Umfragen zufolge glaubt die Hälfte der Unterstützer der Republikaner an einen Wahlbetrug. Zehntausende Querdenker glauben, dass es Corona gar nicht gibt oder dass es von einer breit angelegten Pharmaverschwörung aufgebauscht wird. Von den absurden Q-Anon-Erzählungen ganz zu schweigen. Sind diese Menschen psychisch krank? Kann man von Wahninhalten sprechen? Als Fachmann ist es mir wichtig, hier präzise zu sein. Und es gibt wichtige Unterschiede zwischen einem Wahn, wie man ihn beispielsweise bei einer Schizophrenie findet, und dem Glauben an eine Verschwörungstheorie. Es gibt aber auch deutliche Parallelen und die können vielleicht beim Umgang mit diesen Phänomenen helfen.
Ein Wahn ist zunächst ein Symptom, keine Krankheit. Wahn kann, wie gesagt, bei Schizophrenien auftreten oder bei anderen Psychosen, etwa solchen, die durch Drogenkonsum ausgelöst werden. Man sieht ihn auch im Zusammenhang mit Demenzen. Bei der sogenannten „anhaltenden wahnhaften Störung“ ist er das Leitsymptom. Aber was ist denn überhaupt ein Wahn? Die üblichen Definitionen sind lang und kompliziert. Im Kern ist ein Wahn eine Theorie, eine Überzeugung über die Beschaffenheit der Welt. Das ist auch für Medizinstudenten oder Nachwuchspsychiater anfänglich oft schwer zu differenzieren. Wenn ein Mensch mit einer Psychose sagt: „Ich höre die Stimmen von CIA-Agenten, die haben mir einen Lautsprecher ins Ohr implantiert“, dann schildert er bereits zwei Symptome. Nämlich akustische Halluzinationen („Ich höre Stimmen“) und die wahnhafte Erklärung für dieses Phänomen („Es ist die CIA“).
Wahn hat eine Funktion
Kern der Schizophrenie sind die sogenannten Ich-Erlebnis-Störungen. Diese betreffen grundlegende Prozesse des Bewusstseins, die für das Gefühl zuständig sind, eine eigene, abgeschlossene Identität zu besitzen. Was in meinem Kopf ist ein Reiz, den ich von außen wahrnehme? Was ist mein eigenes Gefühl, das ich in Reaktion auf diesen Reiz empfinde? Diese Unterscheidung klingt für uns selbstverständlich, ist in Wirklichkeit aber Folge komplexer neuronaler Vorgänge. Schließlich ist das Geräusch, wenn man es erstmal gehört hat, auch nur ein Signal in den Nervenzellen, genau wie meine Erinnerungen, Assoziationen, Gedanken.
Wenn also dieses Gefühl des Ich-Erlebens gestört ist, haben die betroffenen Menschen den Eindruck, ferngesteuert zu werden oder fremde Gedanken eingegeben zu bekommen (da sind Gedanken im Kopf, aber sie fühlen sich nicht an wie die eigenen) oder sie können die eigenen Gedanken nicht mehr von gehörten, äußeren akustischen Reizen unterscheiden.
Diese Ausführung war wichtig, um die Funktion des Wahns zu verstehen. Denn diese gestörte Integrität des Identitätsgefühls bedeutet eine unerträgliche Verunsicherung. Es erschüttert die Grundfesten der eigenen Existenz. Das Gehirn (oder das Unterbewusstsein oder das Ich oder wie auch immer Sie es nennen wollen) muss einen Weg finden, damit umzugehen. Und wie gut es darin ist, Lücken zu füllen oder sich aus Bruchteilen von Informationen ein vermeintlich vollständiges Bild zu machen, weiß jeder, der mal einer optischen Täuschung erlegen ist. Was wir wahrnehmen, ist immer eine Extrapolation aus unvollständigen Informationen und auch wenn wir von etwas überzeugt sind, so ist das niemals das Ergebnis einer vollständigen und abschließenden Analyse. Wenn wir auf der Straße plötzlich stolpern, dann suchen wir nach einer Erhebung im Asphalt. Und wenn Menschen dement werden, dann füllt ihr Gehirn die unerklärlichen Lücken oft einfach mit falschen Tatsachen. Das nennt der Psychiater „Konfabulationen“. Das sind keine Lügen, der Betroffene kann selbst nicht wissen, dass es nicht stimmt. Das Gehirn greift gewissermaßen ins Leere und tastet daher im Dunkeln, bis es irgendeine phantasiebegabte Schublade findet, in der noch etwas steckt.
