Wie Geldroboter unser Geld umverteilen

Unter deutschen Politikerinnen und Politikern wird die Digitalisierung gerne als Industrie 4.0 interpretiert, also als eine weitere technische Modernisierung der industriellen Produktion.

Das dieses Verständnis der Digitalisierung unserer Gesellschaften viel zu kurz greift, verdeutlicht eine neue Publikation des Wiener Promedia Verlags. Dort ist kürzlich der Band „Die Geldroboter“ von Martin Ehrenhauser erschienen. Im Mittelpunkt dieses Bandes steht der so genannte Hochfrenquenzhandel. Was Hochfrenquenzhandel praktisch bedeutet, macht das folgende Zitat aus dem Band von Ehrenhauser deutlich:

„Doch nicht nur die Geschwindigkeit hat sich [durch den Hochfrenquenzhandel, Anm. d.A.] dramatisch erhöht, auch die Anzahl der Aufträge hat sich potenziert. Waren es vor zehn Jahren noch siebzig Orders, die ein Händler täglich an eine einzige Börse sendet, sind es heute eine Million Orders an fünf verschiedenen Handelsplätzen. Die Bedürfnisse der Realwirtschaft spielen dabei keine Rolle. Schnell kaufen und sofort wieder verkaufen ist die Devise. Auch am Aktienmarkt. So betrug die durchschnittliche Haltezeit von Aktien im Jahr 1980 noch knapp zehn Jahre, im Jahre 2000 waren es noch sechs Monate, im Jahr Jahr 2013 lediglich 23 Sekunden.“ (S. 98)

Was Ehrenhauser hier skizziert sind die realen Prozesse hinter dem, was seit Jahren als Turbo-Kapitalismus bezeichnet und kritisiert wird: Die Digitalisierung der Finanzmärkte – also die Verlagerung der Finanztransaktionen vom Börsenparkett mit realen Menschen in komplexe mathematische Formeln, Algorithmen, die auf Computern laufen und automatisiert in Millisekunden nicht nur die Finanzmärkte abscannen, sondern auch Presseagenturen, und aufgrund der gesammelten Informationen entscheiden, ob Wertpapiere gekauft, verkauft oder ob getätigte Aufträge wieder storniert werden. Hier handeln also nicht mehr reale Menschen mit Wertpapieren, sondern Computer. Menschen geben lediglich Parameter ein, nach denen die Computer dann am Markt agieren.

Martin Ehrenhauser gelingt es, in verständlicher Weise in dieses komplexe und bisher nur einer überschaubaren Gruppe von Fachleuten geläufige Themenfeld umfassend einzuführen. Er verknüpft den komplexen Stoff wo immer es geht mit plastischen Beispielen aus der Alltagswelt und macht ihn so greifbar und anschaulich. Und der drögen Welt der Computer und Finanzstatistiken verleiht er Lebendigkeit, in dem er immer wieder die Personen, die er im Rahmen seiner Recherchen interview hat, und die Orte, an denen er sie getroffen hat, kurz beschreibt.

Auch wenn der so genannte Hochfrenquenzhandel erst seit wenigen Jahren zur vollen Entfaltung gekommen ist – rund 90 % des Wertpapierhandels weltweit wird heute durch Geldroboter ausgeführt – so führen seine Ursprünge doch zurück bis in die 1960er Jahre. Wie Ehrenhauser nachzeichnet, kamen wesentliche Impulse für die Entwicklung der dem Hochfrequenzhandel zugrundeliegenden Algorithmen tatsächlich aus realen Spielkasinos.

Ebenso führt Ehrenhauser in die Entwicklung der Unternehmensstrukturen ein, die die Gelbroboter betreiben und stellt eine Reihe der unterschiedlichen Akteure vor und entwickelt so ein anschauliches Bild dieser Branche, in der sich neben gigantisch großen Vermögenswaltungsunternehmen wie z.B. Blackrock und Geldroboter wie Virtu Financial auch Nerds als Einpersonenunternehmen erfolgreich bewegen – die derzeit wichtigsten Betreiber von Geldrobotern sind im Anhang des Bandes aufgelistet. Dazu gehört ebenfalls die Beschreibung des enorm kostspieligen technischen Wettrüstens dieser Firmen, um wenige Millisekunden schneller an Informationen zu gelangen als die Konkurrenz.

