Wie sehr nervt „Ost-, Ost-, Ostdeutschland“?

AfD Wahlplakat mit Björn Höcke Foto: Antje Jelinek


Ost-, Ost-, Ostdeutschland. In den letzten Tagen stand dieser Landesteil wieder verstärkt im politischen Fokus. Dabei ist man langsam an dem Punkt, an dem er einfach nur noch nervt. Eine polemische Betrachtung.

Köln, Düsseldorf und Dortmund zusammen. Soviel Einwohner hat das ostdeutsche Bundesland Thüringen. Und ein Bruttoinlandsprodukt, das so gering ist, dass nur noch Mecklenburg-Vorpommern (soviele Einwohner wie Köln und Düsseldorf zusammen) und die Armenhäuser Bremen und Saarland weniger einnehmen. Damit könnte alles zu Thüringen gesagt sein, was man wissen sollte, und auch die weltpolitische Rolle Thüringens ist damit eigentlich hinreichend eingeordnet.

Niemand in den USA muss Thüringen kennen, und erst Recht nicht den SPD-Minister Georg Maier aus Thüringen. Der aber hat Wichtiges zu sagen, wie er findet. Und lässt es sich nicht nehmen, Kritik an der Art zu üben, wie die SPD beschloss, den USA zu ermöglichen auf die Bedrohung Europas und der NATO durch Russland zu reagieren.

Im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Maier dazu:

„Es ist so, dass es hier im Osten eine tiefsitzende Sehnsucht nach Frieden gibt, und das hat historische Gründe und das sollte man sich auch mal vor Augen halten. Was mir immer mal wieder fehlt ist die Empathie für Ostdeutschland, für die Ostdeutschen, weil der Osten war viel stärker auch von den Kriegsfolgen des Zweiten Weltkrieges betroffen.“

Maier spricht also, dem eigenen Ego folgend, nicht nur für die Thüringer SPD, und auch nicht nur Thüringen, nein, er spricht für alle Ostdeutsche. Alle. Alle ostdeutschen Bundesländer zusammen haben knapp 12,5 Millionen Einwohner. Das zweitgrößte deutsche Bundesland Bayern alleine hat eine gute halbe Million Einwohner mehr. Man vergegenwärtige sich, wie zurecht die CSU-Landesfürsten seit langer Zeit belächelt, wenn sie glauben, dass irgendwas, was sie mit „mia in Bayern“ einführen, per se Relevanz für den Bund hat. Dabei vertritt die CSU anteilig deutlich mehr Menschen, als irgendeine Partei über alle ostdeutschen Bundesländer hinweg.

Maier hingegen spricht nicht für alle Ostdeutsche, keinesfalls. Nicht alle Ostdeutsche sind kriegsschuldrelativierendes Russlandwahlvieh. Viele, zugegeben, das ist der Eindruck, wenn man das Potenzial von Wagenknecht und Höcke sieht, aber eben nicht alle. Und sicherlich machen Maiers Aussagen die aufrechten Demokraten in Ostdeutschland wütend. Nur hat man sich irgendwann abgewöhnt, diese als Maßstab fürs politische Handeln zu nehmen.

Dass Ostdeutschland von den Folgen des 2. Weltkrieges stärker betroffen sein soll als der Westen Deutschlands ist eine mindestens kreativ zu nennende Sichtweise. Gerade in Hamburg und dem Ruhrgebiet reibt man sich verwundert die Augen. Alliierte Bomber konnten den Osten schlechter erreichen als den Westen, und die Industrieregionen lagen im Westen. Dresden ist nicht ganz Ostdeutschland.

Und davon ab: diese Kriegsfolgen? Ist man denn jetzt auch in der Thüringer SPD uninformiert darüber, wer den 2. Weltkrieg anfing, welche Verbrechen begangen wurden, wie lange fanatisch weiter gemordet und gekämpft wurde? Macht man aus Tätern nun Opfer? Sollte man das nicht der AfD oder Wagenknecht überlassen? Das alles irritiert nicht mehr nur, es nervt.

In Bautzen, einer Stadt so groß wie der Essener Stadtteil Rüttenscheid, aber nach eigenen Beobachtungen des Autors nicht im entferntesten an diesen kulturell heranreichend zog ein rechtsextremer Mob von Demokratiefeinden auf und brüllte: „Ost-, Ost-, Ostdeutschland!“

Man mag sich fragen: wofür steht dieser Teil des Landes? Welches Selbstbild haben Einwohner und Politiker? Und wieso nehmen wir im Westen das eigentlich alles so hin, als wäre es ein Naturphänomen?

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