Die „Preußische Gesellschaft Berlin Brandenburg e.V.“ hat im Hilton-Hotel am Gendarmenmarkt zum Neujahrsempfang geladen. Der chinesische und der russische Botschafter sind da und einige Militärattachés südamerikanischer Länder. Hoher Besuch, aber das Büffet ist trotzdem bepreist. 0,3 Liter „Radeberger“-Bier für vier Euro, vier Euro auch für eine kleine Portion „Prager Salat“. „Ich dachte es gibt wenigstens ein Glas Sekt umsonst“, sagt ein etwa 60-jähriger Herr in dunklem Anzug enttäuscht. „Aber umsonst ist nicht mal das Wasser.“ Sein Aussehen, Geschlecht und Altersklasse sind hier hauptsächlich vertreten.
Vor dem Konferenzsaal haben Vereine Stände aufgebaut. Ein Stand der streng rechten „Jungen Freiheit“ ist da, ein Stand der Freimaurer und ein Stand eines Vereins, der sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt. Ein Brandenburger Maurer läuft in einer preußischen Infanteriuniform herum, der Nachfahre eines russischen Grafen stolz in einer Kosakenkluft.
Nachdem ein Blasorchester preußische Märsche gespielt hat, bekommt an diesem Vormittag Vereins-Präsident Volker Tschapke (67) das Wort. Ein großer Mann mit rotem Kopf und strengem Haarschnitt. Er nuschelt etwas von der „spürbaren und nicht hinnehmbaren Einseitigkeit der Berichterstattung über Russland.“ Er scheint schon ein, zwei Pils getrunken zu haben. Er freut sich, dass mit den Botschaftern zwei Vertreter „von zwei der wichtigsten Länder der Welt“ da seien. Er schimpft über die „arroganten Medien“, schwadroniert über die USA, die „sich die Welt unterordnen“ wollten.
Dann ergreift der russische Botschafter Wladimir Grinin (67) das Wort. Er schmeichelt, die Preußische Gesellschaft würde „politisch, wirtschaftlich und kulturell“ ein „großes Ansehen“ in Deutschland genießen, klagt über die westlichen Sanktionen, erinnert an „einmalige, sich gegenseitig ergänzende Vorteile“ Russlands und Deutschlands. Dann spricht er in Bezug auf die Ukraine von „aus der Luft gegriffenen Vorwürfen“ gegenüber Russland und beschwert sich über die „Medien“ und „ihre Gestaltung des Russlandbildes in Deutschland.“
Als Tschapke sich nach dem offiziellen Teil des Empfangs mit den beiden Botschaftern fotografieren lässt, sagt er: „Dass ich das nochmal erlebe: China, Preußen, Russland, eine neue strategische Allianz.“ Er sagt das nicht ironisch. Denn die „Preußische Gesellschaft“ ist 1996 der Fantasie dieses westfälischen Bauingenieurs und Reserve-Panzeroffiziers entsprungen. Er sieht sich in der Tradition, die Fußballvereine wie Borussia Dortmund, Borussia Mönchengladbach und Preußen Münster hervorgebracht hat. Schließlich waren Teile Westfalens und Preußen rund 350 Jahre miteinander verbunden.
Und durch großes Gebaren schafft Tschapke es immer wieder, wichtige und unwichtige ausländische Diplomaten meist autokratischer Staaten sowie Bundeswehrreservisten auf seine Veranstaltungen zu locken. Tschapke sagt: „Wir haben internationale Verbindungen wie das Königreich Preußen“. Deutsche Politiker sind kaum da, sie scheinen den Mief besser riechen zu können. Mit Ausnahmen: Ehrenmitglied ist Ex-DDR-Ministerpräsident, mutmaßlicher Stasi-Spitzel und späterer CDU-Mann Lothar de Mazière (74). Auf die Frage, wie das denn mit der Meinungsfreiheit im von ihm so geschätzten Russland sei, fragt Tschapke zurück: „Gibt es denn hier Meinungsfreiheit?“ In diesem „Lügenpresse“-Tenor antworten auch andere Gäste.
Die „Preußische Gesellschaft“ gibt sogenannte „Monatsbriefe“ heraus. Unter Überschriften wie „Was Putin Gauck voraus hat“ wird auf die Bundesregierung geschimpft, gegen die russische Band „Pussy Riot“ gehetzt und darüber geklagt, dass Deutschland „Putin am Hals“ bedrohe, während es „Israel zu Füßen“ liege. „Ergeben wird ein darauf zurückzuführendes Schuld- und Sühne-Dasein praktiziert“, schreibt ein „Gustav von Trump“.
Im neuesten Monatsbrief aus dem Januar 2015 wird dann Pegida bejubelt, der Maidan-Aufstand in der Ukraine als „blutiger Putsch von ferngesteuerten Schlagetots“ verurteilt und aus einem Sammelband namens „Deutschland, Deutschland über alles“ zitiert.
Die „Preußische Gesellschaft Berlin-Brandenburg e.V.“ ist ein Klub, der sich im Glanz des alten Preußens sonnen will. Das zeigt auch Tschapkes Motto, das über jeden der Monatsbriefe geschrieben steht: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir einen Freistaat Preußen errichten müssen.“
Ein kritischer Beobachter der preußischen Gesellschaft, dem das Treiben Volker Tschapkes schon länger ein Dorn im Auge ist, urteilt: „Dass es bei der Preußischen Gesellschaft hauptsächlich um die aufdringliche Selbstdarstellung des sogenannten Präsidenten zu gehen scheint, ist Sache der Mitglieder. Skandalös ist aber die missbräuchliche Berufung auf preußische Werte für eine unsägliche politische Hetze in den veröffentlichten Monatsbriefen.“
Zuerst in kürzerer Form erschienen auf: http://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/das-skurrile-spiel-der-preussischen-gesellschaft