl Luckes Aus als auch Petrys Degradierung fügten ihr keinen entscheidenden Schaden zu. Und wenn Höcke und Gauland heute hetzen, schreckt dass die AfD-Wähler nicht ab: Sie bekommen endlich, was sie wollen. Die bürgerliche Fassade soll gewahrt bleiben, aber viel mehr als die Fassade muss es nicht sein.
Die Zeit für eine Partei wie die AfD war reif. Der Erfolg einer solchen Partei war überfällig, in nahezu jedem europäischen Land sitzen rechtspopulistische Parteien in den Parlamenten. Und das nicht, weil die Politik versagt hat, sondern weil sie für eine Politik stehen, die sich viele wünschen – eben jene mindestens 13 Prozent die schon nach der Sinus-Studie 1981 über ein geschlossenes rechtes Weltbild verfügen. Und diese 13 Prozent sind keine verführten Unschuldigen, sind keine Schäfchen, die vom Weg abgekommen sind, sondern überzeugte Rechtsradikale. Mag sein, dass sich die AfD bald spaltet, mag sein, dass ihr das schadet – aber egal ob sie im Parlament sitzt oder nicht: Das größere Problem ist, dass mehr als jeder zehnte in diesem Land ein Rechtsradikaler ist.
Und deswegen halte ich, einschliesslich der Protestwähler, auch ein Ergebnis von mehr als 15% für die AFD für möglich. Ich hoffe natürlich, dass ich falsch liege.
Wenn die AFD in den Bundestag einzieht, dann nur deshalb, weil es die Wähler so wollen. Die Partei ist ja nicht verboten. Das sollte mal einfach respektiert werden.
Natürlich weil es Wähler und Wählerinnen gibt, die das wollen. Aber die Frage ist doch, wieso sie das wollen. Dafür gibt es sehr wohl Ursachen und Verantwortliche. Zu Letzteren zählen auf jeden Fall alle die, die bislang in diesem Land ein Einwanderungsgesetz verhindert oder sogar bekämpft haben.
Neumann
Auch die NSDAP haben seinerzeit "die" Wähler gewollt. Sie war nicht verboten. Letzteres war leider, auch wenn "man" es rechtzeitig politisch gewollt hätte, nach der Weimarer Verfassung nicht möglich.
"Man" hat zudem seinerzeit den "Volkswillen pro NSDAP" vor allem im sog. konservativen Lager nicht nur akzeptiert, sondern diesen Wählerwilllen durch Zustimmung zu dem wohl wichtigsten Gesetzesvorhaben der Hitler-Nazis, nämlich dem sog. Ermächtigungsgesetz, legalisiert, legitimiert und sanktioniert. Die Folgen dieses politischen Wahns -von Partei und Volk- sind bekannt.
(Allein die Sozialdemokraten haben seinerzeit -trotz berechtigter Sorge um Leib und Leben- eit im Reichstag gegen das Hitler-Nazi-Ermächtigungsgesetz gestimmt.)
Selbstverständlich habe ich -bekanntermaßen Sozialdemokrat -den Willen der Wähler pro AFD zu akzeptieren, dh. als solchen anzunehmen . Ich muß wie jedermann in Gesellschaft und Staat mit ihm politisch umgehen.
Respektieren werde ich diesen Wählerwillen allerdings nicht, d.h.,ich werde ihm nicht "mit Ehrerbietung, mit schuldiger Achtung "begegnen.
PS
Über die Gründe für die Existenz der AFD, für ein AFD- Wahlergebnis von 1o % -plus X?-, damit für die in der Geschichte der Bundesrepublik höchste Anzahl rechtsradikaler Abgeordneter im Parlament und über Ursachen, Verantwortlichkeiten und konkreten Folgen dessen, was damit einhergeht, gibt es mittlerweile mehr oder weniger umfangeiche "Abhandlungen" mit mehr oder weniger nachvollziebaren Argumenten, oftmals m.E. im Übermaß bestimmt von der gesellschaftspolitischen Grundauffassung des jeweiligen Verfassers (….Merkel ist verantwortlich. Die SPD ist verantwortlich. Die "Ossis" sind verantwortlich. Das System der Parteiendemokratie ist verantwortlich. "Verblödete" Bürger sind verantwortlich, die nichts wissen, aber zu allem eine Meinung haben und diese in Gesellschaft von Nichtwissern im Internet kommunizieren , muliplizieren, verstärken usw. usw.)