Im Zentrum der Beschreibungen und Analysen von Martin Ehrenhauser stehen jedoch die Dynamiken, die durch die Geldroboter auf den Finanzmärkten ausgelöst wurden, sowie die Frage nach dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen der Geldroboter und des Hochfrequenzhandels.

Die Geldroboter und die Geschäftsstrategien ihrer Eigentümer sind so konzipiert, dass sie selbst in Krisen, wie der europäischen Finanzkrise ab 2008, noch enorme Gewinne einfahren konnten und so zu einer weiteren Vermögensumverteilung beitrugen, die unsere Gesellschaft zunehmend spalten.

Als die wohl brisanteste gesellschaftliche Wirkung beschreibt Ehrenhauser die ungleiche Konkurrenz zwischen den Geldrobotern und den klassischen institutionellen Anlegern, also die Versicherungen und Altersvorsorgekassen. Es gelingt ihm nachvollziehbar darzustellen, worin die Assymetrie der Konkurrenz von Geldrobotern und klassischen Versicherungen liegt und aufzuzeigen, dass diese Assymetrie langfristig zu einer substantiellen Gefährdung der Altersvorsorge in unseren Gesellschaften führt.

Ein solcher Befund sollte eigentlich die Politik alarmieren und zu einer strikten Regulierung des Hochfrenqueznhandels, wenn nicht gar zu einem Verbot, führen. Anläufe dazu hat es auch gegeben, wie Ehrenhauser, der von 2009 bis 2014 Mitglied des europäischen Parlaments war, ausführt. Ab 2011 stand im Europäischen Parlament eine Überarbeitung der erst 2007 in Kraft getretenen EU-Finanzmarkt-Richtlinie MiFID I an. In der MiFID I war der Hochfrequenzhandel noch nicht berücksichtig. Die EU-Kommission wollte diese Lücke schließen. Beide Institutionen, die Kommission und auch das Europäische Parlament haben sich ursprünglich für eine sehr strikte Regulierung ausgesprochen und entsprechende Regulierungsvorschläge gemacht. Übrig geblieben ist von dieser hehren Absicht in der endgültigen Fassung der MiFID II, die 2018 in Kraft getreten ist, nicht viel. Letztlich hat die jetzige Fassung der MiFID II die Situation eher verschlimmbessert, so Ehrenhauser. Gescheitert ist eine effiziente Regulierung daran, dass sich der EU-Rat, in dem die Regierungen der EU-Mitgliedsländer vertreten sind, jeder effizienten Regulierung massiv widersetzt hat. Ernüchtert konstatiert Ehrenhauser: „Viele Regierungschefs kämpften offenkundig im Lager der Geldroboter für deren Privilegien.“ (S.157)

Angesichts der Gefährdung der Altersversorgung von Bürgern und Bürgerinnen durch die Geldroboter ist dies nur als Skandal zu bezeichnen. Es ist ein Verdienst dieses Buches, diesen Skandal sichtbar gemacht zu haben. Denn in beispielgebender Weise hat Martin Ehrenhauser das Scheitern dieses EU-Regulierungsversuches nachgezeichnet. Deutlich wird in dem Nachzeichnen dieses Prozesses allerdings auch, vor welchen Herausforderungen Abgeordnete stehen, die ja nicht als Experten, sondern als Repräsentanten der Gesellschaft in das Parlament gewählt wurden. Ehrenhauser verweist damit auf ein grundlegendes Dilemma repräsentativer Demokratien, dass dringend einer öffentlichen Debatte bedarf. Ebenso wird hier deutlich, dass das Institutionengefüge der EU dringend einer Reform bedarf. Eine wirksame Regulierung des Hochfrequenzhandels ist nicht unterhalb der EU-Ebene möglich. Die EU-Mitgliedsländer für sich haben schlicht nicht die nötige Durchsetzungskompetenz für solche Regulierungen. Sie haben lediglich die Kompetenz, wie Ehrenhauser aufzeigt, eine effiziente Regulierung zu blockieren.

