Widerstandskämpfer Michael Jovy – Ein Gladbecker gegen die Nazis


Michael „Mike“ Jovy – Ein vergessener Widerstandskämpfer, Diplomat und Gerechter unter den Völkern. Von unserem Gastautor Roland Kaufhold.

Es war ein höchst außergewöhnliches illegales Treffen zweier junger Menschen, die nachts in einem Stollen eines Außenlagers zu regelmäßigen Gesprächen über die Möglichkeit des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten zusammenkamen: Der Edelweißpirat Jean Jülich und der neun Jahre ältere Jugendbündler Mike Jovy. Der spätere Diplomat Jovy erinnert sich: „1943 befand ich mich auf einem Außenkommando des Zuchthauses Siegburg. Ein Mitgefangener erzählte mir, dass sein Sohn in Köln Mitglied einer illegalen Jugendgruppe sei und mich gern kennenlernen wolle. Der etwa 15-jährige heutige Kölner Gastwirt Jean Jülich erzählte mir, dass er in Köln-Sülz zu einer Gruppe von Jugendlichen gehörte, die sich Edelweißpiraten nannten, gegen die Hitlerjugend arbeiteten und illegal zusammen kämen.“

Ein halbes Jahrhundert später werden die beiden auf Initiative des 1942 in Shanghai geborenen Journalisten Peter Finkelgruen von Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt.

Michael „Mike“ Jovy blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, obwohl seine bewegte Vita mehr als spannend und lehrreich ist. Nun erinnert das Buch Ein Leben gegen den Strom an diesen vergessenen überzeugten Demokraten.

Mike Jovy wird am 9.3.1920 in der Bergarbeiterstadt Gladbeck geboren. Sein Vater Michael Jovy, 1883 in der Eifel geboren, ist als promovierter Jurist und Parteiloser von 1917 bis 1931 Bürgermeister von Gladbeck. Gladbeck ist seinerzeit politisch in vier etwa gleich große Blöcke gespalten, darunter auch die KPD. Dessen Wirken in dieser auch ökonomisch schwierigen Zeit erlebt er bewusst mit. Mike wird also früh politisch geprägt, erlebt auch die Anfeindungen der Nazis gegen seinen Vater: „Mein bösartiges Verhalten gegen die Nazis wurde auch dadurch genährt, dass sie in meiner Heimatstadt Gladbeck in übelsten Tönen (…) eine Untersuchung über die Amtszeit meines Vaters angekündigt hatten“, hob Jovy im Rückblick hervor (Bothien et. al. 2017, S. 17). Sein Vater stirbt Ende 1931 im Alter von 48 Jahren, da ist Mike erst elf.
Nach dem Tod des Vaters zieht Mike 1932 nach Bonn, wo er später auch studiert. In Bonn schließt er sich dem katholischen Jugendbund Neudeutschland an, der in diesen unruhigen Jahren in direktem Gegensatz zur Hitlerjugend steht. Hierdurch findet in ihm offenkundig früh eine Imprägnierung gegen den Nationalsozialismus statt.

Mike Jovy engagiert sich früh beim katholischen Jugendverband Neudeutschland. Rasch übernimmt er dort Leitungsfunktionen. Ein enger Weggefährte ist der Jugendbündler Karl O. Paetel. Als dieser vor den Nazis nach Paris emigriert besucht er ihn dort mehrfach, um über Möglichkeiten des Widerstandes zu diskutieren. Die Nationalsozialisten werden auf Jovy aufmerksam. Überlegungen, selbst in die Niederlande zu fliehen, werden von ihm beiseite geschoben. 1936 wird er erstmals verhaftet, 1939 kommt er in das gefürchtete Kölner Gestapogefängnis EL-DE Haus.

„Vorbereitung zum Hochverrat“

Jovy wird immer wieder verhört und misshandelt. Rasch wird ihm klar, dass die Taktik des totalen Leugnens nicht hilfreich ist. 1940 wird er in das Berliner Gestapogefängnis verbracht. Im September 1941 wird er wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Gericht attestiert ihm eine „überaus verwerfliche Gesinnung.“ Grundlage waren, so schreibt Jovy kurz vor seinem Tod, „unsere angeblichen und von der Gestapo gefälschten Geständnisse.“ Jovy wird in das Zuchthaus von Siegburg verbracht, arbeitet in einem „Außenkommando“. Dort finden die nächtlichen Treffen mit Jean Jülich statt. Gemeinsam entwerfen sie Pläne, „Köln selbst zu befreien und die verantwortlichen Nazis den Amerikanern zu übergeben.“ 1944 wird er in das Strafbataillon 999 eingezogen. Vier Monate später zwingt er den führenden Unteroffizier zur Aufgabe. Jovy kehrt als „Specialinvestigator“ nach Köln zurück.

Studium, Jugendbewegung und Diplomatischer Dienst

Nach Kriegsende setzt Jovy – man trifft sich in der Kölner Bottmühle – sein Engagement in der Jugendbewegung fort. Seine internationale Orientierung und sein Widerstand gegen obrigkeitsstaatliches Denken prägen ihn. Jovy engagiert sich gegen die Wiederbewaffnung. Er studiert in Köln Politikwissenschaft und promoviert 1952 über „Jugendbewegung und Nationalsozialismus“.

