Wie geht es mit der Grünen Gentechnik weiter?

Gerstenfeld Foto: USDA Lizenz: Gemeinfrei

Während Landwirte und Konsumenten auf anderen Kontinenten schon längst Obst, Gemüse und Getreide nutzen können, die mit neuen Züchtungstechnologien (den sogenannten neuen genomischen Techniken NGT) erzeugt wurden, ist die EU noch immer mit der Frage beschäftigt, ob diese Verfahren in Europa zulässig sein sollen. Bislang galten sie als streng zu regulierende Gentechnik, obwohl in diese Pflanzen keine neuen Gene eingeführt werden. Von unserem Gastautor Ludger Weß.

2023 gab die EU-Kommission den Anstoß zu einer Neuregelung, um die Zulassung solcher Pflanzen zu erleichtern. Anfang 2024 folgte das EU-Parlament mit einer prinzipiellen Zustimmung, aber zahlreichen Änderungswünschen. Dann geschah eine Weile nichts, weil das dritte Gremium, der EU-Rat, das Thema unter Ungarns Ratspräsidentschaft einfach liegen ließ. Jetzt hat die polnische Ratspräsidentschaft das Thema wieder aufgegriffen und einen Kompromissvorschlag vorgelegt, der entsprechend den üblichen Abstimmungsprozessen in der EU, eine weitere Diskussionsgrundlage für den nun beginnenden abschließenden Abstimmungsprozess, den sogenannten Trilog bildet.

Eins ist schon jetzt klar: Eine erleichterte Zulassung wird kommen, denn hinter dem Ratsvorschlag steht die qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten. Kommission, Parlament und Rat sind sich einig in Bezug auf die Kernidee, Pflanzen, die mit der neuen Technologie hergestellt wurden, in zwei Kategorien einzuteilen. Für sie solle es zwei unterschiedliche Genehmigungsverfahren geben. NGT-Pflanzen, die als gleichwertig mit konventionellen Pflanzen gelten, sollen von den Anforderungen der GVO-Gesetzgebung der EU ausgenommen werden, während NGT-2-Pflanzen weiterhin strengeren Anforderungen unterliegen sollen. NGT-1 Pflanzen sollen nicht mehr aufwändig zugelassen werden und es soll einzelnen EU-Ländern auch nicht mehr möglich sein, den Anbau solcher Pflanzen zu verbieten.

Strittig sind nach wie vor Punkte wie Patentierung und Kennzeichnung, wobei sich Rat und Kommission darin einig sind, dass bei NGT-1 Pflanzen das Saatgut, nicht aber die aus solchen Pflanzen hergestellten Produkte im Handel gekennzeichnet werden müssen. Auch sollen Anbieter von NGT-Pflanzen angeben müssen, ob ihre Pflanzen patentiert sind oder eine Patentierung beantragt wurde.

 

Vernunft setzt sich durch

Es ist gut, zu sehen, dass sich allmählich die Vernunft durchsetzt. Denn bessere, d.h. die präzisere und schneller Züchtung von Pflanzen ist angesichts der Herausforderungen durch den Klimawandel dringend nötig. Zudem ist die Aufregung um die Technik völlig unnötig. Die allermeisten Mutationen, die mit Gene Editing erzeugt werden, könnten auch auf natürliche Weise entstehen oder durch die so genannte Mutagenese. Diese rechtlich übrigens ebenfalls als Gentechnik eingestufte Methode erhöht die natürliche Mutationsrate durch Strahlung oder Chemikalien, so dass genetische Veränderungen schneller geschehen – allerdings nach dem Zufallsprinzip.

Mit dieser unpräzisen Technologie wurden in den letzten 70 Jahren zahlreiche Sorten und Saaten erzeugt, die auch im Biolandbau verwendet werden. Obwohl sie juristisch Gentechnik-Sorten sind, müssen damit erzeugte Produkte nicht gekennzeichnet werden und es darf sogar – völlig widersinnig – „ohne Gentechnik“ draufstehen, obwohl Gentechnik drin ist.

Von daher ist es vollkommen unverständlich, wenn der Ökolandbau die modernisierte und präzisere Mutagenese ablehnt (aber nicht auf die alten Sorten verzichten will) und Umweltverbände fordern, dass mit Gene Editing erzeugte Pflanzen gekennzeichnet werden müssten. Der Ökolandbau könnte sie stillschweigend nutzen, ganz so, wie er die mit alter Gentechnik erzeugten Sorten stillschweigend nutzt. Zu erklären ist das nur, weil die Verbände und NGOs sich mit ihrer radikalen Ablehnung von allen neuen Technologien argumentativ in eine Ecke manövriert haben, aus der sie ohne Gesichtsverlust nicht so einfach herauskommen.

Ihr Argument, die Technologie könnte zu unerkannten unerwünschten Nebenwirkungen führen, ist Täuschung der Öffentlichkeit. Solche Nebenwirkungen sind beim Gene Editing um mehrere Größenordnungen seltener als bei der Mutationszüchtung, die mit Bestrahlung Chaos im Genom anrichtet – mit z. T. schwerwiegenden Folgen für die Gestalt und Gesundheit der Pflanzen. Auch Konsumenten waren betroffen: Tatsächlich mussten in den zurückliegenden 50 Jahren mehrmals Sorten, die mit konventioneller oder der bio-kompatiblen Mutationszüchtung erzeugt wurden, wegen Giftigkeit zurückgezogen werden, und zwar nachdem sie bereits den Lebensmittelhandel erreicht hatten. Darunter waren eine neue Sellerie- und mehrere Kartoffelsorten. Die Gefahr solcher Nebenwirkungen ist bei der Anwendung der ungleich präziseren und nebenwirkungsärmeren „Genschere“ deutlich geringer.

