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Zunächst vorausgeschickt: ich bin Partei. Im wörtlichen Sinne. Ich arbeite im Hauptberuf für die Bonner Stadtratsfraktion der Grünen. Ich bin im Ruhrgebiet erwachsen geworden, und habe daher, wie fast alle dort, eine Art Haßliebe zur SPD. Ja, ich habe sie auch vereinzelt gewählt. Und ich verstehe sie nicht mehr.
Jetzt zum Lehrstück: Karin Hempel-Soos, eine umtriebige und respektable Kulturlobbyistin (und Sozialdemokratin), Peer Steinbrück, Bundesfinanzminister mit Bonner Wohnsitz (und Sozialdemokrat), Bärbel Dieckmann, Bonner Oberbürgermeisterin (und zeitweilig stellv. SPD-Bundesvorsitzende) und Klaus Zumwinkel, zeitweilig Vorstandschef der Deutschen Post und Aufsichtsratschef der Telekom (war der eigentlich auch Sozialdemokrat?) hatten sich ausgemalt, wie chic es doch wäre, in der "Beethovenstadt Bonn" ein Festspielhaus zu haben, auf dass die Stadt "mit Bayreuth und Salzburg gesellschaftlich konkurrieren" könne (Hempel-Soos). Die drei "Dax-Konzerne" Telekom, Post und Postbank – zufällig alles Konzerne mit Staatsbeteiligung, vertreten durch den Genossen Peer – könnten den Bau der Stadt schenken, mit einem kulturellen Imagetransfer und Steuerminderungswirkung für sich selbst inklusive.
Eine politische Mehrheit im Stadtrat zu finden war das geringste Problem. Die dankbare Begeisterung verteilte sich gleichmässig über CDU, SPD, FDP und Bürgerbund. Nur die Grünen stellten dauernd kritische Fragen nach inhaltlichem Konzept, Finanzierung, durchgerechneten Businessplänen. Meckerer eben. (Die Linkspartei hat in Bonn nur einen Einzelabgeordneten)
Mittlerweile ist einiges dumm gelaufen. Eine Wirtschaftskrise ist ausgebrochen. Zumwinkel ist verhaftet worden. Telekom und Post wollen, dass ihre Beschäftigten weniger Geld bekommen und zum Ausgleich dafür mehr arbeiten. Die Stiftungssumme für die Stiftung, die das Festspielhaus betreiben soll, will nicht zusammenkommen, obwohl der Genosse Peer – was kostet die Welt? – schon knapp 40 Mio. dafür gestiftet hat. Die affärengestählte Stadtsparkasse KölnBonn hat sich auch nicht lange bitten lassen.
Und jetzt kommen auch noch die Bonner Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen wissen, wer die Kosten übernimmt, wenn die Baukosten – völlig überraschend – während des Baus steigen sollten. Wer das Programm bestimmen wird in der Stiftung, die Konzerne oder die Vertreter der Öffentlichkeit? Wie hoch die jährlichen Betriebsdefizite sein werden (die Meinungen dazu schwanken zwischen 1,5 und 10 Mio.)? Woher die BesucherInnen kommen sollen? Aus Köln, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund, wo bereits solche Häuser stehen oder in Bau oder Planung sind? (Frau Hempel-Soos denkt an Flugzeugladungen voller Japaner) Fragen, die im Ruhrgebiet ja schon bestens bekannt sind. In Münster war ein Bürgerentscheid gegen ein Konzerthaus (und gegen CDUSPDFDP) erfolgreich. In Bonn wird das nun gefürchtet; ein Antrag der Grünen, dass der Rat einen Bürgerentscheid durchführen lässt, wurde abgelehnt.
Aus gutem Grund. Denn gar nicht lustig finden die Menschen in Bonn, dass die denkmalsgeschützte Beethovenhalle (Baujahr 1959), die immerhin in öffentlichem Eigentum ist, für den neuen Stararchitektinnenbau (Zarah Hadid) abgerissen werden soll. Und dass niemand weiss, wie der Sanierungsbedarf der Bonner Oper (ca. 20 Mio. Euro) finanziert werden soll. Sie fürchten, dass die bestehenden Kultureinrichtungen bluten müssen, damit der Imagetransfer der Dax-Konzerne funktioniert und sind nicht amüsiert.
Undankbare Bürger! Meinen die Parteien und Konzerne. Doch, nein. Der Finanzvorstand der Telekom Höttges (Schuri, ist der mit dem berühmten Eisenfuß von ’66 verwandt?) sieht Nacharbeitsbedarf. Auf Empfängen soll er sogar gewispert haben, dass es "keinen Cent" von ihm gäbe, wenn die Lage so bleibe, wie sie ist. Hempel-Soos lobbyiert in Berlin, um noch 10 Mio. zusätzliche Euro loszueisen, denn es droht ja die Gefahr, dass der Genosse Peer schon im September in den Ruhestand versetzt wird.
Graf Lambsdorff, ja der Alte, Parteispenden-Otto, setzte sich bei einer überlaufenen Veranstaltung der Grünen zum Bonner Festspielhaus mit Gattin demonstrativ in die erste Reihe. Nachdem seine Gattin in der Publikumsdiskussion den grünen OB-Kandidaten ausdrücklich gelobt hatte, wies der Graf persönlich den Post-Sprecher Harnischfeger auf das in seinen Augen nicht EU-konforme Ausschreibungsverfahren für den Festspielhausbau hin. So könnte das Scheitern des Projekts kommen: Schuld ist dann Brüssel, und alle kommen heil wieder raus.
Alle? Nein. Zugegeben wird das alles natürlich erst nach der Wahl (Kommunal: 30.8.; Bundes 27.9.). Die niederländischen Sozialdemokraten sind bei der Europawahl von 22 auf 12% gefallen. Muss es in Deutschland auch erst so weit kommen?