Handel treibt die Welt voran. Die eine Börse brennt noch wegen der geplatzten Immobilien-Derivate, Credit-Swaps, und Sinnlos-Futures, da geht es an der anderen Börse weiter. Es geht um Wetter-Derivate. Wetter-Was? Richtig, Derivate. Das haben sich vor gut zehn Jahren ein paar Börsenjungs in Chicago ausgedacht. Man handelt Wolkenwände und Sonnenschein. Damit können sich Reiseunternehmen gegen Hagel in der Südsee versichern, oder Gasversorger gegen Hitzewellen in Kanada. Fast alle großen Versorger sind mit dabei, die großen Versicherer, eigene Hedge-Fonds, etliche Banken und Broker. Im vergangenen Jahr wurden weltweit 32 Mrd US-Dollar umgesetzt. Tendenz steigend. Noch ist dort alles ein solider, auf Wissen basierender Handel, doch scheinen Fundamente für einen neuen Wahnsinnshandel gelegt zu sein.
Der Wettermann vom RWE heißt Eric Stein. Er sitzt vor seinen sechs Computer-Bildschirmen in Essen-Altenessen, mitten im größten Energiehandelsraum Europas. Stein schaut gespannt auf eine Animation. Irgendwo über der Arktis zieht ein Hoch auf. Satellitenaufnahmen raffen das Wetter in Sekundenclips. Es sieht so aus, als spielten Kinder mit Farbklecksen. Blau ist kalt, Rot ist heiß. Jetzt kann Eric Stein sagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit es morgen in Duisburg regnet, in Brüssel hagelt oder in Warschau schneit. Doch so richtig interessant ist das Wetter über London, oben an der Themse, mitten in England. In der Waschküche Europas macht Eric Stein nämlich Geld. Der RWE-Wettermann handelt mit Regen und Sonne. Mit Eis und Sturm. Oder anders ausgedrückt: Eric Stein handelt Wetterderivate.
Bei diesen Luft- und Wassergeschäften bestimmen vor allem die Temperaturen die gehandelten Werte. Sie werden addiert zu einem so genannten CAT. Ist es im Mai etwa tagsüber durchschnittlich 10 Grad warm, macht das 310 CAT. Ein CAT ist standardmäßig 1000 britische Pfund wert.
Rechnet die Chicago-Wetter-Börse mit Regen und Kälte, fallen die CAT-Kurse, bei Hochdruck und Sonne ziehen sie an. Gehandelt werden Wetter-Verträge über einen CAT-Kurs. Jeder Händler, der einen Vertrag verkauft, muss diesen bis zum Ende des Monates zurückkaufen, um das Geschäft zu schließen. Ansonsten wird über die Börse abgerechnet, die als so genannte Clearingstelle alle Verträge untereinander ausgleicht. Wer näher an der Realität war, gewinnt.
Ein Beispiel für einen Wetterhandel:
Ein Händler spekuliert darauf, dass der September im Schnitt maximal 16,5 Grad warm wird. Das entspricht 496 CAT. Für diesen Betrag hat er einen Vertrag über das Septemberwetter verkauft. Um das Geschäft zu schließen, muss der Händler den Vertrag zurückkaufen, oder ihn Ende September gegenüber der Börse ausgleichen. Je kälter der Monat wird, um so höher wird der Gewinn des Händlers. Je wärmer der September wird, umso höher sein Verlust.
Würde der Monat nun durchschnittlich 16 Grad warm, macht das 480 CAT. Wenn der Händler seinen Vertrag nicht zurückkaufen würde, müsste er Ende September folglich an die Börse 480.000 Pfund zahlen, um das Geschäft auszugleichen. Für den Wetterfrosch wäre das gut. Sein Bruttogewinn läge bei 16.000 Pfund.
Ist der September aber 17 Grad warm, würde der Kurs auf 510 CAT steigen. Dann müsste der Händler 510.000 Pfund an die Börse zahlen. Sein Verlust läge damit bei 14.000 Pfund.