Auch die Aussage, das mit Gene Editing erzeugte Saatgut sei möglicherweise teurer und dürfe nicht nachgezüchtet werden, sei also nachteilig für Landwirte, ist irreführend. Erstens gilt in Europa noch immer das Sortenschutzrecht mit dem Landwirteprivileg, das Kleinbauern erlaubt, Erntegut zur Aussaat zurückzubehalten. Zweitens werden die Saatguthersteller wenig Interesse daran haben, mit Gene Editing erzeugte NGT-1-Sorten von zu patentieren. Aufwändige Patentverfahren lohnen sich in der Regel nur bei komplexen Eigenschaften und sehr deutlichen Vorteilen, etwa bei Pflanzen, deren Anbau weniger Insektizide, Herbizide oder Dünger benötigt. Drittens liefert zurückbehaltenes Erntegut oft Mindererträge, so dass außer Demeter-Landwirten praktisch alle Landwirte ihr Saatgut jedes Jahr neu kaufen. Viertens wissen Landwirte hochwertiges Saatgut zu schätzen und kaufen (auch Biobauern) meist das hochpreisige, aber dafür sehr ertragreiche Hybridsaatgut, obwohl sich das für eine Aussaat aus Erntegut überhaupt nicht eignet. Fünftens können Landwirte rechnen und wissen, dass höhere Erträge einen höheren Preis für Saatgut mehr als wettmachen. Und sechstens steht es jedem Landwirt nach wie vor offen, samenfestes Ökosaatgut zu kaufen.

Dann kommt schließlich noch das Scheinargument mit der „Kontamination“. Sofern Kontamination überhaupt auftritt, betrifft dieses „Kontaminationsrisiko“ jede neue Sorte: Auch eine konventionell eingekreuzte Virusresistenz aus einer Wildpflanze kann theoretisch auskreuzen, so dass der Biobauer dann plötzlich die Eigenschaft einer neuen Sorte seines konventionellen Nachbarn im Genom seines Ernteguts hat. Biologen wissen, dass jede Kohlsorte mit Wildkohl anderen Kohlarten kreuzbar ist, Kulturmöhren mit der wilden Möhre und dass auch ein Genfluss von manchen Getreidesorten zu Wildgräsern nicht ausgeschlossen werden kann. Dennoch existieren wilder Kohl und wilde Möhren nach wie vor und auch Rosenkohl ist noch immer deutlich von Blumenkohl unterscheidbar. Würde man das Argument ernst nehmen und im Auskreuzen eine echte Gefahr sehen, müsste der Anbau von Raps, Kohl, Möhren, Kürbissen, Zucchinis und zahlreichen anderen Sorten mit wilden Verwandten in Deutschland verboten werden.

Tatsächlich sehen einzelne Ökoverbände, wie etwa Økologisk Landsforening aus Dänemark, aber auch Ökolandbauvertreter wie Urs Niggli, 30 Jahre lang Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz, im Gene Editing durchaus Chancen für den Biolandbau. Denn der leidet schon heute darunter, dass er im Schnitt 20-50 Prozent geringere Erträge hat als die konventionelle Landwirtschaft. Zudem verpasst er bei einem Verzicht auf die neue Technologie potenzielle Lösungen für aktuelle Produktionsprobleme, wie z. B. die Abhängigkeit von Fungiziden auf Kupferbasis zur Krankheitsbekämpfung. Das Problem dürfte sich verschärfen, da die Zulassung von Kupferpräparaten als Pflanzenschutzmittel Ende 2025 ausläuft und Kupfer wegen seiner Giftigkeit ersetzt werden soll.

Ein weiteres Problem des Ökolandbaus: Schon jetzt stammen zwei Drittel des Saatguts, das Biobetriebe verwenden, aus der konventionellen Landwirtschaft. Der Marktanteil des Biosaatguts, bei dessen Herstellung auch auf ertragreiche Hybridsorten verzichtet wird, wird immer geringer – eben weil es mehr Nachteile als Vorteile bietet und nicht so schnell an klimatische und sonstige Veränderungen angepasst werden kann wie konventionelles.

Und wenn konventionelle Landwirte dann in Zukunft auch noch Sorten nutzen können, die kaum noch Insektizide oder Dünger benötigen, ohne Ernteeinbußen zu erleiden, dann wird es für den Biolandbau immer schwieriger, den Konsumenten Unterschiede zu erklären, die den höheren Preis ihrer Produkte rechtfertigen. Dass die Biolandbauverbände von heute auf morgen umschwenken, ist indessen nicht zu erwarten. Wenn aber die NGT-Sorten erst einmal da ist, könnte sich die Stimmung rasch verschieben. Gut, dass jetzt Bewegung in die Sache kommt und die ersten Vertreter des Ökolandbaus umzudenken beginnen – auch in der Politik übrigens und sogar bei den Grünen.

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