Deshalb gehe ich jetzt und hier auf die Frage von Stefan Laurin nicht näher ein, nicht obwohl, sondern weil es von existentieller Bedeutung für den Fortbestand der freiheitlich-pluralistischen Gesellschaft und des demokratischen Rechtstaates Deutschland ist, daß sich die Gesellschaft in Gänze, daß sich alle Staatsorgane mehr als bisher und losgelöst vom "Wahlkampfgetöse" einem umfassenden, einem tiefgreifenden Diskurs auf die von Stefan Laurin gestellte Frage stellen, einem Diksurs, an dem es m.E. bisher gemangelt hat und dessen Ansätze "man" begraben hat in unsäglichen "Quatsch-Runden" = politische Talk-Shows. (" Es wäre an der Zeit, die Sprechschau in der Demokratie zu begraben, statt die Demokratie in der Sprechschau" -Georg Seeßlen, ZAZ, 5.7.2017, Kommentar S.o8 -letzer Satz.).
Ob diese Sprechschaus ihren Anteil am AFD Erfolg haben? Ja, so meine ich. Über die "Höhe" dieses Anteiles mag man streiten.
Der Verweis auf die Sinus-Studie 7n diesem Zusammrnhang ist richtig. Hierzu aber zwei Anmerkungen: die SinusStudie wurde 1981 ausschließlich in Westdeutschland duchgeführt.
Es ist nicht austuschließen.dass das Potenzial in Ostdeutschland aufgrund der dort während der DDR-Zeit herrschenden autoritaristischen Staatsform höher ausgefallen wäre, worauf auch die jetzige- wenn man der Theorie vom geschlossenen rechtsextremen Weltbild folgt- entsprechend höhere Zustimmung zur AFD begründet liegen mag,
Nur- mit diesen -verständugen wir uns jetzt mal auf 13 % ist es nocg nucgt getan,
Lt, Zeit von 1981 stellte die Sinus-Untersuchung auch bei 37% der repräsentativ Befragten am ein"autoritär gestimmtes Potenzial" fest,dass sich zwar in gewissen Punkten deutlich vom geschlossenen rechtsextremen Weltbild , ,wie es in der SinusStudie definiert wird,unterscheiden lässt, sich aber für die AFD-Parolen,die auch auf Verunsicherung und Ängste abzielen, potenziell empfänglich zeigt,
Insofern muss man leider konstatieren, dass die AFD-Marketing- Abteilung einen guten Job gemacht hat, Sie haben sowohl einen gewissen rechtsextremen Prozentsatz wie auch einen größeren Anteil unter den Anhängern des Autoritarismus abgegrast.
Das erklärt dann letztlich auch das diffuse Bild über die AFD-Anhängerschaft, die nun in der Tat nicht alle als Nazis,aber durchaus als rassistisch und chauvinistisch zu charakterisieren wäre,
Das macht die AFD aber keineswegs harmloser.
Hier nun der entsprechende Auszug aus der Zeit von 1981: (URL liefere ich gleich nach)
"SINUS hat ferner ein autoritär gestimmtes Potential (37 Prozent) diagnostiziert. Es unterscheidet sich von den Rechtsextremen dadurch, daß Führerkult, Antisemitismus und Militarismus abgelehnt werden; hier herrschen „unspezifische Gefühle des Bedrohtseins, der Verlorenheit, der Orientierungs- und Machtlosigkeit“ vor."
http://www.zeit.de/1981/20/keine-gefahr-von-rechts
Die Verantwortung für das Wahlergebnis am Sonntag liegt beim Wähler.
