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Das Konjunkturpaket für die Städte im Ruhrgebiet kommt. Doch wie nach der versprochenen Kohle schnappen? Wie in Essen bereiten sich die Gemeinden zwischen Duisburg und Dortmund darauf vor, eine Antragsflut auszulösen. Nur an ein gemeinsames Vorgehen des Reviers scheint keiner zu denken.
Das Büro 13.39 im Essener Rathaus ist schmucklos. Bis auf diesen mächtigen Baum, der mitten im Zimmer wächst. Es ist ein Ficus. Er streckt seine Äste weit von sich, wie die Arme eines erwachsenen Mannes. Die obersten Blätter biegen sich erst an der Decke herab. Hartwig Steinbrink fühlt sich hier wohl. Der Leiter des Umweltamtes kann die Ruhe des Baumes gerade gut gebrauchen, denn Steinbrink leitet in Essen die Operation „Konjunkturpaket II.“
Es steht viel auf dem Spiel. Die Bundesregierung hat insgesamt 37 Mrd Euro bereitgestellt. Davon sollen 14 Mrd Euro in das umfassenste Konjunkturprogramm der öffentlichen Hand seit Bestehen der Bundesrepublik gesteckt werden. Die große Koalition hat die entsprechenden Rahmenbeschlüsse in der vergangenen Woche gefasst. Jetzt geht es um die Details. Bis März soll der Bundestag über das Vorhaben abstimmen. Erst vor zwei Tagen traf sich Bundeskanzlerin Merkel mit ausgewählten Oberbürgermeistern, etwa aus Duisburg, um das Projekt Rettung zu besprechen.
In Essen brummt es in allen Abteilungen. Die Tochterfirmen der Kommune, die Eigenbetriebe, die Ordnungshüter, die Immobilienverwaltung, das Schulamt und alle anderen fahnden nach Vorhaben, auf die die Beschreibungen des Konjunkturpaketes passen. Es geht darum, einen möglichst großen Schlag aus dem Subventionstopf abzubekommen. Steinbrink ist als Leiter des Umweltamtes so eine Art Chef der Förderfirscher. Er muss den Informationsfluss kontrollieren. Er füttert die Abteilungen mit neuen Details aus Berlin, sobald wieder etwas durchsickert. Und sammelt dann die Ergebnisse. Einmal in der Woche muss er dem Essener Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger rapportieren. Steinbrink: „Wir müssen möglichst schnell wissen, wie genau die Förderprogramme aussehen, und gleichzeitig verwaltungsintern die Entscheidungen vorbereiten, damit wir punktgenau in den Startlöchern stehen, wenn die Anträge gestellt werden können.“
Nach den bisher bekannten Plänen will der Bund selbst vier Mrd Euro investieren. Zehn Mrd sollen an die Länder ausgeschüttet werden. Diese wiederum sind verpflichtet, rund 2,5 Mrd Euro als Eigenanteil dazuzugeben und das Geld weitestgehend an die Kommunen weiterzureichen. Nach den Wünschen von Bundeskanzlerin Angela Merkel soll mindestens die Hälfte der Milliarden noch in diesem Jahr unter die Leute gebracht werden.
Wie genau das geschieht, darum kümmern sich Leute wie Hartwig Steinbrink aus Essen. Der Verwaltungsfachmann durchforstet die Details der Programme und stellt Faustrechnungen an. Der Königssteiner Schlüssel wird üblicherweise herangezogen, wenn Bundesgeld unter die Länder aufgeteilt wird. Nach diesem Schlüssel kann das Land Nordrhein-Westfalen mir ungefähr 21 Prozent der Gesamtsumme rechnen. Etwa 700 Mio Euro will die Landesregierung zur Sanierung der Universitäten abziehen. Bleiben für die Stadt Essen zwischen 50 und 60 Mio Euro – wenn das Restgeld nach dem Einwohner-Schlüssel an die Kommunen weitergereicht wird. Vielleicht ist es auch mehr, vielleicht weniger. Steinbrink will sich da nicht festlegen. „Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall ist es viel Geld.“
Doch dann beginnen schon die Probleme. Immer deutlicher wird sichtbar, dass die Bundesregierung ein restriktives Fördermanagement durchsetzen will. Statt den Kommunen freie Hand bei den Investitionen zu geben, werden Anträge, Berichte und Nachweise verlangt. 65 Prozent der Fördersummen sollen in die Bildung gesteckt werden. Vorrangig soll das Geld zur „energetischen Sanierung“ von Schulen und Kindergärten eingesetzt werden. Steinbrink reagiert auf die Vorgabe. Er lässt untersuchen, in welchen Kindergarten noch Regelanlagen für Heizungen eingebaut werden können, welche Schule neue Fenster braucht und wo ein Dach Dämmstoff vertragen kann. „Wir müssen auf etliches achten, damit das Geld nicht verschleudert wird“, sagt Steinbrink. Zunächst gelte es, zu klären, welche Maßnahmen Sinn machen und dann muss auch noch untersucht werden, ob es die Schule oder den Kindergarten in zehn Jahren überhaupt noch gibt. „Etliche Fachbereiche sind in die Auswahl der Projekte eingeschaltet.“
Zu tun gibt es genug. Da ist zum Beispiel die Karlschule in Essen-Altenessen. Das Gebäude stammt ursprünglich aus dem Jahr 1884. Danach wurde angebaut und umgebaut, bis im Weltkrieg Brandbomben das Gebäude zerfetzten. Aus den Trümmern wiedererstanden, wurde die Schule 1952 erneut eröffnet. Heute ist die Karlschule eine Grundschule mit zehn Klassen. Und der Baugrund verbesserungsfähig. Das gleiche Muster gibt es an duzenden anderen Schulen in Essen und im übrigen Ruhrgebiet. Etliche Gebäude stammen aus den Aufbruchjahren der Montanregion. Der Rest sind Nachkriegsbauten oder Zweckgebäude aus den Kinderreichen Siebzigern. Nur noch selten wird heute eine Schule im Westen neu gebaut. Eher werden die Häuser dicht zu machen, wegen Kindermangel.