Am Besten wäre es jedoch für den Händler, wenn er jemanden findet, der mit einem noch kälteren September rechnet. Spekuliert jemand etwa auf einen Temperaturschnitt von 15 Grad, könnte der Händler seinen Vertrag für 450 CAT oder 450.000 Pfund zurückkaufen. Der Gewinn des Wetterdealers würde damit auf 46.000 Pfund klettern.
Zusammengefasst könnte man auch sagen, die Börsianer zocken. Und das mitten in einer Weltwirtschaftskrise, die von haltlosen Derivatgeschäfte und dubiosen Swaps ausgelöst wurde.
Fast alle Riesen sind dabei. Neben RWE handeln die Versorger Electricite de France und British Gas. Dann tummeln sich auf dem Parkett Versicherer wie die AXA oder die Swiss Re, aber auch Hedge Fonds wie Citadel oder D.E. Shaw sind dabei. Die Gewinne spezialisierter Wetterbroker, wie dem britischen Cumulus Weather Fund, liegen bei bis zu 26 Prozent des eingesetzten Kapitals – im Jahr. Früher war das ein Anlass zur Freude, heute kann das auch ein Grund zur Sorge sein. Können die Wetten auf Hitzewellen die nächste Finanzkrise auslösen, nur weil es im Sommer schneit?
Eric Stein widerspricht heftig: „Wir wetten nicht“, sagt er. Die Wettervorhersage auch im launischen London ist eine wissenschaftliche Angelegenheit, basierend auf fixen Daten, langen Erfahrungen und ausgetüftelten Klimamodellen. Stein untersucht das Klima beim RWE mit drei weiteren Kollegen. „Wir wissen, wie sich das Wetter entwickelt. Und wenn wir glauben, klüger als der Markt zu sein, kaufen wir.“ Es gibt Futures auf das Monatswetter in Atlanta. Es gibt Wochenoptionen auf das Klima in New York. Selbst der Regen in Portland kann gehandelt werden. In Europa lässt sich der Himmel über Barcelona verfeilschen, über Rom und Essen. Selbst auf die Saison in Tokio kann man Optionen lösen.
Ein einfaches Geschäft? Eine Mail poppt auf dem Bildschirm von Eric Stein auf. Ein Broker aus New York bietet einen Juni Future auf das Wetter in London Heathrow. Der Broker will die Monats-Temperatur für 489 CAT kaufen. Das heißt: er glaubt an 16,3 Grad in Londoner Schnitt, das ist warm, aber keine Hitzewelle. Verkaufen will er deshalb für 526 CAT – das macht 17,5 Grad im Juni-Schnitt.
Nach Ansicht von Eric Stein ein schlechtes Geschäft. Aktuell rechnet der Wettermann mit einer Juni-Temperatur von 17 Grad. Das entspricht eine m Preis von 510 CAT. Verkauft nun Eric Stein seinen Wettervertrag für 489 CAT, macht er einen Verlust von 21.000 Pfund – wenn seine Berechnungen eintreten. Kauft er für 526 CAT, macht er im gleichen Fall einen Verlust von 16.000 Euro. Der Käufer müsste schon mehr als 510 bieten, damit Stein mit ihm ins Geschäft kommt. Mit anderen Worten. Das Angebot ist für die Tonne. Eric Stein schließt die Email.
Es gibt nicht wirklich viele gute Geschäfte mit dem Wetter. Auf dem Tisch des Meteorologen Stein steht ein Leitzordner. Schwarz. Beschriftung: „Trade Tickets“. Hier werden die Deals abgeheftet. Schwarz auf weiß, dann hoch gebracht zur Buchhaltung. Dort eingespeist in ein Handelsbuch. Passend gemacht für die Konzernrechnung, gegengecheckt auf ihren Wert und auf ihr Risiko. Und dann wird abgerechnet. Hat Eric Stein gut gelegen, macht er Gewinn. Gab es Regen statt Sonnenschein, steht ein Minus im Buch. In diesem Monat hat er gerade mal ein knappes Duzend Verträge abgeschlossen.
