Wenn ich an den VfL Bochum denke, dann höre ich ihn.
Ich höre ein Pfeifkonzert, wie ein Haufen Rückkopplungen, als ob Hendrix achtziggmal wiederauferstanden wäre, so pfiffen die Leute im Stadion, in das damals noch 40.000 reingingen. Wenn mal viele da waren und der Gegner unsympathisch, hätte ich keine Lust gehabt, dort unten zu spielen. Man bekam eine Ahnung vom Hörsturz.
Ich höre den Stimmungskanon vorm Spiel, ein Schlagermoderator hat das eingeführt, das Bochumer Jungenlied von den Provinz-Tote-Hosen. Dann das Original mit der durchsichtigen Ranschmeiße an Liverpool und das suizidale Vereinslied namens "Mein VfL". Zitat: "Manchmal frag ich mich, wie das Leben denn so wäre, wenn es dich nicht gäbe, nein, das wär kein Leben mehr…" und schließlich Grönemeyer, Bochum. Ein Lied wie eine Werbepause. Jeder, wirklich jeder möchte nach 22 Jahren endlich abschalten, wenn das Saxophon losfeuchtelt, aber erst danach kommen VfL und Doppelpass zu Ehren. Also dranbleiben.
Ich höre Werbungen. Früher: "Und nach dem Spiel ein Spielchen – in Jürgen Köpers Megaplay". Heute die Karabalta GmbH. Zeitlupenszenen auf den beiden Videowänden. Staub, Steine, Mauern, die Musikauswahl erinnert an ein Kurzprogramm im Eistanz, und doch geht es tatsächlich um ein stolzes Bochumer Abbruchunternehmen mit Migrationshintergrund.
Dann zum Einlaufen, klick, Carl Orff, Carmina Burana, klingt auch ein bisschen wie Eistanz-Drama Marke Torvill Dean. Ich kenn die hochmittelalterlichen Weisen vor allem aus Excalibur (1981), andere aus der Waldorfschule auf Klanghölzern, Triangel, Blockflöten. Passt schon, Bochum ist eine Hochburg der Anthroposophen.
Was ich noch höre, wenn ich an den VfL Bochum denke? Das Bochumerische. Dieses gewisse Idiom, Sie kennen es, schließen Sie die Augen und denken Sie an Hermann Gerland, an Thorsten Legat, oder – nicht zuletzt – an Werner Altegoer. klick
Das Bochumerische spricht sich schneller. Es wird nicht gesungen, sondern gekeucht und gekaut. Die Zunge stößt gegen die Zähne. Nein, nicht alle Bochumer lispeln: Es wird ja auch Pfälzer geben, die CH und SCH auseinander halten können, sich aber nichts anmerken lassen. Für mich gibt es kaum Niedlicheres als Bochumer Lispler, den zischelnden Werner Altegoer, wenn er sagt, nein, wenn er ssaggt, "ish ssag mal, ish hab ihn ja hergeholt…." Hören Sie sich an, diesen Netzer des Monats!
Sehen Sie es sich an, die Weltkarte, die Hinterhoffirma, Hausnummer 12 b, Verwaltungsgesellschaft Altegoer, das Modell am rechten Bildrand; – ist das nicht das alte Verwaltungsgebäude von Krupp in Bochum mit dem Glockenspiel? Und ganz wunderbar, Rainer Calmund als tapsiger Interviewer, "wir kenn‘ uns von früher", der nichts falsch machen will, damit er nicht vergessen wird. Und zum Schluss wünscht ihm der VfL-Präsi "auch für Sie alles Gute". Mitleid.
Ach ja: Altegoer hat momentan Ärger, weil Manager Stefan Kuntz das Weite sucht. Kuntz ist eine Art Fußballstar, spricht eine hässliche Mundart, saarländisch, er singt, grooved aber nicht. Kuntz hat in Bochum als Manager gearbeitet. Und das gut. Was ich nicht an ihm mochte: Als wir ihn – gerade wieder an der Castroper Straße – fragten, ob er auch zurückgekehrt sei, um etwas wieder gut zu machen, wusste er nicht, was wir meinten. Dabei hatte er beim VfL seine Fußballerkarriere unterirdisch ausklingen lassen, nicht fit, ein träger, schlapper Libero, die ganze Mannschaft wie gelähmt. Es war eine Katastrophe. Der dritte Abstieg.
Wenn ich an Bochum denke, höre ich es zischeln und keuchen.
Ich höre es pfeifen und singen, knödeln und brüllen.
Sein Verein in meiner Stadt.
Wenn ich an Bochum denke, denke ich an die enge Bierbude hinter der Kurve, mit der Monsterdrängelei und den PLastikbechern, den Blechklang der Bande und schlechte Sicht auf die Gegenkurve.
Aber vor allem an den Nachhause weg, die Castroper Runter und an den Bach vor dem ersten Haus, wenn ihr wisst was ich meine. 😉