Steinbrink schielt aber auch noch auf einen zweiten Förderblock. Und zwar sollen 35 Prozent der Gesamtsumme nach dem Wunsch der großen Koalition in Berlin in die Erneuerung der Infrastruktur fließen. Die Bundesregierung denkt daran, Krankenhäuser zu fördern, Straßen zu bauen und die Informationstechnologie zu unterstützen. Dinge, die sowieso gemacht werden müssen. Steinbrink denkt darüber nach, wie er besonders interessante Projekte definieren kann. Man könnte kaputte Straßen mit einem Flüsterasphalt neu zupflastern. Oder neue Daten-Leitungen legen.
Steinbrink will alle Ideen sammeln und in den nächsten Wochen eine Prioritätenliste aufstellen, was unter welchen Bedingungen realisiert werden soll.
Doch bis es soweit ist, müssen nach Ansicht von Steinbrink noch etliche Probleme gelöst werden. Die Förderprogramme des Bundes sollen als Zusatzinvestitionen wie ein Zuckerhut auf die Spitze der kommunalen Haushalte geschüttet werden. Sie sollen keine Sowieso-Ausgaben ersetzen. Gerade bei Städten, die mit einem Nothaushalt arbeiten müssen, wirft das Schwierigkeiten auf. Für die alten Projekte war bislang einfach kein Geld da. Steinbrink: „Die stehen zwar im Haushalt, waren bis jetzt aber nur Papiertiger.“ Mit den Millionen aus dem Konjunkturpaket ließe sich das ändern. Doch gelten diese Vorhaben dann als förderfähige neue oder als unwürdige alte Projekte?
Auch bei der Umsetzung der Programme gibt es noch Unwägbarkeiten. Durch die strikten Richtlinien der Programme kommt nur wenige duzend Gewerke in Frage, die unmittelbar von den Zusatzinvestitionen profitieren können. Zudem können und sollen in den meisten Fällen Aufträge nur im engsten Umfeld der Kommune vergeben werden. Europaweite Ausschreibungen sollen ganz vermieden werden. Die entsprechenden Regeln wurden im Konjunkturpaket aufgeweicht.
Nur ein Beispiel: Wenn in einer Region wie dem Ruhrgebiet zeitgleich alle Städte ihre Schulen wärmedämmen wollen, freuen sich die wenigen Spezialisten, die das können. Sie schrauben ihre Preise hoch. Intern rechnet die Bundesregierung damit, dass ein kurzfristiges Wachstum je Branche in Höhe von 20 Prozent preisneutral verträglich ist. Sollte es zu mehr kommen, wird es schwierig. Damit stellt sich die Frage nach einer regionalen Koordinierung der Förderprogramme. Und nach einer möglichen Flexibilisierung. Beides ist ungeklärt.
Gleichzeitig tauchen immer mehr Forderungen an die Landesregierung auf, das Geld aus dem Konjunkturprogramm nur an Städte rauszurücken, die sich auf en gemeinsames Vorgehen einigen. So etwas fordert beispielsweise der Chef der RAG-Stiftung, Wilhelm Bonse-Geuking. Und Klaus Tenfelde von der "Intitiative Stadt Ruhr" wird sogar noch konkreter. Er will, dass Konjunkturgeld in den Öffentlichen Personennahverkehr fließt. Weil das allen Städten im Revier nutzt.
Steinbrink trägt einen Kinnbart und ein Cordjaket. Viele Details kann er noch nicht nennen. Welche Schule mit einem Segen rechnen kann und welche nicht. Aber wenn er unter seinem Raumhohen Ficus sitzt, denkt er manchmal drüber nach, ob Essen nach einem solchen Investitionsprogramm sein Gesicht verändern wird? Heute glaubt er eher nicht daran. Großprojekte wie ein neues Museum wird es nicht geben. Und nur die könnten tatsächlich den Eindruck einer Stadt verändern. Dafür dürften viele Menschen profitieren, die tatsächlich vor Ort die Gebäude nutzen. Die Schüler und Lehrer und Arbeiter. „Die merken das.“
In einer Studie kommen die Forscher des Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) aus Essen zu dem Ergebnis, dass Konjunkturpaket der Regierung könne ein Erfolg werden. In diesem Jahr könnten demnach 125.000 Arbeitsplätze neu geschaffen oder gesichert werden.