Der Kreis Recklinghausen im nördlichen Ruhrgebiet ist seit Jahren eines der großen Sorgenkinder der Republik in Bezug auf seine wirtschaftliche Entwicklung. Es tut sich beängstigend wenig in Sachen Wachstum. Neu angesiedelte Betriebe findet man im Vergleich zu vielen anderen Regionen hier nur sehr selten. Auch im Vergleich zu anderen, problembehafteten Städten des Reviers.
Seit Jahren schon werden im Kreis hochtrabende Projekte von der Politik diskutiert und beworben. Mit der praktischen Umsetzung hapert es dann aber häufig, ja eigentlich fast immer.
Wer, wie ich, die vergangenen Jahrzehnte im Ostvest, also im Städtedreieck Datteln, Oer-Erkenschwick und Waltrop, verbracht hat, der konnte bzw. musste immer wieder vor der eigenen Haustür miterleben, was das Fortkommen dieser Region seit langem schon so furchtbar ausbremst. Erst in den vergangenen Tagen wurde dies wieder einmal sehr deutlich.
Da plant die Stadt Waltrop seit Jahren das neue Gewerbegebiet ‚Im dicken Dören‘, an der Stadtgrenze zu Dortmund, in unmittelbarer Nähe zur Autobahn 45. Unter anderem soll der Fahrzeugbauer Langendorf dort in Zukunft eine neue Heimat finden, der aktuell noch in der Nähe des alten Waltroper Bahnhofs, also in relativer Nähe zum Stadtzentrum beheimatet ist.
Hier formt sich jedoch erheblicher Widerstand auf Seiten der Nachbarn im Dortmunder Norden. Wer in Dortmund-Groppenbruch bzw. -Mengede wohnt, ist naturgemäß nicht begeistert ein neues Gewerbegebiet aus der Nachbarstadt direkt ‚vor die Nase‘ gesetzt zu bekommen. Klagen gegen das Vorhaben werden seit längerem erwogen und jetzt auch ganz konkret angekündigt. Unabhängig von deren Ausgang und Begründung, dürfte das weitere zeitliche Verzögerungen zur Folge haben. Und das Projekt wird ja inzwischen schon rund ein Jahrzehnt lang diskutiert und angekündigt.
Ähnlich verhält es sich mit anderen Vorhaben in der Gegend. Der NewPark in Datteln und das Uniper Kraftwerk Datteln 4 zum Beispiel werden wiederum seitens der Stadt Waltrop kritisiert, beklagt und seit Jahren schon verzögert. Der Rat der Stadt sieht in ihnen eine unerwünschte bzw. im Falle des Kraftwerks sogar unstatthafte Behinderung der eigenen Stadtentwicklung. Auch darüber haben wir hier im Blog im Verlaufe der Jahre immer wieder diskutiert.
Die Stadt Datteln ihrerseits beklagte jüngst die immensen Belastungen durch den riesigen Schlachthof von Westfleich (früher Barfuss) in Oer-Erkenschwick, der durch diverse Ausbauvorhaben nicht nur ihre Bürger unnötig stark belaste, sondern auch die Straßen in Datteln zu sehr in Mitleidenschaft ziehen würde. Lünen wiederum hat seinerseits das Trianel Kohle-Kraftwerk direkt an die Waltroper Stadtgrenze gesetzt, was damals ebenfalls für Proteste und Widerstand in der Politikszene der Nachbarstadt und unter den direkt betroffenen Anwohnern sorgte. Auch gegen die Neuansiedlung von anderen Großbetrieben gab es in den vergangenen Jahren regelmäßig Proteste. So wurden beispielsweise negative Effekte auf den Zustand der ‚Rieselfelder‘ zwischen Datteln und Waltrop befürchtet, oder aber der befürchtete Lärm (ernsthaft!) einer McDonalds-Filiale verhinderte in Waltrop deren Errichtung. Die Liste der verhinderten und ausgebremsten Pläne ist lang und ließe sich hier leicht fortsetzen.
Kein größeres Projekt also, das nicht von den Nachbarn zu verhindern versucht worden wäre und teilweise noch immer wird.
Realisiert worden ist in den vergangenen Jahren auf der anderen Seite kaum ein nennenswertes Vorhaben. Selbst der seit den 1970er-Jahren geplante Neubau der Bundesstraße 474n, die Verlängerung der Autobahn von Dortmund-Mengede in Richtung Münsterland, wartet seit Jahrzehnten auf ihre Fertigstellung. Inzwischen ist man auf Dattelner Stadtgebiet zwar schon recht weit, doch in Waltrop und Castrop-Rauxel streitet man noch über den Trassenverlauf. Hunderte Einwände von Bürgern und Umweltschützern haben das Vorhaben bisher ausgebremst, so dass die Anwohner an der seit langem chronisch überlasteten Ortsdurchfahrt durch Waltrop gefühlte Ewigkeiten bereits unter dem immensen Verkehrsaufkommen leiden, die Fahrzeiten unnötig um bis zu 30 Minuten pro Wegstrecke ausgedehnt werden. Inzwischen gibt es sogar schon Stimmen, die die Notwendigkeit des Neubaus insgesamt bestreiten. So wird das wohl nichts mehr mit der vollständigen Umsetzung zu ‚unseren Lebzeiten‘.
Welches Unternehmen investiert denn sein Geld bitteschön in so eine Region? Eben, kaum eines! Und das merkt man dem Kreis Recklinghausen eben inzwischen auch an allen Ecken und Enden deutlich an. Völlig unabhängig von der Berechtigung der einzelnen Bedenken und Vorhaben, so kann und darf sich ein Wirtschaftsraum schlicht nicht geben, wenn er denn modern und attraktiv für Menschen und Wirtschaft bleiben bzw. werden will.
Hier stirbt gerade eine ganze Region, und selbst als interessierter Laie kann man jeden Tag aufs Neue leicht erkennen, woran das liegt….
Die Strukturdaten im nördlichen Ruhrgebiet sind nicht durchweg negativ zu sehen. Bei den Arbeitslosenzahlen schneiden z.B. manche Hellwegstädte erheblich schlechter ab. Zum Problem wird nicht nur im Kreis Recklinghausen eine sich breit machende Mentalität, gegen jede Erneuerung, jede Veränderung alle – und das sind viele – Einspruchs- und Widerspruchsmöglichkeiten bis in die höchste Gerichtsbarkeit zu nutzen. Es soll alles bleiben wie es ist. Dabei gerät der Blick in die Zukunft ins Abseits. Junge Menschen wollen Veränderung, Zukunft und Perspektive, das heisst nicht, dass ökologische Belange unberücksichtigt bleiben. Aber ganz ohne Ökonomie wird es auch nicht gehen.
Verantwortliche Politik vor Ort muss abwägen, was sind allgemeine und was sind Einzelinteressen.