Es gibt so ein paar Wörter, die klingen grundsätzlich erstmal positiv und gut gemeint, werden aber so inflationär und teils sinnentstellt verwendet, dass sie zum Unwort werden. Ein solches war für mich zum Beispiel sehr lange „Frieden“ (der Großteil derer die diesen Begriff benutzen, meinen damit Unterwerfung unter Despoten) und dank Kanzler Scholz ist nun auch „Besonnenheit“ für mich ein solches geworden.
Laut Wikipedia bezeichnet Besonnenheit eine überlegte, selbstbeherrschte Gelassenheit, um vorschnelle und unüberlegte Entscheidungen zu vermeiden. Scholz nutzt den Begriff um seine Zögerlichkeit bei der Unterstützung der Ukraine zu rechtfertigen, nicht erst seit dem Taurus, sondern davor schon bei Leopard und davor bei schweren Waffen.
Diese Haltung wurde damit begründet eine (auch nukleare) russische Eskalation zu vermeiden. Nur handelt, wer sich von Angst leiten lässt, eben nicht besonnen, da Ängste rationale Entscheidungen verunmöglichen.
Atomdrohungen sind ein sogenanntes Chicken Game
Wenn man sich von Drohungen beeindrucken lässt, oder ihnen sogar noch nachgibt, sorgt man nicht für mehr Sicherheit, sondern macht sich erpressbar. Man zeigt der Gegenseite, dass Drohungen zum Erfolg führen und schafft einen Anreiz für weitere und verstärkte Drohungen.Der Wille zur Deeskalation, kann so zu einer Eskalation führen. Und gerade wenn das Beispiel Putin, dass man mit offensiven Drohungen mit Kernwaffen Erfolg hat Schule macht – solche gab es nicht mal in den heißesten Phasen des kalten Krieges – hat das gruselige Implikationen für nukleare Proliferation und Sicherheit.
Ein wirklich besonnener Umgang mit nuklearen Drohungen wäre diese einfach zu ignorieren, da die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Einsatzes äußerst gering ist. Wir haben durch das Gleichgewicht des Schreckens einen Zustand, der dafür sorgt, dass wer zuerst den roten Knopf drückt, als Zweiter verdampft. Und ich halte Putin und seine Kleptokraten-Clique im Kreml eben nicht für suizidale Irre – schon allein weil sie dafür ihren Luxus zu sehr genießen – sondern für zweckrationale imperiale Machtpolitiker.
Auch ein begrenzter Einsatz einer taktischen Kernwaffe gegen die Ukraine – der für die NATO keine Zweitschlagsverpflichtung bedeuten würde – wäre für Russland nicht wirklich vorteilhaft. Zum einen ist es nicht hilfreich für die russischen Truppen, wenn diese durch nuklear verseuchtes Gebiet vorrücken müssen, zum anderen nimmt sich der Kreml selbst ein Drohpotential und zu guter Letzt, dürften China und Indien von einem solchen Einsatz (euphemistisch gesprochen) nicht sonderlich begeißert sein, was Russland noch weiter isolieren würde. Die äußerst zynische Kosten-Nutzen-Rechnung fällt hier für Russland also eher negativ aus.
Der Angstwahlkampf
Solche Überlegungen hindern Scholz allerdings nicht daran mit den „Warnungen“ vor der Nuklearmacht Russland Wahlkampf führen zu wollen.
Dass ein Regierungschef dergestalt Ängste schürt, ist verantwortungslos. Ein besonnener Kanzler sollte versuchen Ängste abzubauen und nicht auf dieser Basis Wahlkampf betreiben. Ängste schüren ist Geschäft der Populisten. Scholz versucht sich als der Friedenskanzler darzustellen, der Deutschland vor der nuklearen Eskalation bewahrt.
Er ignoriert dabei komplett , dass Frankreich, England und die USA weitreichende Waffen geliefert sowie die Reichweitenbeschränkung aufgehoben haben, als dass auf diese „rote Linie“ des Kreml genau nichts passiert ist.
Ein eventueller Verteidigungsfall würde also auch Deutschland ohnehin mit betreffen. Der Glaube, man könne dort deeskalieren, ist ziemlich illusorisch.
Meiner Ansicht nach, sollten wir uns von dem Gedanken groß deeskalieren zu können verabschieden.
Putin macht mehr als deutlich, dass er kein großes Interesse an Deeskalation und Diplomatie hat:
- Wer einen Eroberungskrieg beginnt, hat kein Interesse an Deeskalation.
- Wer sich Soldaten aus Nordkorea kommen lässt, um seinen Eroberungskrieg fortzuführen, hat kein Interesse an Deeskalation.
- Wer Huthis mit Zieldaten im Roten Meer versorgt, hat kein Interesse an Deeskalation.
Für Deeskalation braucht es zwei, für die Eskaltion reicht es, wenn einer dies will.
Nichts desto trotz hat es die Ablehnung des Taurus und die Begründung mit Besonnenheit sogar in den Entwurf des SPD Wahlprogrammes geschafft.
Ende September lehnte Scholz die Lieferung von Marschflugkörpern, die bis Moskau reichen in einem Bürgergespräch in Brandenburg ab.
Kann der Taurus wirklich Moskau erreichen?
NATO General a.D. Erhard Bühler hat in einer sehr hörenswerten Folge des MDR-Podcast Was Tun Herr General dargelegt, dass ein Taurus Moskau nur erreichen könnte, wenn er direkt an der Grenze ausgeklinkt und dann in gerader Linie fliegen würde.
Zum einen werden Marschflugkörper aber in einem gewissen Sicherheitsabstand zur Front ausgeklinkt (den muss man also von der Reichweite abziehen) und zum anderen fliegen diese nicht in einer geraden Linie, sondern umgehen im Tiefflug Landhindernisse sowie bekannte Flugabwehrstellungen. Man kann also nicht mit auf der Karte mit dem Zirkel einen Radius im Maßstab 500km ziehen und sagen: „So weit fliegt er“.
Ein Kanzler der besonnen ist (und nicht etwa Ängste ausnutzt), sollte aber auch das wissen und vor allem die Fähigkeiten dieses Systems offen kommunizieren.