Spannend wird es dann bei der Regierungsbildung.
Eine weitere große Koalition würde vermutlich die SPD weiter zurückwerfen und andere Parteien stärken. Neben der AfD haben auch "Die Linke" gute Ergebnisse. Beide Parteien vereint ein sehr heterogenes Spektrum an Wählern, die sich durch die Regierungspolitik nicht vertreten fühlen.
Die Grünen gehen noch unter, die FDP erlebt mit ihrer Lindner Show einen Höhepunkt.
Die Afd hat auch schon bei den vergangenen Wahlen erhebliche Zuwächse erreicht.
Die Hauptursache sehe ich darin, dass es dem Staat nicht gelingt, Antworten auf eine globalisierte Welt zu finden. Gesetze, die aus der Kaiserzeit stammen bzw. aus den Zeiten des Kalten Krieges passen nicht. Bund-/Land und Kommunen gelingt es im staatlichen Bereich nicht, die neuen Herausforderungen zu erreichen.
Da vermutlich weder AfD und vermutlich auch nicht "Die Linke" eine realistische Regierungsoption haben, ist es natürlich die Frage, ob wirklich so viele Wähler diese Parteien am Wahlsonntag wählen.
Ich denke, dass Sarrazin der Dammbruch war. Seitdem sind rechtextreme Ansichten kein Fall mehr für die Schmuddelecke, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Man ist kein Außenseiter mehr, sondern hat viele (auch prominente) Mitläufer an seiner Seite. Natürlich gibt es noch andere Gründe. Die CDU hat ihren Stahlhelmflügel verhungern lassen, die SPD den "kleinen Mann" vernachlässigt. Letzterer war ja auch schon immer ein kleiner Rassist, so lange es ihm aber einigermaßen gut ging hat er seinen Kumpel nicht angemacht – auch wenn der DGB massiv dafür werben musste. Gibt ja auch Studien, die besagen, dass mehr als ein Drittel der Azubis, die in Gewerkschaften organisiert sind, offen für rechte Einstellungen sind.
Den Bodensatz gab es halt schon immer, das erschreckende ist tatsächlich, dass sie durch die Nazi-Rhetorik von Gauland und Co eher ermutigt als abgeschreckt werden. Und dass die Partei demnächst den Reichstag als Bühne nutzen darf, macht die Sache noch gefährlicher. Und wie Walter Stach schon sagte: Auch die NSDAP war irgendwann wieder eine legale Partei und die Geschichte zeigt, dass Demokratien eben nicht alles automatisch aushalten.
"Mit verantwortliche Linksliberale"…..
Nach der Wahl am Sonntag wird die Gesellschaft in Deutschland umfassender und tiefgreifender als bisher bei der Suche nach Antworten auf die von Stefan Laurin gestellte Frage einen Diskurs zu führen haben über "die Ursachen für das AFD-Wahlergebnis" und über seine kurz-, mittel-und langfristigen Folgen, und zwar in überall:
In Schulen, Universitäten, Vereinen, Verbänden, Gewerkschaften, Kirchen, in den Medien.
Diskurs auch hier verstanden als "Schauplatz rationaler Kommunikation" anstelle sinnloser, widersinniger, unsinniger, irrationaler "Quatsch-Runden" und ebenos oftmals blödsinniger Meinungsbekundungen/Meinungsaustausche im sog. Netz sowie anstelle polemischer Kommentierungen quoten und auflagenfixierter Redakteuere(Moderatoren in den Medien
Alle diejenigen, die einen solchen Diskurs zu führen gedenken, empfehle ich als Lektüre, die einem solchen Diskurs dienlich wäre:
"DIE AFD wird bleiben"
LINKS UND RECHTS Wir linksliberalen Kosmopoliten sind für den Erfolg der Rechtspopulisten mit verantwortlich, sagt der Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel.
Ein TAZ-Interview mit Wolfgang Merkel, WZB Berlin
TAZ.DIE TAGESZEITUNG -Freitag, 22. Sept.2o17 , S04 -taz.wahl17