Der junge Familienvater beschließt, in den diplomatischen Dienst zu gehen. 1953 beginnt er den Vorbereitungsdienst. Dann ein Schock: Der Verfassungsschutz interessiert sich für den überzeugten Demokraten und erhebt Einspruch gegen dessen Übernahme in den diplomatischen Dienst. Hierfür greift das Amt immer wieder auf die Gestapoakten zurück: „Ich sei in der illegalen Jungenschaft gegen Hitler gewesen, ferner Führer der Deutschen Jungenschaft nach dem Kriege und daher Kommunist“ schreibt er. Bereits während seines Vorbereitungsdienstes wird er von seinen Kollegen geschnitten. Für ein halbes Jahr wird ihm das Betreten seines Dienstgebäudes in Köln verboten.

Als Diplomat in Afrika – und Verleumdungen des Verfassungsschutzes

Das Auswärtige Amt jedoch gibt dem Druck nicht nach. 1955 geht Jovy als Diplomat ins ferne Australien, es folgen Stationen als Konsul in Afrika. Die Versuche des Amtes, den in Afrika sehr angesehenen Diplomaten zu attackieren, lassen auch 20 Jahre später nicht nach. Jovy moniert in offiziellen Briefen bitter, dass auf der einen Seite ermordete Widerstandskämpfer wie Sophie Scholl durch Bundespräsidenten geehrt würden „und auf der anderen Seite die politische Zuverlässigkeit der Überlebenden wegen ihrer Widerstandstätigkeit in der NS-Zeit in Zweifel gezogen werden darf.“

Jovy arbeitet in Mali, in Kongo und im Kamerun. Immer wieder wird er zu unkonventionellem, gefährlichem Handeln genötigt: Nach der Entführung mehrerer Diplomaten übertritt er im Dschungel illegal die Grenze zwischen Kamerun und Kongo, um im direkten Gespräch mit den Entführern deren Freilassung zu erwirken. Es folgen berufliche Stationen in Algier, Rumänien und Italien.

Gerechter unter den Völkern

Kurz vor seinem Tode erreichte Jovy seine größte Ehrung. Peter Finkelgruen setzt sich ab Anfang der 1980er Jahre in Israel dafür ein, dass drei Kölner Widerstandskämpfer in

exemplarischer Hinsicht durch Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern geehrt werden: Jovy, Jean Jülich und der 1944 in Köln öffentlich hingerichtete Bartholomäus Schink.

Nach eingehender Prüfung akzeptiert Yad Vashem diese Ehrung. Jovy, der zu diesem Zeitpunkt in Rom arbeitet, ist zu krank, um zur Ehrung nach Israel zu reisen. Ende 1983 wird der überzeugte Demokrat und Widerständler in der israelischen Botschaft in Rom ausgezeichnet. Der israelische Botschafter bezeichnete ihn als einen “mutigen Deutschen“, der es wagte, „die Kraft des Bösen herauszufordern“.

Die „offizielle“ Ehrung der drei durch Yad Vashem hingegen findet erst einige Wochen später in Jerusalem statt. Zwei Monate, am 19.1.1984, hört Mike Jovys von langer Nazihaft geschädigtes Herz in Rom auf zu schlagen.

Im „offiziellen“ Köln hingegen gelten die Edelweißpiraten aufgrund des Insistierens der ranghöchsten örtlichen Sozialdemokraten noch 20 weitere Jahre als „Kriminelle“. Erst 2005 werden sie durch Jürgen Roters offiziell rehabilitiert.

Das nun vorliegende Buch Ein Leben gegen den Strom zeichnet Jovys eindrücklichen Lebensweg und Wirken posthum in kenntnisreicher, inspirierender Weise nach.

H.-P. Bothien, M. von Hellfeld, S. Peil und J. Reulecke (2017): Ein Leben gegen den Strom. Michael Mike Jovy. Münster: LIT Verlag, 184 S., 14,90 Euro, Bestellen?

Alle Fotos: © Stefan Peil

Eine kürzere Version dieses Textes ist im Neuen Deutschland, 1.6.2018erschienen: Roland Kaufhold: Die Geschichte von Michael „Mike“ Jovy.

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Angelika
Angelika
6 Jahre zuvor

Ein sehr interessanter Artikel!

Einen Abschnitte verstehe ich nicht:
"…Im „offiziellen“ Köln hingegen gelten die Edelweißpiraten aufgrund des Insistierens der ranghöchsten örtlichen Sozialdemokraten noch 20 weitere Jahre als „Kriminelle“. Erst 2005 werden sie durch Jürgen Roters offiziell rehabilitiert…"

Warum insistierten ranghöchste örtliche Sozialdemokraten in der genannten Weise?

Angelika
Angelika
6 Jahre zuvor

Köln und die Edelweißpiraten
Autor: P. Finkelgruen
http://www.hagalil.com/2011/07/edelweisspiraten/

Meine vorher gestellte Frage ist durch den haglil-Text beantwortet.

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