Auch als größter Fan des Online-Handels: Seit der Coronakrise kaufe ich Bücher konsequent nur noch im lokalen Buchhandel – was dazu führt, dass manchmal ein Buch mehr als geplant in meiner Einkaufstasche landet.
Ein Buch, das so bei meinem letzten Besuch in der Buchhandlung meines Vertrauens in meiner Einkaufstasche landete ist „Die Geschichte machen – Helden und Schurken im Ruhrgebiet von anno dazumal bis heute“ von Werner Bergmann.
Mit dem Begriff Ruhrgebiet verbindet man – das ist zumindest bei mir so – besonders die Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert und alles was so danach kam:
Kohlebergbau, stolze Stahlwerke, Horst Schimanski, die Büdchen an jeder Straßenecke in denen man – von Bärendreck über Bier bis hin zu Zigaretten – jedes lebenswichtige Produkt bekommt.
Auch nicht zu vergessen: Die besonderen Menschen die hier wohnen, die Filmreihe „Lass jucken, Kumpel“ und – auch – das Blog der Ruhrbarone.
Aber, das ist jetzt zugegeben keine große Überraschung: Auch vor der Industrialisierung leben hier schon Menschen. Der Ruhrgebietler ist also bein Produkt des 19. Jahrhunderts.
Über die letzten 200 Jahre – und die Zeit davor – schreibt hat Werner Bergmann ein interessantes Buch geschrieben, das im Verlag Henselowsky Boschmann veröffentlicht wurde.
Das Ruhrgebiet: Mehr als Maloche und Industrie
Aus dem Vorwort:
Sie wussten natürlich schon immer, dass das Ruhrgebiet mehr war und ist als Menschen, Maloche, Maschinen, Industrieanlagen, Dreck und Staub. Doch jetzt ist die Kohle weg, manche Industrieanlage rostet zwischen Freizeitpark und Museumsstück einsam vor sich hin, und „Glück auf!“ ist bald Vergangenheit. – War das alles?
Oder gab und gibt es Menschen im Revier, die für die Region Hervorragendes geleistet oder auch fürchterliches angerichtet haben?
…..
Verlassen wir also die Ecke, in die wir lange Zeit gestellt wurden, und zeigen wir dem Bayer, was unsere Heimat – das Revier – vor allen anderen Regionen der Republik auszeichnet. Die folgenden Seiten leisten dazu einen kleinen Beitrag
Das Buch beginnt mit Interessantem aus dem 2. Jahrhundert: Der Germanenstamm der Brukterer siedelte sich in dieser Zeit m Gebiet zwischen der Lippe und der Ruhr ansässig.
Chronologisiert wurde diese erste Besiedlung des Ruhrgebietes durch Aelianus Tacticus, einem griechischen Militärschriftsteller. Durch den antiken griechischen Chronisten und jetzt durch Werner Bergmann erfährt man einiges:
…wir erfahren vornehmlich von Tacticus einiges über die Brukteter. Sie waren an der berühmten Schlacht im Teutoburger Wald beteiligt und werden bei den Germamenzügen diverser römischer Feldherren immer wieder erwähnt. Aber dies geschieht immer nur gleichsam anonym. Denn namentlich greifbare Personen sind nur weniger überliefert, darunter sehr wenige Frauen, wenn man vielleicht von Tusnelda, der Ehefrau Hermanns des Cheruskers, absieht; die hatte ihren Hermann so sehr unter den Pantoffeln, dass deren Name synonym als abfällige Bezeichnung für eine Frau bis in unsere Zeit genutzt und schließlich zu „Tussy“ wurde.
Auf 238 Seiten – inklusive einer Übersicht über Orte, Personen und Quellenangaben – kann man Interessantes zu zahlreiche bekannten – oder weniger bekannten – Personen des Ruhrgebiets lesen:
Gerhard Mercator (Eigentlich Gerhard Krämer), dürfte zumindest in Duisburg einigen Einwohnern zumindest namentlich bekannt sein: Er ist im Buch ebenso zu finden wie Francisco Hurtado de Mendoza (Spanischer Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Niederlande), Wilhelm Theodor Grillo (Grillo-Werke), Fritz Brinkhoff (Braumeister). Neben den Ruhrbaronen (Die anderen!), die für Stahlproduktion und Kohlebergbau stehen, erfährt man auch einiges über Nicht-Industrielle die durchaus Geschichte geschrieben haben: Nikolaus Groß (Ein von den Nazis ermordeter Widerstandskämpfer.) ist hier zu nennen und – auf der anderen Seite – Albert Leo Schlageter, der „Scheinriese der NS-Propaganda“. Ebenso Thema in Die Geschichte machen – Helden und Schurken im Ruhrgebiet von anno dazumal bis heute ist natürlich Kurt Biedenkopf (Rektor der Ruhr-Universität Bochum, später lange Zeit Dauerkonkurrent von Johannes Rau beim Kampf um den Ministerpräsidentenposten in NRW, später Ministerpräsident von Sachsen
Soweit es mich betrifft: Das Buch lädt durchaus auch zur Erkundung der eigenen Umgebung ein und man erfährt auch neue Dinge über die eigene Region – in der man wohnt und in der man aufgewachsen ist. „Toni Turek“ hielt ich bis gestern für eine schwedische Biermarke – ich habe es nicht so mit Fußball: Jetzt weiß ich, dass er a) ein ehemals populärer Fußballer war, der b) in meiner direkten Nachbarschaft – hier in Wanheimerort – aufgewachsen ist.