Wahn ist unwillkürlich
Diese Eigenschaft, Lücken zu füllen, Sinn zu finden, das Gefühl von Integrität zu retten, mit allen Mitteln, führt dann zu einer wahnhaften, sprich unrealistischen, Erklärung. Denn natürlich ist der Wahn definitionsgemäß irreal, sonst hätten wir es ja einfach mit einer tatsächlichen Erkenntnis zu tun. In dem Moment, in dem ein schizophrener Mensch sagen kann: „Der CIA hat mir einen Chip eingepflanzt und beeinflusst damit meine Gedanken“ hat er eine Lösung gefunden, die zwar einen hohen Preis hat, aber die erträglich ist. Wichtig ist festzuhalten, dass wir es hier nicht mit einer bewussten Entscheidung zu tun haben, sondern mit einem unwillkürlichen und unbewussten Vorgang. Und da es sich um ein Phänomen handelt, das nichts mit Erkenntnis, mit abgewogenen Überlegungen zu tun hat, sondern das auf einer sehr grundlegenden Ebene des Denkens stattfindet, ist auch verständlich, dass es rationalen Gegenargumenten gegenüber nicht offen sein kann.
Mit diesem Wissen erklärt sich auch, dass der Wahn – also eine irreale und gegenüber logischen Argumenten resistente Überzeugung – kein spezifisches Symptom einer Schizophrenie oder irgendeiner anderen psychischen Erkrankung ist. Er kann überall da auftreten, wo unerträgliche oder unerklärliche Zustände die Integrität des Ich-Gefühls bedrohen. Das kann zum Beispiel auch die Isolation betreffen. Für mich war das anfangs irritierend, dass unter der oben beschriebenen „anhaltenden wahnhaften Störung“ häufig ältere Damen leiden. Das ist eine ganz andere Patientengruppe als die typischen Schizophrenen. Aber das ist überhaupt nicht selten: Einsame, ältere Frauen (natürlich auch Männer, aber Frauen werden eben oft älter und bleiben dann alleine zurück), die sich von Nachbarn beeinträchtigt fühlen, die ständig vermeintliche Einbrüche melden oder behaupten, sie würden durch giftige Gase aus der Wohnung oben drüber belästigt. Aber wenn unerträgliche Einsamkeit mit der fehlenden Korrektur von außen zusammenkommen, dann können sich eben auch bei Leuten, die eigentlich psychisch „gesund“ sind (im Sinne, dass sie eben niemals Stimmen gehört haben und so weiter) Wahninhalte auftreten.
Damit Psychiater es als Wahn bezeichnen, muss die Überzeugung auch im kulturellen Kontext unangemessen sein. Wenn es in der Gemeinschaft, in der man lebt, normal ist, daran zu glauben (sagen wir in religiösen Gegenden), dann hat derjenige ja einfach das gelernt, was in seiner Umgebung als wahr gilt. Insofern lässt sich hier ein deutlicher Unterschied zu den Querdenkern und anderen Verschwörungstheoretikern ziehen: Die bewegen sich ja innerhalb einer Blase, in der ihnen ihr Umfeld die falschen Überzeugungen ständig bestätigt. Ein Irrglaube, der durch Falschinformationen genährt wird, ist kein Wahn.
Wobei es auch noch den Sonderfall der Folie à deux gibt. Bei diesem seltenen Krankheitsbild lebt ein eigentlich “Gesunder” in einer engen, meist abhängigen, Beziehung mit einem Wahnkranken (eben beispielsweise einem Schizophrenen). Durch die dominante Rolle des Kranken nimmt dann der Partner (es kann sich um eine Ehefrau, ein Elternteil, ein Kind handeln) den Wahn an und fängt an, daran zu glauben. Die Grenze zur puren Desinformation oder zur simplen Angst zu widersprechen ist sicherlich fließend. Aber bei einer archetypischen Folie à deux ist der Partner genauso wahnhaft überzeugt wie der eigentliche Kranke, was sich aber zumeist rasch ändert, wenn beide getrennt werden, etwa durch einen stationären Aufenthalt. Wer weiß, vielleicht Leben Verschwörungstheoretiker ja auch in einer Art Folie à million.