Der Klimahandel über die Börse ist nach Ansicht von Stein trotzdem ein einträgliches Geschäft. „Der Handel ist völlig transparent. Jeder hat die gleichen Voraussetzungen, es kann keinen Insiderdeals geben.“ Die Wetterstationen erheben exakte Daten, die großen staatlichen Wetterdienste erstellen auf dieser Grundlage Modelle, zu denen jeder Interessent gleichberechtigt Zugang bekommt. „Unsere Aufgabe ist es, diese Modelle zu vergleichen, und Voraussagen zu treffen“, sagte Stein. Und wenn er Gewinn macht, ist das auch ein Gradmesser für die eigene Arbeit. Nur wer sich mit dem Wetter gut auskennt, verdient.
In den vergangenen Monaten hat das Geschäft mit den Wetter-Derivaten erheblich zugenommen. Ein Grund ist die Absicherung der Geschäfte über die Börse. Die Chicago-Exchange übernimmt das Kreditrisiko. Zudem kann jeder Händler anonym seine Handelsscheine einlösen. Das ist gerade für Energieversorger wichtig, die sich nicht in die Karten schauen lassen möchten. Wenn sie mit Kälte rechnen, wird beispielsweise die Kohle für die eigenen Kraftwerke teurer. Warum also das eigene Wissen ausspielen?
Auch Stein will nicht alles offen legen. Beispielweise behält er für sich, wie viel Geld er im Wetterbusiness macht. Nur soviel: „Es geht nach oben.“ Stein sagt. „Wir sind ein Handelsdesk.“
Dabei ist Stein nicht nur als Wetterhändler für das RWE tätig. Seine Prognosen unterstützen die Stromhändler bei ihrem Job. In der Essener RWE-Tradinghalle sitzt Steins Team direkt hinter den Energiedealern. Stein bringt ihnen jeden Morgen seine Prognosen rüber. Er erläutert ihnen am Tisch die Aussichten für den kommenden Tag. Dazu hängt er die aktuellen Klimadaten an eine rote Säule mitten in der Halle.
Viel Wind in Spanien? Das heißt, die Rotoren der Andalusischen Windparks drehen sich wie verrückt. Der Ökostrom drückt die Leistungen der Kohlekraftwerke nach unten. Die Preise in Spanien fallen.
Einen noch größeren Einfluss auf die Erlöse der Versorger hat die Temperatur. Im Winter bedeutet ein Grad unter der Normaltemperatur, dass ein Gigawatt Strom in Mitteleuropa zusätzlich erzeugt werden muss. Das entspricht der Leistung von einem Kernkraftwerk. Und die Temperatur kann dabei von Stunde zu Stunde wie ein Lämmchen springen.
Vor Eric Stein steht eine Starbuckstasse. Auf seinen Bildschirmen springt ein Schoner mit dem Bild von Monty Burns an. Das ist der Betreiber des Atomkraftwerkes in den Simpsons Comic-Strips. „Wir bereiten die Händler auf Gefahren vor“, sagt Stein. Noch ist der Handel mit Wetterderivaten nur ein Nebengeschäft. Aber wenn es nach Stein geht, wird es mehr. Ein Mann geht an seinem Tisch vorbei. Er schaut Stein an und fragt: „Können wir am Wochenende grillen?“
Richtig gewinnbringend (30% + x per Anno)wird der Wetterhandel aber erst wenn die Unvorhersagbarkeit, sprich die Sprunghaftigkeit des Wetters zunimmt,d.h.das mathematisch gesehen die kurzfristigen Temperaturamplituden größer werden. Und das genau sehen die Klimawandelexperten fast einhellig voraus.
Wer sagt denn da noch, dass Katastrophen keinen Spaß machen können. Sofern man noch Geld zum spekulieren hat und nicht selbst davon betroffen ist.