Interessante Fakten über die „eigene Geschichte“
Mangels Bildcontent für diesen Beitrag: Nach einem Spaziergang von zehn Minuten hatte ich ein weiteres Fotos. Nachdem ich etwas mehr über die Dickelsbachsiedlung (Ein anderer Name für diese Siedlung war mir bis heute nicht bekannt!), in deren Umgebung ich zur Schule ging, durch das Buch erfahren habe:
Geboren ein paar hundert Meter entfernt „Im Schlenk“, zog die Familie in die Ende der 1920er Jahre gebaute Siedlung, die für sozial schwache, kinderreiche Familien in Einfachstbauweise errichtet worden war. Jedes unmittelbar an der Straße stehende Reihenhäuschen umfasste jeweils zwei Wohnungen mit ca. 35 Quadratmetern, Toilette auf halber Treppe und einem Gartengrundstück. Offiziell wurde sie als Dickelsbachsiedlung bezeichnet, bei den Wanheimerortern hieß sie nur Blutwurstkolonie, nicht wegen der roten Backsteine, aus denen sie gebaut war, sondern weil deren Bewohner sich nur billige Blutwurst als Brotbelag leisten konnte.
Noch interessanter für mich, ist der darauf folgende Absatz im Buch:
Innerhalb der Siedlung, entwickelte sich nach und nach ein gewisses Gemeinschaftsgefühl, das sich auch daraus herleitete, dass sie zwei Berühmtheiten hervorgebracht hat: Rudolf Schock und Toni Turek. Dieser hatte in der Jugend (übrigens zusammen mit Adi Preißler) das Fußballspielen beim SC 1900 erlernt, dessen Platz wenige hundert Meter von der Siedlung im Schatten des Wedau-Stadions (heute die Spielstätte des MSV Duisburg) lag.
Alfred Preißler war mir, bis heute ebensowenig ein Begriff wie Toni Turek.
Rudolf Schock hingegen war ein Verwandter meiner verstorben „zweiten Mama“, die mich betreute wenn meine Mutter arbeiten war: Dass an der Aussage von Werner Bergmann zum Thema Gemeinschaftsgefühl sehr viel dran ist, beweist Rudolf Schocks ewige Verbundenheit zu Duisburg:
Zum Geburtstag von „Tante Mimi“ gab er dort oftmals Arien zum besten, drei Gehminuten von der „Blutwurstsiedlung“ entfernt. In einer kleinen Wohnung – Wohnküche, Schlafzimmer, Bad mit WC.
Fazit: Interessantes über das Ruhrgebiet und seine Bewohner, spannend geschrieben. Für mich hat sich, alleine aufgrund des letzten Kapitels, die Lektüre doppelt gelohnt. Für Menschen im Ruhrgebiet, die etwas mehr – neben Fakten zu „Ruhrbaronen, Stahl und Kohle“ – über diese Region erfahren wollen: Absolute Kaufempfehlung.
Zumal das Buch für den Preis von 9,90 Euro (Hardcover, inkl. Lesezeichen) ein echtes Schnäppchen und ein perfektes Mitbringsel ist.
- Verlag: Henselowsky + Boschmann
- Seitenzahl: 238
- Gewicht: 400g
- ISBN-13: 9783942094962
- ISBN-10: 3942094967
Die Geschichte machen – Helden und Schurken im Ruhrgebiet von anno dazumal bis heute im lokalen Buchhandel oder online kaufen:
Wie ich schon vor einigen Wochen bemerkt habe: Viele Leute lassen sich im örtlichen Einzelhandel beraten und bestellen dann beim großen a, um einige Euro zu sparen.
Das wird inzwischen völlig zu Recht 'Beratungsbetrug' genannt.
https://www.hna.de/lokales/witzenhausen/weihnachtsgeschaeft-haendler-klagen-ueber-beratungsbetrug-4566129.html
Ich nehme inzwischen gern den umgekehrten Weg und verhalte mich, wie es der Autor des Artikels vielleicht auch öfter machen sollte: Ich schaue beim großen a nach, welches Buch ich haben will, und bestelle es dann bequem per Telephon bei der lokalen Buchhändlerin um die Ecke. In nahezu 95% der Bestellungen kann ich das Buch am nächsten Tag abholen und habe damit den lokalen Einzelhandel unterstützt, der mein Stadtviertel lebenswert macht.
Noch gibt es Buchhandlungen! Und eine Buchpreisbindung! Ich halte das nicht für Sozialismus, sondern für eine kulturelle Errungenschaft!
@#1: Ich kaufe seit März nur noch im lokalen Buchhandel. In meinem Fall bei der im Beitrag verlinkten Buchhandlung Scheuermann (Kleiner Buchladen in Duisburg, guter Service, die versenden seit Corona auch!)
Darum auch der Hinweis "Die Geschichte machen – Helden und Schurken im Ruhrgebiet von anno dazumal bis heute im lokalen Buchhandel oder online kaufen." – jeden einzelnen Laden aufzuführen, würde leider den Beitrag sprengen. Ich werde das mit Büchern auch beibehalten, weil ich das inzwischen durchaus schätze: Da man schonmal "Zufallsfunde" (Wie das besprochene Buch z.B.) macht.
Dann sind wir ja einer Meinung!
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