Der echte Wahn entsteht völlig unwillkürlich, nicht planbar. Er greift auf das zurück, das dem Unterbewusstsein des Betroffenen zur Verfügung steht und ist daher auch kulturell geprägt und durch aktuelle Ereignisse beeinflusst. Aber das ist nicht vorhersehbar. So habe ich beispielsweise einen Patienten, der sich schon lange massiv beeinflusst und verfolgt fühlt und der überzeugt ist, dass jeder seiner Schritte im Internet übertragen wird. Als die Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen aufkamen und Verschwörungstheorien über Bill Gates etc. die Runde machten, sorgte ich mich, dass ihn dies noch weiter verunsichern könnte. Ich fragte ihn, ob er davon gehört hätte. Er schüttelte den Kopf und lachte, er fand diese Theorien völlig lächerlich. Dieser Patient kann in Bezug auf die abstrusen Ideen anderer also logisch und vernünftig denken und dennoch den eigenen Wahn nicht hinterfragen.
Auto-Gehirnwäsche
Der Wahn kommt unwillkürlich und plötzlich, wenn auch er mit der Zeit ausgebaut, erweitert und gefestigt werden kann. Die Verschwörungstheorie hingegen dürfte eher das Ergebnis einer schrittweisen “Auto-Gehirnwäsche” sein, bei der eine anfänglich attraktive Idee immer weiter verfolgt wird, vielleicht nicht planmäßig, aber doch bewusst und willkürlich. Der Prozess des Abgleitens in Querdenkertum und ähnliche Denkweisen dürfte schleichend, beobachtbar und beeinflussbar sein (gesetzt den Fall, man wäre dicht genug an einem Betroffenen dran, während er oder sie abgleitet). Die Wahnbildung hingegen ist keiner Reflexion zugänglich.
Aber, trotz aller Unterschiede, gibt es eben auch Parallelen. Auch bei den Verschwörungstheoretikern muss die falsche Überzeugung, der Wahn light, eine Funktion haben und es liegt nahe, dass die Bereitschaft, diese Theorien zu glauben, ebenfalls mit der Wiederherstellung eines Gefühls von Sicherheit oder Integrität zusammenhängt. Das wird vermutlich nicht nur ein einzelner Faktor sein und es wird bei den Millionen Gläubigen eine jeweils individuelle Konstellation geben, die den Irrglauben begründet. Komplexitätsreduktion, Kompensation eines Gefühls von Bedeutungsverlust, Rechtfertigung eines vorangegangenen Irrglaubens. Sich einzugestehen, dass man fanatisch einer falschen Sache gefolgt ist, kann für sich genommen sehr schmerzhaft sein. Je fester eine Überzeugung war, desto mehr wird es abermals das Gefühl von Integrität beschädigen, wenn man sie plötzlich in Frage stellt.
Auch hier lohnt wieder ein Blick auf die Betroffenen mit einer Psychose. Antipsychotische Medikamente helfen zwar nicht immer, aber zum Glück oft und oft sehr eindrücklich. Wenn es gut läuft, verschwindet innerhalb von Tagen das Stimmenhören, bessert sich die Angst. Man kann regelrecht zuschauen, wie ein Mensch „wieder der Alte“ wird. Und sehr häufig erlebt man dann als Psychiater, dass die Patienten aufhören, von ihrem Wahn zu reden, der ja nur durch die Phänomene notwendig wurde, die sich nun gebessert haben. Bei Konfrontation mit diesem Thema ist der Wahn aber nicht weg. Die haben ja keine Gedächtnisstörung, sie wissen noch sehr genau, was sie vor wenigen Tagen gesagt haben. Und man spürt, wie auf einmal Zweifel möglich werden. Aber für die Betroffenen ist dieser Moment genauso schwierig wie für jeden anderen Menschen, der erkennen muss, dass er sich getäuscht hat. Es nützt nichts und wäre geradezu sadistisch, an diesem Punkt als Psychiater immer wieder auf Konfrontation zu setzen, die Patienten zu zwingen, ihre Fehler zu sehen. Man kann sich meistens gut darauf einigen, dass das jetzt einfach nicht mehr so wichtig ist. Der Betroffene widmet sich anderen Themen, die durch die Erkrankung zu kurz gekommen waren und irgendwann später sagt er vielleicht: Komisch, was ich damals für einen Quatsch geglaubt habe.