Martin Ehrenhauser | Foto: privat

Es mangelt aber nicht nur an einem Bewusstsein unter Politikern für die nötigen Regulierungen, die sich aus der Digitalisierung unserer Gesellschaften ergeben. Ehrenhauser zeigt gerade am Beispiel der Bundesrepublik und am Beispiel des Bundeslandes Hessen, in dem mit der Frankfurter Börse und Eurex zwei wichtige Finanzmarktakteure ihren Hauptsitz haben, nach, dass die Aufsichts- und Kontrollstrukturen für die Finanzmärkte vollkommen unzureichend ausgestattet sind – nicht zuletzt aufgrund der unzureichend ausgestatteten öffentlichen Haushalte. Auch das hat, wie Ehrenhauser darlegt, einen Grund in der mangelnden Bereitschaft der Politik zu einer zeitgemäßen und effektiven Regulierung der Finanzmärkte. Obgleich EU-Kommission und Europäisches Parlament seit Jahren eine Finanztransaktionssteuer fordern, blockieren die Regierungen der EU-Mitgliedsländer ebenso lange die Einführung dieser Steuer im EU-Rat. „Und Vernunft, die zu Einhelligkeit führen könnte [in der Regulierung, Anm. d.A.] ist bekanntlich keine politische Kategorie“, merkt Ehrenhauser bitter dazu an.

Sein Fazit im Blick auf die Geldroboter ist nicht weniger eindeutig: „Sie [die Geldroboter, Anm. d.A.] lindern nicht den Hunger in der Dritten Welt, sie sorgen nicht für mehr Wasser in trockenen Regionen, sie lösen keine Kriege oder reduzieren die Abhängigkeit der westlichen Gesellschaften von fossilen Brennstoffen. ‚Der Hochfrequenzhandel hat nichts mit konkreten Ideen, Plänen und Wünschen konkreter Menschen zu tun, sondern verkündet die Herrschaft des Geldes mit Maschinen‘, kritisierte vor einigen Jahren Horst Köhler, der ehemalige Bundespräsident Deutschlands und vormalige Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Wenn Geldroboter in irgendeiner Weise Fortschritt erzielen, wie das ihre Proponenten behaupten, dann scheint sich dieser Fortschritt lediglich als Vorteil für ihre wenigen Betreiber zu erweisen, außerhalb des gesamtwirtschaftlichen Geschehens. Denn obwohl Unsummen in die Automatisierung und Beschleunigung des Finanzmarktes investiert wurden, und obwohl die Anzahl der Geldroboter in den letzten Jahren immer weiter zunahm, hat sich die Situation für die Realwirtschaft keineswegs verbessert.“ (S. 206)

Martin Ehrenhauser ist mit diesem Band nicht nur eine gut lesbare und umfassende Darstellung der technischen Funktionsweise des Hochfrequenzhandels, seiner Entwicklung und der sie nutzenden Unternehmen gelungen, sondern auch eine gesellschaftliche Einordnung und eine fundierte Kritik an dieser Form des Handels und an der Politik, die sich bisher einer effektiven Regulierung verweigert.

Das Buch

Ehrenhauser, Martin: Die Geldroboter. Wie Hochfrequenzmaschinen unser Erspartes einkassieren und Finanzmärkte destabilisieren. Promedia Verlag Wien, 2018 (240 S.)

ISBN: 978-3-85371-435-5 (Print) | ISBN: 978-3-85371-861-2 (E-Book)

Der Autor

Martin Ehrenhauser, geboren 1978 in Linz, studierte nach seiner abgeschlossenen Kochlehre Betriebswirtschaft und Politikwissenschaften in Österreich und England. Zwischen 2009 und 2014 war er Abgeordneter des Europaparlaments. Danach gründete er ein Unternehmen und vertiefte sich investigativ als Trader in die Welt der Finanzmärkte.

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Philipp
6 Jahre zuvor

Dazu gab es auch mal einen sehr intelligenten Kommentar von Dirk Müller dem Börsenexperten. Ich glaube vor einem Bundestagsausschuss.

Sein Fazit war so in der Art überflüsiger als Wasser oder so ähnlich.

Findet man auf Youtube.

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[…] „Wie Geldroboter unser Geld umverteilen„; 27. März 2018. Ruhbaron.de: „Wie Geldroboter unser Geld umverteilen„; 27. März 2018. Wirtschaftswoche: „Wie der Börsenhandel über Schattenmärkte […]

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