Ein Bauwerk wird errichtet
Manche Wahnkranken glauben an eine einzige, mitunter bizarre Theorie, ohne weitere Ereignisse oder Personen miteinzubeziehen. Häufig gibt es aber auch einen sogenannten systematisierten Wahn. Hier wird ein immer größer werdendes System errichtet, in das alle Widersprüche eingebaut werden. Und in diesem Punkt zeigt sich eine große Ähnlichkeit zu den Verschwörungstheorien und politischen Fanatismen. Beim systematisierten Wahn findet sich für jedes Argument ein Erklärung, die den Wahn schützt. Wenn eine Person, der man vertraut hat, nicht an den Wahn glaubt, gehört sie eben zu den Verfolgern. Oder wurde gleich geklont und ausgetauscht. Wenn die Polizei nicht einschreitet, ist sie eben korrupt. Das geht mitunter soweit, dass Patienten, die zwischenzeitlich durch Medikamente gesund waren, nachträglich behaupten, diese Medikamente hätten eben im Sinne einer Gehirnwäsche dazu geführt, dass sie die Wahrheit nicht mehr sehen konnten, die sie nun wieder erkennen. Logisch, dass der verschreibende Arzt dann ebenfalls zu den Verfolgern gehört.
In dem Moment, wo man sich von gesunder Skepsis und Vernunft abgewandt hat, ist alles möglich. Dann gibt es kein Argument und keinen Beweis auf der Welt, die einen noch überzeugen können. Und das geschieht bei den Querdenkern und Q-Anon-Gläubigen genauso. Eine Studie, die die Gefährlichkeit von Corona belegt, ist dann eben von jemanden verfasst, der der Pharmaindustrie hörig ist (selbst wenn keine Nähe nachweisbar ist). Artikel, die Trumps Lügen und Fehlverhalten nachweisen, sind dann nur der Beweis, dass die Medien sich gegen ihn verschworen haben. Wenn man erstmal davon ausgeht, dass Journalisten grundsätzlich zur Elite gehören und eine Agenda haben, dann können die schreiben was sie wollen, nichts davon wird Zweifel säen.
Daher ist es sinnfrei, einen wahnhaften Menschen mit logischen Argumenten überzeugen zu wollen. Er wird diese entweder einfach ignorieren, weil sein Gehirn sie nicht annehmen kann. Oder er wird eben den Wahn ausweiten, bis es wieder passt. Wie spricht der Psychiater dann mit einem wahnhaften Menschen? Respektvoll, interessiert, empathisch. Wenn es darum geht, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und den Betroffenen davon zu überzeugen, dass man sein Bestes will, dann hilft ernsthaftes Interesse an dem, was ihn derzeit beschäftigt. Dann hilft es, den Wahn verstehen zu wollen, zu zeigen, dass man ihn ernst nimmt. Was nicht gleichbedeutend damit ist, so zu tun als glaube man das selbst. Man kann sich zu der Frage, ob man das glaubt, einfach enthalten. Dem Betroffenen vorzugaukeln, man würde es ebenso sehen, nur um sich seine Kooperation zu sichern, würde nach hinten losgehen. Aber man muss umgekehrt auch nicht fürchten, dass dieser Wahn sich erst verfestigt, wenn man ihm nicht ständig widerspricht. Der ist sowieso verfestigt.
Was tun?
Das Gesagte gilt für den Umgang mit einem Individuum in einem therapeutischen Setting. Es gilt vermutlich auch für Angehörige, die den Kontakt zu ihrem wahnhaften Familienmitglied oder Freund aufrecht erhalten wollen. Wenn sich, warum auch immer, wegen Medikamenten oder Veränderungen der Umstände, der Grund für den Wahn bessert, dann ist es gut, wenn da eine vertrauenswürdige Person ist, die einem beigestanden, sich interessiert hat und die den Wahn weder bestärkt hat, noch alle Energie darauf verwendet hat, den Betroffenen zu “korrigieren”. Wer dem Wahnhaften mit viel Konfrontation oder gar Aggression begegnet, wird jedenfalls nichts erreichen.
Ich würde empfehlen, im Umgang mit Verschwörungstheoretikern etwas klarer zu sein, sie durchaus regelmäßig daran zu erinnern, dass ihre Theorien für vernünftige Menschen Unfug sind. Vor allem aber würde ich in Bezug auf die Theorien selber und den öffentlichen Umgang damit ein anderes Vorgehen vorschlagen. Denn durch mediale Aufmerksamkeit und jede Menge Faktenchecks werden diese Theorien nur berühmt gemacht und geadelt, ohne dass ein einziger Anhänger sich vom Gegenteil überzeugen lässt. Die Verbreitung dieser Theorien, die ja offensichtlich eine schwer nachvollziehbare Attraktivität ausstrahlen, sollte behindert und nicht gefördert werden. Das kann durchaus ein Fall für die Ordnungsbehörden sein, mindestens, wenn diese Theorien zu Straftaten führen, wie im Capitol.
Vielleicht kann man das mit Drogen vergleichen: Kriminalisierung und Repressalien werden keinen Suchtkranken von seiner Abhängigkeit heilen. Aber es kann durchaus sinnvoll sein, die Verfügbarkeit von Drogen zu reduzieren, wenn man weniger Suchtkranke haben will.
Was sich aus den Erfahrungen mit dem Abklingen des Wahns lernen lässt, ist jedenfalls, dass es nicht hilfreich ist, den Betroffenen zu zwingen, davon “abzuschwören”. Wichtig wäre es, den Druck zu nehmen, der den Wahn oder die Verschwörungstheorie befeuert und dem Betroffenen dann die Chance zu lassen, ohne zu viel Gesichstverlust zurück in die Reihen der Vernünftigen zu kehren.
Die Preisfrage ist freilich, wie dieser Druck sich beheben lässt. Wirtschaftliche Sicherheit alleine dürfte keine Lösung bieten. Diese Leute sind ja nicht alle finanziell gefährdet. Dass die Welt sich wandelt, dass es Gefahren wie Pandemien oder Klimawandel gibt, wird sich nicht abstellen lassen. Vielleicht ist das Internet schuld, das zwar jedem eine Stimme verspricht, aber kein Publikum dazu liefert, das ihr zuhört. Vielleicht lässt sich bei der Entfremdung ansetzen, beim medialen Marketing-Dauerfeuer, das den Menschen von Kindesbeinen an einbläut, Glück und Bedeutung ließen sich über Konsum ergattern. Aber das sind Fragen, in denen ich als Psychiater genauso im Trüben stochere wie jeder andere.
Frage an den Fachmann:
Beim Gruppenwahn ist doch fast immer die Idee der "Erleuchtung" und besonderen, höheren Erkenntniss mit im Spiel. Selbstaufwertung (häufig bei gleichzeitiger Fremdabwertung) scheint mir regelrecht konstituierend für Gruppenwahn zu sein.
Ist es dann korrekt von einem Minderwertigkeitskomplex (als Ichstörung) oder einer narzisstischen Kränkung der Individuen in diesen Gruppe auszugehen?
Was machen wir dann erst mit den ca. 60% der Bevölkerung, die an ein übernatürliche Wesen namens "Gott" glauben? Wie soll man als normaler Mensch mit solchen Spinnern umgehen, die völlig unwissenschaftlichen Quatsch glauben? Vielleicht sollte man ihnen die "Drogen" entziehen, die Bibel verbieten und Kirchen abreißen? Oder können doch nur Psychater helfen?
@Wolfram O.: Das ist sicherlich naheliegend, aber einen zwingenden Rückschluss auf narzisstische Kränkung würde ich daraus nicht ziehen.
@ali Mente
Es ist noch nicht das Problem an etwas zusätzlich zum sichtbaren und erklärbaren zu glauben. Schwierig wird es, wenn dieser Glaube dann Dinge negiert, die eindeutig und klar zu belegen sind. Wenn mein Glaube an Gott dazu führt, dass ich Viren für "nicht existent" erachte, weil die nicht in der Bibel stehen z.B.
Ein Glaube der sich dessen bewusst ist, dass er nicht gegen Fakten angeht und der seinen Platz dort findet, wo der Kern des Seins ist, ist eine schöne und beruhigende Kraft und gibt Halt auch in solchen Situationen, wo von außen Gefahr droht.
Aber natürlich kann (irr-)Glaube auch der Ausdruck einer unkontrollierten Angst sein und genau so wahnhafte Wirkungen zeigen wie man es bei Q-Anhängern sieht.